Defäkiere auf Political Correctness!

Da Facebook mit der originalen Überschrift dieses Artikels ein Problem hat, präsentiert Tapfer im Nirgendwo hier eine nicht vulgäre Version.

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Mein Kollege und Freund Özgür Cebe hat mich in seinem Vlog zitiert. Ich möchte ihm antworten.

Lieber Özgür,

erst einmal vielen Dank, dass Du aus meinem Artikel „Ein radikales Plädoyer für Meinungsfreiheit“ zitiert hast. Wie Du Dir denken kannst, habe ich einige kritische Anmerkungen. Du sagst: „Wenn es meine Absicht ist, eine Minderheit herabzusetzen, wie es die Rassisten tun, dann ist die Intention keine gute.“

Neonazis sind in Deutschland zur Zeit eine Minderheit. Du setzt sie in Deinem Video herab. Selbstverständlich hast Du das Recht dazu. Ist Deine Intention jetzt etwa keine gute? Wenn Du Deine eigene Philosophie zugrunde legst, dann nicht.

Meinungsfreiheit schließt auch die Hassrede mit ein. Es ist die exakte Definition von Meinungsfreiheit, dass auch falsche Meinungen geäußert werden dürfen. Würden alle immer nur das Richtige sagen, bräuchte es keine Meinungsfreiheit. Es gibt auch kein Zuviel an Meinungsfreiheit. Entweder gibt es Meinungsfreiheit oder es gibt sie nicht. So einfach ist das!

Jeder Mensch hasst irgendwas. Wem ist daher geholfen, wenn die Artikulation des Hasses verboten wird?

Aus Worten werden Taten. Das stimmt. Aber Worte müssen nicht gesprochen werden, um zu Taten zu werden. Es reicht, wenn sie gedacht werden. Daher bringt es gar nichts, Taten dadurch verhindern zu wollen, dass man die Artikulation der Worte verbietet. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Wer die Artikulation von gewissen Worten verbietet, verhindert dadurch nicht, dass die Worte zu Taten werden. Er verhindert jedoch, dass die Tat rechtzeitig erkannt und gebannt werden kann. Meinungsfreiheit ist ein präventiver Schutzmechanismus. Meinungsfreiheit nutzt dem Gehassten immer mehr als dem Hassenden.

Andere Meinungen auszuklammern, ist so effektiv wie das kleine Kind, das sich die Hände vor die Augen hält und glaubt, so sei die Gefahr verschwunden. Internetseiten zu löschen, im Glauben, man würde dadurch etwas verhindern, ist so produktiv, wie Bücher zu verbrennen.

Lieber Özgür,

Du sagst: „Political Correctness bedeutet für mich Anstand, Respekt und Höflichkeit.“

Das hast Du sehr schön gesagt. Anstand, Respekt und Höflichkeit, wer kann schon dagegen sein? Weißt Du, was noch sehr schön klingt? Das hier:

„Militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhass werden als Verbrechen geahndet.“

Klingt gut, oder? Wer kann da schon widersprechen? Wer ist schon ein Freund von Kriegshetze und Rassismus? Es ist doch gut, wenn all das verboten ist. Es gibt nur ein Problem: Der zitierte Absatz fand sich an fünfter Stelle des sechsten Artikels der Verfassung der DDR. Es war genau dieser Absatz, mit dem Kritikerinnen und Kritiker des Regimes in Knast und Folter gesperrt wurden.

So verführerisch der Absatz klingt, die Antwort auf die Artikulation von extremen Positionen darf nicht ein staatliches Verbot sein. Wie Du bin ich für Anstand, Respekt und Höflichkeit. Es ist unschön, über andere Menschen schlecht zu reden. Aber nicht alle Menschen ticken so wie Du und ich.

Dennoch möchte ich einem Staat nicht die Macht geben, über die Sprache zu regieren. Der Staat ist nämlich bewaffnet. Das letzte Mittel jeder staatlichen Forderung ist die Gewalt. Am logischen Ende jeder staatlichen Forderung befindet sich die Waffe.

Ich finde den Gedanken unerträglich, dass der Staat mit gezogener Waffe einem Menschen befehlen darf, was er sagen soll oder wozu er zu schweigen. Ich finde diesen Gedanken deshalb unerträglich, weil ich weiß, dass in einer Demokratie immer auch mal mein politischer Gegner an die Macht kommt. Daher beurteile ich jedes Gesetz nach diesem Prinzip: Kann ich bei diesem Gesetz wollen, dass meine politischen Gegner an die Macht kommen? Wenn ich das nicht kann, stimmt etwas mit dem Gesetz nicht.

Lieber Özgür,

Du sagst: „Aber das merkwürdige ist, dass Rassisten, Rechte und Populisten sich selbst nicht als solche wahrnehmen.“

Das liegt manchmal daran, dass sie keine Rassisten, Rechte oder Populisten sind, sondern zu solchen Unmenschen erklärt wurden. Die haben lediglich eine andere Meinung. Nicht jeder ist das, wozu Du ihn erklärst.

Für die Schergen der DDR zum Beispiel waren Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Schmidt Faschisten. In der DDR wurden Menschen in Gefängnisse gesteckt und gefoltert, weil sie zu Rechten, Faschisten und westlichen Populisten erklärt wurden. Um Gewalt gegen Menschen rechtfertigen zu können, müssen sie zunächst entmenschlicht werden. Diese Entmenschlichung findet statt, wenn Menschen in eine böse politische Ecke gedrängt werden, obwohl sie sich dort selbst nicht sehen.

Wer erklärt, ein Mensch würde Gewalt ausüben, weil er spricht, möchte damit nur die tatsächliche Gewalt rechtfertigen, mit der er zum Schweigen gebracht werden soll.

Die Nazis wurden damals von den Deutschen nicht verhindert. Das nagt heute an der Seele vieler Deutschen, die stolz darauf sind, nicht stolz zu sein. Sie wollen beweisen, dass sie selbst niemals auf die Nazis reingefallen wären. Um das jedoch zu beweisen, brauchen sie Nazis. Deshalb sehen sie überall Nazis und wo es keine gibt, schaffen sie einfach welche. Sie brauchen Nazis, um über achtzig Jahre zu spät die NSDAP zu verhindern. Darum jazzen sie ihre politischen Gegner zu Nazis hoch und skandalisieren jedes unbedachte Wort. Es gibt in Deutschland eine Lust nach Nazis, eine Todessehnsucht nach der Dämmerung der Demokratie, um endlich beweisen zu können, dieses Mal auf der richtigen Seite zu stehen.

Es ist immer Vorsicht geboten, wenn sich eine Gruppe von Menschen gegen ein Feindbild formiert, möge das Feindbild auch noch so schlecht sein. Sehr schnell entsteht in solchen Gruppen nämlich eine Dynamik, die dafür sorgt, dass jede abweichende Meinung zum Verrat erklärt wird. „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“, ist die Rhetorik dieser neuen Patrioten und die Aufforderung zur Distanzierung ihr Mittel der Unterdrückung.

Lieber Özgür,

ich plädiere für mehr Gelassenheit. Das Problem ist nicht die Meinungsfreiheit von Hassenden, sondern der Wille der Hassenden, die Meinungsfreiheit mit Gewalt abzuschaffen. Gedanken verschwinden nicht, nur weil sie nicht mehr gesprochen werden. Der Mensch, der in den Augen eines anderen Menschen ein Schwein ist, bleibt für ihn ein Schwein, auch wenn er es nicht mehr sagen darf. Das Messer in der Hose eines Mannes verschwindet nicht, wenn ihm der Mund verboten wird!

Eine der ersten Aktionen der Nazis, nachdem sie die Macht dazu bekommen hatten, bestand darin, Meinungen zu kriminalisieren und Kunst zu verbieten. Deshalb ist ein Staat, der Zensur übt, immer schlimmer als ein Arschloch, das menschenfeindliche Scheiße redet.

Ich finde, wir sollten viel weniger Angst vor den Worten der Arschlöcher haben. Aber vor allem finde ich: Defäkiere auf Political Correctness!

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Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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