Aus allen Ecken der Republik erklingt die Sorge über das Ende der Volksparteien, dabei gibt es überhaupt keinen Grund zur Sorge. Das Ende der Volksparteien ist gut.
Kaum etwas wird in Deutschland mehr geschätzt als Sicherheit. In Deutschland gilt es als erstrebenswerte Stabilität, wenn die Kanzlerin oder der Kanzler länger regiert als Adolf Hitler. Drei Personen haben dies bisher geschafft: Angela Merkel, Helmut Kohl und Konrad Adenauer. Sechzig Prozent der bisherigen fast siebzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik fand unter diesen drei Regierungschefs statt.
Kaum etwas wird im politischen Alltag mehr gefürchtet als der Dissens. In Deutschland wird der Konsens großgeschrieben.
Eine Volkspartei versucht den offenen Meinungsaustausch zu vermeiden, indem sie so viele Menschen wie möglich unter ihrem wie auch immer gearteten Begriff des Volkes subsumiert. In einer Volkspartei ist nicht der Streit das höchste Gut, sondern die Harmonie. Dabei gehört der Streit zur Demokratie.
Der Zustand der Demokratie ist die Krise.
Das Wort Krise ist Griechisch (κρίσις) und bedeutete ursprünglich Meinung, Beurteilung, Entscheidung. Die Krise ist somit eine Zeit in der nach reiflicher Beurteilung und dem Austausch von Meinungen Entscheidungen gefällt werden. Nichts anderes wird in einer Demokratie gemacht.
Hinter dem Wunsch nach Volksparteien versteckt sich die Angst vor der Demokratie. In einer Demokratie ist das Volk keine große Masse von Menschen, die identisch sind, sondern eine bunte Mischung von Individuen, die unterschiedlich und doch gleichberechtigt sind. In einer Demokratie ist es notwendig, dass gestritten wird und das so viele Ansichten wie möglich auf den Tisch kommen.
Die Kriminalisierung und die Entfernung des anderen Gedanken sind die ersten Schritte in den Totalitarismus.
Ich freue mich daher über das Ende der Volksparteien, die all die Unterschiede, die uns Menschen zu eigen sind, als etwas gefährliches ansehen und die Masse um der Sicherheit Willen lieber unter dem Begriff eines Volkes vereinen wollen.
Harmonie ist Opium für das Volk.
Ich freue mich über jedes Wahlergebnis, bei dem keine einzige Partei über 22% kommt. Ich sehe es als Vorteil an, wenn alle mit allen reden und sich mindestens drei Partei zu einer Regierungskoalition zusammenraufen müssen. So bleibt die Demokratie lebendig, bunt, vielfältig, kompliziert und vor allem in der Krise.