Kommentar zum „Aufruf gegen den Gender-Unfug“

Eine beeindruckende Allianz hat sich formiert. Dieter Hallervorden, Dieter Nuhr, Bastian Sick und Prinz Asfa-Wossen Asserate gehören zu den vielen Unterzeichnenden der Petition „Aufruf gegen den Gender-Unfug“ der Arbeitsgemeinschaft „Gendersprache im Verein Deutsche Sprache e.V.“, in der es heißt:

„Wir wollen uns nicht an den Gender-Neusprech gewöhnen. Deshalb fordern wir alle Mitbürger auf, aktiv dagegen zu protestieren und entsprechende Richtlinien, Verordnungen und Vorschriften scharf zurückzuweisen.“

Wenn schon alle Mitbürger aufgefordert sind, aktiv zu protestieren, dann möchte ich dem Aufruf folgen und fragen: Sind die Mitbürgerinnen auch dazu aufgefordert? Wie auch immer die Antwort auf meine Frage ausfallen mag, stelle ich fest, dass ich der Petition in dem folgenden Punkt entschieden zustimme:

„Sprache macht uns Menschen einzigartig. Sie ist Ausdruck des Denkens und Fühlens, stiftet Identität, unterscheidet und verbindet uns. Sie ist ein historisch gewachsenes Ausdrucksmedium, das stetig verwandelt wird — durch unser aller Gebrauch: Wir denken und dichten, schreiben und schäkern, verhöhnen und versöhnen uns in diesem Medium.“

Niemals darf es einer Politik gestattet werden, den Bürgerinnen und Bürgern zu befehlen, wie sie zu sprechen haben. Identität, Denken und Fühlen lassen sich nicht widerstandslos verordnen. Jede Ideologie, die es versucht hat, ist letztendlich gescheitert. Deshalb sollte auch in der heutigen Republik das Gewaltmonopol des Staates nicht dazu missbraucht werden, die Sprache des Souveräns und der Souveränin zu diktieren. Sprache darf nicht befohlen werden. Sie muss frei sein, um sich entwickeln zu können. Die Petition irrt jedoch in diesem Punkt:

„Die deutsche Sprache ist nicht „ungerecht“. Sie benachteiligt niemanden.“

Wenn Sprache Ausdruck des Denkens und Fühlens der Gesellschaft ist, wie in der Petition korrekt konstatiert wird, dann ist sie auch Ausdruck all der negativen Aspekte der Gesellschaft. Dazu gehört auch die lange Zeit der politischen und gesellschaftlichen, institutionalisierten Diskriminierung der Frau aufgrund ihres Geschlechts. In der Petition steht:

„Wir haben die Faxen dicke! Gendersprache spaltet Worte, Gemüter, unser Sprachhandeln, und letztlich die Gesellschaft (…) Das ist ein tiefer Eingriff in Köpfe, Körper, Persönlichkeitsrechte und gewachsene soziale Kommunikationsstrukturen!“

Ich kann es nur zu gut verstehen, die Faxen dicke zu haben. Es waren Frauen, die die Faxen dicke hatten, die dafür gekämpft haben, dass Frauen studieren dürfen (ab 1908 in Preußen), wählen können (erstmals 1919 in der Weimar Republik), ohne Erlaubnis ihres Mannes arbeiten dürfen (seit 1977) und ihren Ehemann wegen Vergewaltigung anzeigen können (seit 1997). Die Sprache spaltet nicht, die Sprache zeigt, dass wir gespaltet sind.

Es ist unfassbar, wieviele No-go-Areas für Frauen in Deutschland existieren. So wie sich Ausländer in manchen Gebieten der Republik nicht sicher bewegen können, so wie es für Juden Stadtviertel gibt, in denen sie jüdische Symbole lieber nicht offen zeigen, so kennen Frauen in allen Gemeinen und Städten dieses Landes Angsträume. Fragen Sie mal eine Frau aus Ihrem Bekanntenkreis, welche Sicherheitsvorkehrungen sie täglich unternimmt, um sich vor sexistischen Anschlägen zu schützen. Sie parken nur in gut beleuchteten Bereichen, schauen auf den Rücksitz, bevor sie in ihr Auto einsteigen, halten ihre Schlüssel als mögliche Waffe in der Hand, variieren ihren Weg von der Arbeit nach Hause, gehen nicht nachts joggen, tragen beim Laufen keine Kopfhörer, vermeiden Wälder, auch tagsüber, passen auf, dass sie nicht zu viel trinken, gehen nicht mit einem fremden Mann in einen Aufzug, setzen ihre Getränke nicht ab, tragen Pfefferspray mit sich und schauen stets nach Fluchtmöglichkeiten.

Das ist die traurige Realität in Deutschland. Es brauchte keine Gendersprache dazu. Die Sprache ist lediglich Ausdruck dieser Spaltung. Auch in der Petition wird auf die Spaltung innerhalb der Gesellschaft hingewiesen.

„Wer sich dagegen verwehrt, wird von den Aposteln der Vielfalt reflexartig als rechtsradikal, antifeministisch, homophob, rassistisch, antisozial, antidemokratisch, fremdenfeindlich und ewig gestrig verleumdet. Das nehmen wir nicht länger hin.“

Zurecht. Das Verleumden des politischen Gegners und der politischen Gegnerin ist mittlerweile zur erbärmlichen Routine geworden. Nicht selten werden die oben genannten negativen Zuschreibungen benutzt, nicht etwa, um auf tatsächliche Missstände aufmerksam zu machen, sondern um andere Menschen zu entmenschlichen, um ihnen so dann das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit absprechen zu können.

Es gibt Menschen, die fühlen sich so frei von jedem Zweifel und so sicher, auf der richtigen Seite zu stehen, dass sie sogar Gewalt rechtfertigen oder billigend in Kauf nehmen, um ihre Gewissheit zu manifestieren. „Wehret den Anfängen“ brüllen diese gerechten Putztruppen und meinen damit doch nur die Anfänge einer Zukunft, die sie aus Panikmache konstruieren. Mit den Mitteln der Angst nehmen sie andere Menschen als Geisel ihrer Vermutung. Diese Angst ist die Wurzel des totalitären Denkens, die Gewalt über Gedanken als Präventivschlag ermöglicht. Wer einmal einen Menschen erfolgreich aus dem Diskurs entfernt hat, weil er ihn ihn diffamiert hat, wird diese Strategie weiterverfolgen.

Frauen kennen diese Strategie der Diffamierung durch Sprache nur zu gut. Sie werden entweder mit Begriffen wie „Schlampe“ oder „Fotze“ beleidigt, ganz so, als sei selbst ein derber Ausdruck für das weibliche Geschlecht eine Beleidigung oder Begriffe des weiblichen Stolzes werden verächtlich gemacht. Es ist schlicht unverständlich, dass die Begriffe „Emanze“ und „Feministin“ heute einen negativen Ruf haben, obwohl sie lediglich für den heroischen Kampf stehen, der auf diese einfache Formel von Hedwig Dohm gebracht werden kann: „Die Menschenrechte haben kein Geschlecht!“

„Wir stehen für eine lebendige, menschliche, Sprache ein, in der wir ausdrücken, was wir denken und klar benennen was wir wollen“, heißt es in der Petition. Dann möchte ich mal eine kleine Geschichte in dieser Sprache erzählen:

Ein Vater und sein Sohn haben einen schrecklichen Unfall auf einer Autobahn. Der Vater ist sofort tot. Der Sohn jedoch wird lebensgefährlich verletzt in eine nahe gelegene Ambulanz gebracht. Ein Team von Ärzten nimmt sich des schwer verletzten Jungen an. Plötzlich ruft jemand von den Ärzten: „Ich kann ihn nicht operieren. Er ist mein Sohn!“

Wie ist das möglich?

Die Antwort ist vollkommen simpel und doch gibt es viele Menschen, die nicht darauf kommen. Probieren Sie es einfach selber einmal aus. Der Arzt ist die Mutter des Sohnes. Mit dem Begriff „Team von Ärzten“ wurde schließlich nichts über das Geschlecht der Ärzte gesagt. Dennoch stellt sich in den Köpfen der meisten Menschen, die diesen Begriff hören, nicht die Möglichkeit ein, die Ärzte könnten weiblich sein. Hätte ich von einem Team von Ärztinnen und Ärzten gesprochen, hätte sich dieses Verständnisproblem nicht gegeben.

Allerdings hat die Silbe „-in“ auch einen Nachteil. Diese kleine Silbe betont das Geschlecht einer Person in einem Umfeld, wo das Geschlecht nicht von Bedeutung ist. Ich muss nicht wissen, welches Geschlecht ein Bäcker hat, um herauszufinden, ob sie gute Brötchen backt. Wenn sie gute Brötchen backt, dann ist sie meine Bäcker! So einfach ist das.

Ein Bäcker ist eine Person, die backt. Eine Bäckerin jedoch ist eine Person, die backt und weiblich ist. Während es für einen Bäcker irrelevant ist, was er oder sie zwischen den Beinen hat, wird die Weiblichkeit für die Bäckerin sprachlich konstitutiv. Der Mann ist Mensch, die Frau aber ist ein weiblicher Mensch. Simone de Beauvoir hat es in ihrem Meisterinnenwerk „Das Andere Geschlecht“ treffend analysiert. „On ne naît pas femme: on le devient.“ Der Mann ist Mensch (homme) die Frau ist Frau (femme).

Mit der Silbe „-in“ wird genau dieses Dilemma verstärkt. Stellen wir uns mal vor, es gäbe die Silbe „-on“, mit der betont wird, dass jemand männlich ist. Männer wären dann Lehreronnen, Juristonnen, Klemptneronnen und Zahnarzthelferonnen. Wie würden Männer wohl darauf regieren? Ich würde denken: Was genau tut jetzt mein Geschlecht hier zur Sache? Ich schreibe Texte. Was hat mein Penis damit zu tun? Ich tippe nicht mit meinem Penis, wirklich nicht. (Nicht, dass ich es nicht mal versucht habe.)

Ich bin ein Mann. Ich kenne das Gefühl nicht, über mein Geschlecht als das Andere vom Eigentlichen definiert zu werden. Es gibt keine extra Silbe für mich. Mannsein ist keine Abweichung von der Norm. Frausein jedoch schon und es wird sogar sprachlich über eine Derivation manifestiert. Eine Ärztin ist ein Arzt mit der Abweichung, Frau zu sein. Da soll noch mal wer sagen, die Sprache sei nicht ungerecht. Ein anderes gutes Beispiel ist folgender Dialog:

„Hast Du gehört? Herta Müller ist Schriftstellerin des Jahres geworden!“

„Und wer ist Schriftsteller des Jahres geworden?“

Wäre gesagt worden, Herta Müller sei Schriftsteller des Jahres geworden, hätte es dieses Problem nicht gegeben. Wird aber gesagt, „Morgen findet ein Treffen der Schriftsteller des Jahres statt“, dann denken wieder viele nicht an Frauen.

Es ist ein Dilemma, für das es keine einfache Lösung gibt. Auf der einen Seite kann die konsequente Weigerung der Nutzung der Silbe „-in“ dazu führen, dass Frauen ausgespart und verschwiegen werden, so dass sich jede Frau ständig fragen muss, ob sie auch (mit-)gemeint ist; auf der anderer Seite kann die konsequente Nutzung der Silbe dazu führen, dass Frauen in einer Art über ihr Geschlecht definiert werden, wie es bei Männer nicht der Fall ist.

Es gibt noch eine andere Variante der oben zitierten Geschichte:

Drei Bauarbeiter sind in der Pause. Zwei trinken Bier. Die beiden Biertrinker fragen die dritte Person: „Was ist denn los?“ Da sagt sie: „Ich bin schwanger!“

Auch diese Version zeigt, dass bei dem Begriff „Bauarbeiter“ nicht automatische die Möglichkeit des Frauseins mitgedacht wurde. Es gibt allerdings auch Variation auf diese Geschichte:

Drei Bauarbeiter sind in der Pause. Zwei trinken Bier. Die beiden Biertrinker fragen die dritte Person: „Was ist denn los?“ Da sagt sie: „Ich bin Moslem!“

Diese Version zeigt, dass bei dem Begriff „Bauarbeiter“ auch die religiöse Zugehörigkeit nicht mitgedacht wird. Es wäre jetzt jedoch mehr als befremdlich, wenn wir anfangen würden, Silben, Sternchen, Gaps und andere grammatikalische Derivationen für religiöse Zugehörigkeiten, Hautfarben oder Nationalitäten einzuführen. Bei Geschlechtern ist eine solche Grammatik jedoch Realität. Durch die Existenz des grammatikalischen Geschlechts und der Silbe „-in“ wird die deutsche Sprache bereits gegendert.

Ich kann es als Mann nicht nachempfinden, was es bedeutet, in einer Sprache denken zu müssen, die mich ständig vor Identitätskrisen stellt. Die Sprache lässt sich aber nicht per Dekret ändern. Sprache ändert sich durch Gebrauch und vor allem über Jahrhunderte. Unsere Sprache ist älter als wir alle. Sie wird uns alle überleben und sich dabei ständig ändern. Das ist unser Schicksal aber auch unsere Chance.

Die Petition jedoch unterschreibe ich nicht, denn so sehr ich auch verstehen kann, dass die Unterzeichnenden der Petition die Faxen dicke haben, weil sie das Gefühl haben, gezwungen zu werden, ihre geliebte Sprache neu zu gendern, so sehr kann ich verstehen, dass es für einige Frauen nicht leicht ist, in einer Sprache zu denken und zu kommunizieren, die bereits gendert und das im Zweifel zu Ungunsten der Frau.

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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