2020 – Eins der besten Jahre seit 1974!

Ein persönlicher Jahresrückblick von Frida Caroline Bruhn.


1974 war die Weltmeisterschaft, lief super und ich wurde geboren. Danach ist eine Menge passiert. Leben. Wiederholungen. Neues. Wiederholungen. Dann kam 2020.

2020 begann in Dubai mit Champagnerglas in der rechten, Zwillingskinderwagen in der linken, meiner tanzenden Tochter vor der Nase und suchendem Blick, wo der Vater mit den anderen beiden Kindern steckte. Eigentlich wäre das der Zeitpunkt gewesen, als Paar und Familie zusammen zu sein und „normal“ und innig, sich ein frohes neues Jahr zu wünschen. Romantisch. Wieder mal, zum millionsten Mal, enttäuscht. Aber zum Trost das Glas. Cheers! Auf ein Jahr ohne Alkohol in 2020! Traditioneller Vorsatz, bei dem sich nur die Jahreszahl änderte, in vielen der letzten 25 Jahre.

Überraschenderweise lief 2020 auch das anders. 

Mein Plan für 2020 hieß: Kinderbetreuung, besser im Kickboxen werden, meine Therapie weiter besuchen, weiter keinen Alkohol trinken, tolle Reisen mit der Familie, möglichst vegan essen und mich persönlich zu einem besseren Wesen weiterzuentwickeln. 

Reisetechnisch war einiges auf dem Zettel: Fehmarn, Hawaii, Dominikanische Republik, Jamaika, eine Woche Paris und Euro Disney und im September würde ich endlich mal wieder alleine nach New York fliegen und mir Stücke am Broadway ansehen. Es wäre das erste Mal gewesen, meine Kinder so lange nicht zu sehen. Aber das sollte mit Hilfe von Betreuung und zwei Au Pairs, die mit mir und den Kindern leben, alles gut zu überbrücken sein.

What a Year! Groß, größer, besser, toller, höher, weiter, ferner! Großartig! 

Anfang März 2020 war meine Beziehung das vermutlich 2020ste Mal in zehn Jahren beendet, auf der Kippe oder einfach nur so der Horror. Dann kam was Kleines. Mit niedlichem Namen. Wenn es ein Mädchen wird, nennen wir es Corona und einen Jungen Covid. Oder umgekehrt. Und immer mehr Länder machten die Schotten dicht.

Das Jahr hatte irgendetwas anderes mit mir vor, als meine Pläne dachten. Als der Lockdown da war, machte ich einen Online Kurs bei Jay Shetty. Ich wollte Jay Shetty unbedingt kennenlernen, weil er einer der Menschen ist, die mich inspirieren und den ich schon zu diesem Zeitpunkt als eine Art Mentor für mich erkannt hatte.

Meine Konzentration auf mich selbst hatte auf meine Beziehung einen guten Einfluss. Anstatt mich über meinen Partner zu ärgern, konzentrierte ich mich auf mich, Kinder und Kurse. 

Mein Partner, der sonst Türen und Tore in alle Richtungen offen ließ, wurde daraufhin anhänglicher, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Statt September New York sollte am 18. September nun die Hochzeit sein, nach zehn Jahren On/Off.

Das war ein Schritt für mich. Das hieß für mich nämlich auch, die Frau, die sich weigert, ihre Enkel kennenzulernen, obwohl sie die letzte, lebende Oma ist, im Nachbarort wohnt und für „ihr großes Herz“ berühmt ist, würde meine Schwiegermutter werden. Wie ihre zarten Worte noch heute in meinen Ohren klingen: „Deine Kinder sind nur 1/4 meines Blutes! Das ist keine Verwandtschaft für mich! Blutsverwandtschaft vielleicht. Mir sind das zu viele Enkel!“

Die Frau, die im Gegensatz dazu, Patentante eines Kindes wurde, das außerhalb unserer Beziehung gezeugt wurde, rückte bedrohlich näher. Kurzum: Das, was man sich unter einem richtig guten Verhältnis vorstellt, gab es bei uns. Nicht.

Ich will Euch nicht langweilen und mache es kurz: Nix reisen. Nix Heirat. Nix Oma, nix Schwiegermutter. Ich bin nicht gereist. Ich habe nicht geheiratet. 

Dafür habe ich mich 2020 auf eine Reise nach innen begeben und habe mich von allem verabschiedet, was mir nicht gut tut. Bye bye Alkohol, bye bye Oma, bye bye Hochzeit, bye bye immer die betrogene Frau sein, die um sich selbst kreist in diesen sich wiederholenden Anklagen: „Wie können Menschen nur so unmenschlich, gemein, böse sein und das innerhalb der eigenen Familie, da, wo es am wehesten tut? Und überhaupt: Prost! Cheers! Weg mit der Traurigkeit.“

Diese Frida Caroline habe ich 2020 zurückgelassen.

Familie kann etwas Tolles sein. Es kann so sein, wie ich es mir gewünscht habe, mit vielen Kindern und lachen und Zusammengehörigkeit. Das lebe ich jetzt. Endlich schmerzfrei. Und ich lebe meinen Beruf: Coaching. 

Ich liebe es, Menschen zu helfen, die wirklich an sich arbeiten wollen. Die bereit sind, ins Ungewisse zu springen, Neues zu wagen. Menschen, die die Power haben, ihren eigenen Dämonen gegenüberzustehen und ihnen die Stirn zu bieten. Kein leichter Weg. Aber er lohnt sich.

Ich habe in diesem Jahr so viele Menschen über Zoom kennengelernt, die 2020 als das Beste Jahr überhaupt sehen. Hunderte. Und diese Menschen möchten helfen, Mut zu spenden, Mittel und Wege zu finden, wie man es schafft, in widrigen Zeiten und unter schwierigen Umständen in sich selbst wieder Fuß zu fassen und ein Leben zu kreieren, das sich wirklich zu leben lohnt.

Außerhalb dieses Kreises kenne ich auch viele andere Menschen, denen es aktuell sehr schlecht geht, die um ihre Existenz bangen, die ihren Trost vermehrt in Alkohol suchen. Ich kenne Menschen, die Panik haben, weil ihre Geschäfte schließen mussten. 

Ich kenne aber auch Menschen, die umdenken konnten und ihren Umsatz 2020 durch Kreativität im Vergleich zu Vorjahr sogar extrem verbessern konnten. Wer im Fluch den Segen findet, hat nicht nur „einfach Glück“. Mut wird oft durch Glück belohnt. Die negative Gedankenspirale im Kopf zu beenden, erfordert Disziplin und Kraft. An diesen Punkt muss man erst einmal kommen. Meist geschieht das durch Schmerz, durch eine Krise, oder durch einen Zusammenbruch. Und wer das jemals durchlebt hat, weiß, da geht man gestärkt heraus. Oder man zerbricht daran.

Eins ist sicher, wer sagt: „2020 war das schlimmste Jahr von allen“, wird recht behalten und wer sagt „2020 war das schönste Jahr von allen“, wird auch recht behalten.

Wer ein Dach über dem Kopf hat, kann glücklich sein. Ich habe sogar ein altes Auto, das mit etwas Glück noch fährt. Reisen, geschenkt. Aber ich habe 2020 Fähigkeiten entwickelt, die mich glücklicher machen als alles zuvor. Ich betrüge mich nicht mehr selbst. Ich laufe nicht mehr routiniert vor meinem Schmerz davon.

Wenn ich meine Facebook-Seite aufmache, lese ich von allen Menschen, die in dieser Pandemie übermenschliches leisten müssen. Ich lese von Menschen, die Angst haben. Menschen, die jemanden Liebes verloren haben, die grade so überlebt haben. Mein Mitgefühl gilt ihnen. Es gilt all den Kindern, allen Menschen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Ich verstehe all die Wut und Trauer und denke an die Menschen, die sich gerade jetzt in Schmerz und Angst befinden, mit tiefem Mitgefühl.

Es ist mir manchmal unangenehm, dass ich 2020 so ein gutes Jahr hatte. Einfach, weil ich mich manchmal schuldig fühle, dass ich genau zu diesem Zeitpunkt meine Werte wiederfinden und definieren konnte. Ich habe mich gegen eine Hochzeit, gegen ein Leben im goldenen Käfig, in einer Spirale von Unterdrückung und Leid entschieden. Dafür bin ich den Weg gegangen, der erstmal weh tut. 

2020, ich danke Dir von Herzen, dass es Dich gibt und dass Du mir diesen Weg beschert hast.

2020 hat mir gezeigt, dass es Kreativität, Mut, Resilienz, Stärke, Mitgefühl und Grip benötigt, um neu zu denken und zu fühlen. Es hat mir gezeigt, dass mir Kickboxen hilft, um in mir zu ruhen. Ich kann nicht erwarten, bis der Lockdown gelockert wird und ich wieder zum Training gehen kann.

2020 hat mir gezeigt, dass gute Vorsätze wahr werden können, wenn man bereit ist, wirklich an sich zu arbeiten. 

2020 hat mir gezeigt, es gibt nicht nur die eine Wahrheit. So wenig wie ein geselliges Feiern bedeutet, dass man sich nicht einsam fühlt und so wenig, wie 2000 ein toller Jahrtausendwechsel für alle war, Spoileralarm, hated it und danach kam nur selten Besseres.

Familie heißt nicht, dass die Menschen, die unter diesem Deckmantel stecken, wirklich liebevoll sind. Ich möchte nicht wissen (aber ihr dürft es mir gern sagen), wer sich nicht traut zu sagen, dass er oder sie sich über den Lockdown am Jahresende gefreut hat, darüber, die Festtage mal ohne Familie sein zu dürfen.

Alle von Euch, die ihre Lieben schmerzlich vermissen, ich bitte Euch, seht das Glück, diese Liebe zu spüren, denn sie ist echt und das ist das Einzige, was zählt.

Meine Wut auf „die Schwiegermutter, ihre Unverfrorenheit und Kälte und darüber, was sie alles bei ihrem Sohn angerichtet hat“ ist einem neuen Glaubenssatz gewichen, der für alle Menschen gilt, die sich nicht, wie ich es gern hätte, ändern können oder wollen:

„Bless her. Bless him. Bless them. Change me!“

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(TINFCB)

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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