Ein formaljuristisches Verfahren

Die Lösung eines jeden Problems beginnt mit der Erkenntnis und der Akzeptanz, dass es das Problem überhaupt gibt.

Mit Corona verbreitet sich auch der Judenhass wieder in Deutschland. Seit einigen Wochen liegen in diversen deutschen Straßenbahnen Flugblätter aus, auf denen gefragt wird: „Haben wir denn wirklich nur ein Corona Problem? Oder haben wir nicht vor allem ein Juden Problem?“

Am 4. Dezember 2020 tauchte das Flugblatt in Köln auf. Darauf wird behauptet, Bundeskanzlerin Angela Merkel sei eine „polnischstämmige Jüdin“. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn und Außenminister Heiko Maas werden als Juden bezeichnet. Über den Virologen Christian Drosten wird behauptet, er sei, „dem Phänotyp nach ebenfalls Jude“. Das Flugblatt endet mit der hetzerischen Aussage: „Je mehr Juden in Politik und Medien, desto übler die Zustände!

Das Flugblatt ist ein besonders widerwärtiges Beispiel judenfeindlichen Hasses. Wenn die Geschichte eine Sache lehrt, dann, dass über diesen Hass nicht geschwiegen werden darf. Eine Gesellschaft, in der ein solcher Hass schwelt, muss sich diesem Hass stellen und darf davor nicht die Augen verschließen. Es ist ein Gebot der Aufklärung, darüber zu berichten.

Genau das dachte sich auch Samuel Ahren und teilte daher mit deutlicher Verurteilung diesen Flyer auf Twitter, um den Judenhass zu dokumentieren. Samuel Ahren ist Kölner, Mitglied bei 1. FC Köln und Jude. Nicht selten hat er Judenhass am eigenen Leibe erfahren müssen. Für ihn ist Judenhass eine persönliche Sache.

Die Oberbürgermeisterin Kölns, Henriette Reker, unterstützte Samuel Ahren und kommentierte seinen Tweet umgehend: „Ein besonders widerwärtiges Beispiel dafür, dass Antisemitismus in den Köpfen einer gefährlichen Minderheit unverändert weiterlebt. Wer so denkt, hat weder in Köln, noch irgendwo in unserer Gesellschaft etwas verloren.“

Am 11. Februar 2021, pünktlich zu Weiberfastnacht, erhielt Samuel Ahren eine Mail von der Kölner Polizei, in der er gebeten wurde, sich zu melden. Als er die Polizei kontaktierte, wurde ihm mitgeteilt, dass gegen ihn ein Verfahren wegen der Verbreitung volksverhetzender Schriften eingeleitet werde und er daher als Beschuldigter vernommen werden müsse. Der Kölner Oberstaatsanwalt erklärt dazu, das strafrechtliche Verbot der Volksverhetzung habe zum Ziel, die Verbreitung hetzerischer Inhalte zu unterbinden. Dabei sei es zunächst ohne Belang, welche Ziele mit der Verbreitung eines solchen Flugblattes verfolgt werden. Der Oberstaatsanwalt betont jedoch, dass in einem möglichen Verfahren die Motivation des Verbreiters eine Rolle spiele, wenn diese „unzweifelhaft“ feststehe.

Samuel Ahren kann sich also relativ sicher sein, dass das Verfahren eingestellt oder gar nicht erst eröffnet wird. Auch die Polizei spricht von einem „formaljuristischen Verfahren“. Na, darauf ein dreifach donnerndes formaljuristisches Kölle Alaaf!

Im Mai 2016 saß ich, Gerd Buurmann, wegen der gleichen Sache bei der Kölner Polizei. Ich hatte Anzeige erstattet aufgrund diverser Hassbotschaften und Mordaufrufe, die ich auf der Facebookseite „Islam Fakten“ gefunden hatte. Eine Auswahl der Aussagen las sich wie folgt: „Gottlose juden inshallah werdet ihr wieder vergast und endgültig ausgelöscht (…) war schon gut was Hitler gemacht hat dreckigen Hundesöhne (…) scheiß Juden sollen verrecken die Schweine Bastarde (…) dreckiger Judenpack. ich sage es immer hätte man mein kumpel Adolf’o zu ende bringen lassen was er angefangen hat hättma jetzt die probleme nicht“.

Ich erstatte Anzeige und dokumentierte auf Tapfer im Nirgendwo ein paar Einträge, um so den Umfang des Hasses zu zeigen. Am 24. Mai 2016 saß ich dann aufgrund meiner Anzeige im Polizeipräsidium in Köln und dachte, ich solle lediglich eine Zeugenaussage machen. Was mich jedoch erwartete, war grotesk. Ich wurde über §55 StPO belehrt. Dort steht:

„Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.“

„Haben Sie das verstanden“, wurde ich gefragt und ich sagte: „Ja.“ Dann wurde mir erklärt, die Kölner Staatsanwaltschaft habe ausdrücklich gebeten, mir §55 StPO „nachdrücklich“ klar zu machen, denn bisher gäbe es nur einen Menschen, dem man nachweisen könne, die Aussagen veröffentlicht zu haben, so erklärte es mir der Polizist, nämlich mir.

Ich erklärte schlicht, dass ich die Sätze zitiere, um das Ausmaß des Judenhass zu dokumentieren und fügte hinzu, wenn diese Sätze im Original binnen weniger Minuten über tausend „Gefällt mir“ bekommen, es eine journalistische Pflicht sei, diesen Umstand klar und deutlich mit Zitaten zu benennen, um eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. „Es kann nicht sein, dass die eine Seite schweigen muss,“ erklärte ich, „während die andere Seite laut ihren Hass postulieren darf.“

Ich unterzeichnete meine Aussage und ging. Das Verfahren wurde eingestellt.

Köln ist ein Garant für „formaljuristische Verfahren“. Vor elf Jahren, im Januar 2010, wurde in Köln eine Strafanzeige aufgrund des Verdachts auf Volksverhetzung gestellt, da damals vor dem Kölner Dom bei einer öffentlichen Dauerausstellung eine antisemitische Karikatur gezeigt wurde, auf der ein Jude zu sehen war, der ein Kind aß und sein Blut trank. Es war eine Darstellung einer klassisch judenfeindlichen Ritualmordlegende.

Die Kölner Staatsanwaltschaft jedoch konnte keinen Judenhass erkennen. Für sie war die Karikatur nicht antisemitisch, sondern lediglich „Israel-kritisch“. Die Staatsanwaltschaft führte aus, die dargestellte Person auf der Karikatur sei kein Jude, sondern ein Israeli:

„Typisch für antijüdische Bilddarstellungen zu allen Zeiten ist die Verwendung von bestimmten anatomischen Stereotypen, die den Juden schlechthin charakterisieren sollen. Dabei werden insbesondere Gesichtsmerkmale überzeichnet, um den Juden als hässlich, unansehnlich und rassisch minderwertig erscheinen zu lassen (jüdische „Krummnase“, etc.) Einer solchen Bildsprache wird sich vorliegend nicht bedient.“

Mit anderen Worten, weil die Person auf der Karikatur keine Krummnase hatte, war sie für die Kölner Staatsanwaltschaft nicht als Jude erkennbar und deshalb lag für sie auch kein Antisemitismus vor.

Vielleicht wäre es mal an der Zeit, dass sich die Kölner Justiz an die eigene Nase fasst. Im Falle von Samuel Ahren nämlich beweist sie gerade wieder einmal eindringlich, nicht den besten Riecher zu haben.

Aufklärung über Antisemitismus ist niemals eine Straftat und sollte auch nicht als solche behandelt werden. Zur Aufklärung über Antisemitismus gehört es, den Hass zu zeigen und zu dokumentieren. Das Strafgesetzbuch erklärt unmissverständlich in Paragraf 86, dass die Dokumentation und Veröffentlichung von „Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“ statthaft ist, „wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient“.

Nichts anderes hat Samuel Ahren getan. Dafür gebührt ihm Dank und Anerkennung und kein formaljuristisches Verfahren.

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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