Der WDR hat kein Gespür für queere Identitäten

In der Ankündigung der Künstlerin Cassy Carrington zeigt sich der WDR sehr ignorant gegenüber queeren Identitäten.

(Foto: Milana Bassalayev)

Cassy Carrington ist eine Kölner Entertainerin, Sängerin und Liedermacherin. Am 20. September 2021 veröffentlichte der WDR eine Vorstellung dieser Frau. Leider stellte der WDR damit jedoch die eigene Ignoranz sowohl gegenüber der Kunstform an sich als auch gegenüber der Identität der Künstlerin aus. In der Vorstellung des WDR heißt es:

Das Spiel mit den Geschlechtern steht im Mittelpunkt der Musik von „Cassy Carrington“. Hinter der Kölner Drag-Queen verbirgt sich der Grafiker Ralf Rotterdam.“

Wo soll man da anfangen?

Zunächst einmal, der WDR setzt den Namen Cassy Carrington in Anführungsstrichen, was mehrmals in dem Artikel geschieht. Ernsthaft? Dann kann der WDR auch gleich schreiben: Die sogenannte „Cassy Carrington“.

Zudem ist das Wort „verbirgt“ vollkommen unangemessen. Nein, Ralf Rotterdam verbirgt sich nicht und schon gar nicht hinter Cassy Carrington. Cassy Carrington ist keine Maske, kein Kostüm. Sie ist eine eigene Identität.

Auf Nachfrage erklärte Ralf Rotterdam, dass es ihm sehr wichtig sei, dass er im Umfeld von Cassy Carrington nicht namentlich erwähnt wird. Dies hat er mit vielen Schöpfern von Bühnen-Persönlichkeiten gemeinsam, wie zum Beispiel mit Atze Schröder.

Seine Bitte äußerte Ralf Rotterdam auch gegenüber dem WDR, jedoch setzte sich die Redaktion schlicht über diese Bitte hinweg. In einer bitteren Ignoranz der Kunst erklärte der WDR, als „Künstler/in müssen Sie generell akzeptieren, dass Medien von außen manches anders sehen als die Künstler von innen“ und fügte hinzu, man solle „sich über jede Erwähnung einfach nur freuen“.

Der WDR geht mit seiner Ignoranz sogar so weit, dass er von der Künstlerin Cassy Carrington als „er“ schreibt:

„Seit 2012 ist er aktiv, mit dem Pianisten Tobias Cosler hat er bereits mehrere Bühnenprogramme gespielt und zwei Alben aufgenommen.“

Eine queere Künstlerin einfach „er“ zu nennen, ist einfach unverschämt. Da wundert es auch nicht, dass der WDR einfach behauptet, worum es in der Kunst von Cassy Carrington gehen soll: „Das Spiel mit den Geschlechtern steht im Mittelpunkt“.

Das stimmt nicht. Im Mittelpunkt der Lieder von Cassy Carrington stehen die Themen Liebe, Sterblichkeit, Trauer, Abschied, Lust und Hoffnung. Cassy Carrington ist kein Mann in Frauenklamotten. Cassy ist Cassy.

Wenigstens hat der WDR nicht „Tunte“ geschrieben.

Ich frage mich, ob der WDR Freude daran hat, einfach zu bestimmen, was, wer und wie Cassy Carrington ist. An einer Stelle wird sogar behauptet, die Musik von Cassy Carrington befände sich „irgendwo zwischen Deutsch-Pop und „Cabaret““.

Cabaret? Da scheint der Autor wohl ein ganz eigenes Bild zu haben. Es deckt sich jedoch überhaupt nicht mit der Person Cassy Carrington.

Ich vermute mal, dass der Autor dieser Zeilen für den WDR nie in einem Programm von Cassy Carrington war. Er weiß einfach nicht, was sie macht. Dafür vermutet er umso mehr. Vermutlich denkt er, bei Cassy Carrington handelt es sich um eine lustige Travestieshow, irgendwo zwischen „Charleys Tante“ und „Tante Trude aus Buxtehude“.

Ist es wirklich nur Ignoranz oder schon bittere Überheblichkeit?

Natürlich kann der WDR berichten, wie er will. Er darf jeden Menschen als „er“, „sie“ oder, wenn er beleidigend sein möchte, sogar als „es“ bezeichnen. Gerne verteidige ich das Recht des WDR auf Meinungsfreiheit, auch für unverschämten Zeilen. Es gibt nur ein Problem. Medien, die in meinen Augen unverschämt sind, muss ich nicht bezahlen. Der WDR jedoch zwingt mich mit Gewalt dazu, seine Unverschämtheiten zu bezahlen.

Dem WDR kann es egal sein, was ich oder andere Personen denken.

Der WDR kann sich selbstgefällig über jeden Menschen hinwegsetzen. Er weiß, dass er alles über eine Person veröffentlichen kann und diese Person das dann auch noch selbst finanzieren muss, selbst wenn sie es als verletzend empfindet.

Der WDR hat eine ungeheuere Macht und die nutzt der Sender schamlos aus. In seiner Machtstellung muss der WDR nichts und niemanden ernst nehmen, keinen Menschen und keine Kunst. Tief drinnen scheint die Redaktion zu denken: „Der lustige Damenimitator soll glücklich sein, dass wir seinen Song überhaupt spielen.“

Zum Glück haben wir in Deutschland mittlerweile Zugang zu vielen freien Medien, von Netflix bis Amazon. Dort werden queere Identitäten ganz selbstverständlich gezeigt und vor allem geschätzt, respektiert und sogar gefeiert.

Netflix und Amazon sind tolerant und respektvoll. Sie zwingen queere Menschen nicht, sie zu bezahlen. Deshalb behandeln Sie sie auch nicht von oben herab. Sie setzen sich schon gar nicht über queere Menschen hinweg. Vor allem aber besitzen Sie nicht die Frechheit zu sagen: „Sei doch froh, dass wir uns überhaupt dazu herablassen, über Dich zu berichten. Und damit einst klar ist: Wir bestimmen was, wer und wie Du bist. Und jetzt her mit Deiner Kohle!“

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Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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