In uns selber liegt es

Wen machen wir nicht alles verantwortlich, wenn wir wieder einmal mit schrecklichen Taten von Menschen konfrontiert werden, die Gesellschaft, die Eltern, die Politik, die Umstände. Unzählige Psychologen, Therapeutinnen und Soziologen sind sich so verdammt sicher, dass alles nur eine Frage der Erziehung ist. Aber was, wenn es das Böse einfach gibt?

Oft erklären Menschen böse Taten als Reaktion auf erlittenes Unrecht. Je abscheulicher die Tat, desto kreativer die Diagnose. Doch kein noch so schlimmes Leid rechtfertigt es, sich daneben zu benehmen.

Eine der ältesten Geschichte der Menschheit ist die Erzählung von dem Baum mit den Namen עץ הדעת טוב ורע (Baum der Erkenntnis von Gut und Böse). Von dieser Frucht aßen Adam und Eva und wurden dafür aus dem Gefängnis mit dem Namen Eden verbannt. Ja, der Garten Eden war ein Gefängnis, vielleicht das schönste aller bekannten Gefängnisse, aber nichtsdestotrotz ein Gefängnis.

Schon der Begriff „Garten Eden“ ist ein Ausdruck für den Gefängnischarakter des Ortes. Das Wort „Eden“ geht auf das hebräische Nomen עֵדֶן (‛edæn) zurück, das einen Ort der Wonne bezeichnet. Das Wort „Garten“ wiederum leitet sich etymologisch von Gerte (indogermanisch gher und später ghortos) ab. Gemeint sind Ruten, die früher – ineinander verflochten – den Garten umfriedeten, also Zäune. „Garten Eden“ bedeutet somit „eingezäuntes Wonneland“. Genau diesen Ort verließen Adam und Eva mit der Erkenntnis von Gut und Böse. Sie wurden in die Freiheit entlassen.

Freiheit ist die Fähigkeit, sich zwischen Gut und Böse entscheiden zu können. Tiere können das nicht. Tiere sind weder gut, noch böse. Tiere fressen. Tiere töten. Tiere sterben. Tiere sind. Der Mensch macht all das auch, aber er ist mehr. Der Mensch ist frei.

Das Böse ist die tragische Bedingung der Freiheit. Wer das Böse abschaffen möchte, muss die menschliche Freiheit abschaffen.

Es sind stets unsere eigenen, frei gefällten Entscheidungen, die uns zu unseren Taten treiben. Es geschieht in unserem Kopf. Dabei ist es unwichtig, welche Farbe die Haut, die Haare und die Augen des Kopfes hat oder wie viele Narben im Gesicht sind. Es kommt viel mehr darauf an, was in dem Kopf ist.

Unsere Überzeugungen, Ideologien und unser Glauben bestimmen zwar unser Handeln, aber wir sind nicht die Sklaven unserer Ideen. Wir können uns zu all unseren Gedanken frei verhalten. Ein Meister in der Beschreibung der menschlichen Fähigkeit zum Bösen war der englische Dramatiker William Shakespeare. Jago aus Shakespeares Drama “Othello” erklärt:

“In uns selber liegt es, ob wir so sind oder anders. Unser Körper ist ein Garten und unser Wille der Gärtner, so dass, ob wir Nesseln drin pflanzen wollen oder Salat bauen, Tomaten aufziehen oder Thymian ausjäten, ihn dürftig mit einerlei Kraut besetzen oder mit mancherlei Gewächs aussaugen, ihn müßig verwildern lassen oder fleißig in Zucht halten – das Vermögen dazu und die bessernde Macht liegt durchaus in unserm freien Willen. Hätte der Waagbalken unsres Lebens nicht eine Schale von Vernunft, um eine andre von Sinnlichkeit aufzuwiegen, so würde unser Blut und die Bösartigkeit unsrer Triebe uns zu den ausschweifendsten Verkehrtheiten führen; aber wir haben die Vernunft, um die tobenden Leidenschaften, die fleischlichen Triebe, die zügellosen Lüste zu kühlen.”

Auch wenn es schwer fällt, einem Bösewicht zuzustimmen, aber Jago hat Recht. Was auch immer einem Menschen widerfahren ist, welche ganz persönlichen Schicksalsschläge er auch immer zu verkraften hat, der Grund für alle seine Entscheidungen, mögen es nun gute oder schlechte sein, liegt einzig und allein in seinem freien Willen. Othello selbst ist ein gutes Beispiel dafür. Obwohl Othello als afrikanischer Mann in der venezianischen Gesellschaft nur allzu gut wissen sollte, was es bedeutet, zum Außenseiter gemacht zu werden, ist er selbst nicht frei von Intoleranz. Wenn sich Othellos Untergebenen mal nicht nach seinem Sinne benehmen, dann ruft er abwertend: “Sind wir denn Türken?”

Othello wird, weil er schwarz ist, schlecht behandelt und diskriminiert. Aber was ist Othellos Entschuldigung dafür, dass er selbst diskriminiert und tötet? Was ist seine Entschuldigung dafür, dass er seine Frau Desdemona erstickt? Yoko Ono und John Lennon sagten einst: “Woman is the N—-r of the World!”

Othello ist zwar der „Mohr von Venedig“, aber Desdemona ist der „Mohr“ der Welt. Othello hat sich dazu entschieden, Desdemona zu töten, wenn auch in tobender Eifersucht, aber er hat sich dazu entschieden.

Es gibt Terroristen, die morden im Namen des Islams. Manche Menschen morden im Glauben der Überlegenheit der „weißen Rasse“. Wieder andere haben im Auftrag eines staatlichen Kommunismus gemordet. Alle Taten wurden jedoch begangen, weil sich die Menschen dazu entschieden hatten. Als der Organisator des millionenfachen Massenmords an die europäischen Juden, Adolf Eichmann, am 15. Dezember 1961 in Jerusalem verurteilt wurde, erklärten die Richter in ihrer Begründung:

“Durch welche Zufälle innerer und äußerer Art Sie auch immer auf den Weg geraten sein mögen, auf dem Sie dann zum Verbrecher wurden – zwischen dem, was Sie tatsächlich getan haben, und dem, was andere möglicherweise unter den gleichen Umständen auch getan hätten, liegt eine nicht überbrückbare Kluft. Uns gehen hier nur Ihre wirklichen Handlungen etwas an, und weder die möglicherweise nichtverbrecherische Natur Ihres Innenlebens und Ihrer Motive noch die möglicherweise verbrecherischen Neigungen Ihrer Umgebung. Sie haben sich, als Sie Ihre Lebensgeschichte erzählten, als einen Pechvogel dargestellt, und in Kenntnis der Bedingungen, unter denen Sie lebten, sind wir bis zu einem gewissen Grad sogar bereit, Ihnen zuzugestehen, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass Sie unter günstigeren Umständen je in diesem oder einem anderen Strafprozess als Angeklagter erschienen wären. Aber auch wenn wir unterstellen, dass es reines Missgeschick war, das aus Ihnen ein willfähriges Werkzeug in der Organisation des Massenmords gemacht hat, so bleibt eben doch die Tatsache bestehen, dass Sie mithalfen, die Politik des Massenmordes auszuführen und also diese Politik aktiv unterstützt haben. Denn wenn Sie sich auf Gehorsam berufen, so möchten wir Ihnen vorhalten, dass die Politik ja nicht in der Kinderstube vor sich geht und dass im politischen Bereich der Erwachsenen das Wort Gehorsam nur ein anderes Wort ist für Zustimmung und Unterstützung.”

Adolf Eichmann war kein Opfer der Umstände, kein Opfer der Bürokratie, kein Opfer einer Befehlskette. Er trug die volle Verantwortung für seine Taten. Ob man nun „Mein Kampf“, „Das Kommunistische Manifest“, das Evangelium oder den Koran liest, in einem selber liegt es, was man daraus macht. Jago, der Bösewicht, sagt:

“Ja, hier liegt’s, noch nicht entfaltet; die Bosheit wird durch Tat erst ganz gestaltet.”

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Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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