„Nie sah die Welt eine ehrbarere, bescheidenere Bewegung als diese deutsche Frauenbewegung. Eine Menschenklasse, die sich bemüht, in demütigen Wendungen zu beweisen, dass eigentlich kein ausreichender Grund vorhanden sei, sie Hungers sterben zu lassen! Eine Klasse, die um ihre Existenz wie um ein Almosen bettelt! Wahrhaftig, ein stolzerer Sinn empört sich gegen dieses Übermaß von Bescheidenheit.“
Mit diesen Worten kritisierte Hedwig Dohm viele Frauen des 19. Jahrhunderts, die sich nicht trauten, radikal all das zu fordern, was ihnen aufgrund ihres Menschseins zustand, nämlich die Menschenrechte. Hedwig Dohm forderte als eine der ersten Frauen in Deutschland die absolute soziale, politische und ökonomische Gleichberechtigung der Frau. Dazu gehörte das Recht zu wählen, zu studieren, zu handeln und zu spotten. Hedwig Dohm erklärte:
„Mehr Stolz, ihr Frauen! Der Stolze kann missfallen, aber mein verachtet ihn nicht. Nur auf den Nacken, der sich beugt, tritt Fuß des vermeintlichen Herren.“
Mit dieser Einstellung machte sich Hedwig Dohm zu ihrer Zeit nicht viele Freundinnen und Freunde. Zu viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen nahmen Rücksicht auf die Befindlichkeiten von Gläubigen und Ideologen und ordneten daher das Recht der Frau auf freie Entfaltung ihrer Person diesen Befindlichkeiten unter. Hedwig Dohm nahm diese Rücksicht nie hin. Als Friedrich Nietzsche seine Vorliebe für das Frauenbild des Islams ausdrückte und erklärte , man müsse „das Weib als Besitz als verschließbares Eigentum, als etwas zu Dienstbarkeit vorher bestimmtes auffassen“, erwiderte Hedwig Dohm:
„Die Frau soll verschließbares Eigentum sein? Sie will nicht. Ich kann nicht finden, dass sie, wie Nietzsche meint, sich dieser ungeheueren Dummheit so sehr zu schämen hätte.“
Über die im 19. Jahrhundert noch gängige und teilweise geforderte Gewohnheit, „anständige“ Frauen hätten ein Kopftuch zu tragen, vor allem, wenn sie alt seien, sagte Hedwig Dohm:
„Lasst euer weißes Haar, wenn ihr es habt und es euch bequem ist, frei um das Haupt wallen.“
Als Feministin setzte sich Hedwig Dohm intensiv mit Religionen auseinander. Sie analysierte die Verbindung zwischen religiösen Dogmen und der Unterdrückung von Frauen. Das sie dies nicht ohne Gefahr vor Anfeindungen tat, beschreibt sie in ihrem Text „Der Jesuitismus im Hausstande“. Dort zeigt sie, was einer Frau droht, wenn sie es wagt, eine Religion zu kritisieren:
„Unsittlich erscheint der Menge stets alles Ungewöhnliche, was sie aus dem Zauberbann ihrer Phrasen, ihrer brunnentiefen Gemütsruhe aufschreckt, was sie zwingen will, sich an eine sittliche Norm zu binden. Die Bedrohung ihrer chronischen Lieblingssünden erzeugt bei ihr stets einen akuten Tugendrappel (…) „Jeder Gedanke, wenn er wirklich einer ist, ist ein wenig ketzerisch“, schrieb neulich einer unserer geistreichsten Abgeordneten. Das Bestreben, neue Sitten, neue Prinzipien einzuführen, erscheint der Menge wie ein Konkurrenz-Unternehmen, das ihre rechtmäßigen Zinsen an Lebensfreuden, die die alten Sitten ihr abwarfen, bedroht.“
Am 29. Juni 2019 wird die EMMA-Cartoonistin Franziska Becker mit der Hedwig-Dohm-Urkunde des Journalistinnenbunds ausgezeichnet. Sso wie es damals ehrbare und bescheidene Menschen gab, die Hedwig Dohm dämonisierten, weil sie es gewagt hatte, radikal zu denken und zu spotten und dabei sogar vor Religionen nicht zurückschreckte, so bekommen auch heute einige Leute in den sozialen Netzwerken des 21. Jahrhunderts einen Tugendrappel und werfen Franziska Becker vor, rassistisch zu sein, weil sie es in ihren reichhaltigen Werk auch gewagt hat, eine Religion zu kritisieren.
Dabei kritisieren diese ehrbaren und bescheidenen Kritikerinnen und Kritiker nicht Beckers polemische Karikaturen zum Christentum, zum Beispiel das Bild, wo ein christlicher Priester mit einem Schild, auf dem „Recht auf Leben“ steht, brutal auf eine Frau einprügelt, sondern sie werfen Franziska Becker vor, dass sie auch den Islam kritisiert hat.
Die in der Kritik stehenden Bilder machen nur einen winzigen Teil des Werks von Franziska Becker aus. Der Islam als Ziel des Spottes taucht bei der Künstlerin sogar erstaunlich selten auf. Dennoch wird sie von den im Tugendrappel befindlichen Kritikerinnen und Kritiker zur Rassistin erklärt, weil sie es wagt, Islamistinnen nicht nur zu zeichnen, sondern sich auch über sie lustig zu machen.
Rassismus ist die Beurteilung eines Menschen aufgrund seiner Herkunft. Die Beurteilung eines Menschen aufgrund seiner Überzeugungen und Bekenntnisse ist jedoch Kritik. Kritik ist kein Rassismus. Kritik war und ist der Motor der Aufklärung. Franziska Becker übt Kritik, auch am Islam, denn als Feministin kann sie nicht so tun, als wäre die zweitgrößte Religion der Welt mit über 1,6 Milliarden Anhängerinnen und Anhängern nicht auch vom Sexismus befallen.
Wenn sie eine Islamistin zeichnet, muss diese Islamistin Kopftuch tragen, da alle Islamistinnen Kopftuch tragen. Wie sonst sollte sie eine Islamistin zeichnen? Ohne Kopftuch? Dann wäre sie keine Islamistin. Damit erklärt Franziska Becker jedoch nicht alle Kopftuchträgerinnen zu Islamistinnen, denn zwar tragen alle Islamistinnen Kopftuch, aber nicht alle Kopftuchträgerinnen sind Islamistinnen. Wenn Becker einen Neonazi mit Deutschlandfahne zeichnet, erklärt sie damit schließlich auch nicht alle Menschen mit Deutschlandfahne zu Nazis.
In ein paar Cartoons zeigt Franziska Becker, wie es aussehen würde, wenn die radikale Auslegung der Scharia, wie sie in einigen islamisch geprägten Ländern leider Realität ist, auch in Deutschland Realität wäre. Sie macht damit auf die brutale Unterdrückung von Frauen in islamischen Ländern aufmerksam und karikiert Kulturrelativisten, die diese Gewalt als bloße religiöse Eigenart herunterspielen. Diese Karikaturen haben absolute Verteidigung verdient. Sie sind nicht krasser oder beleidigender als jede andere Karikatur Beckers zu anderen Gruppen. Es gibt allerdings einen Unterschied:
Für Karikaturen zum Islam lebt man heute auch in Europa gefährlich. Wenn Künstlerinnen und Künstler in Gefahr leben, weil sie eine Religion kritisieren, dann ist alles, was auch nur insinuiert, die Kritik und der Spott an dieser Religion sei in irgendeiner Weise ein Verbrechen, ein Stärken jener Fundamentalisten, die ihre Ideologie vor Kritik abschirmen wollen.
Was Franziska Becker macht ist eine Selbstverständlichkeit. Sie wagt es, als Frau so zu spotten, wie es für Männer seit Jahrhunderten eine Selbstverständlichkeit ist. Wer dieser Frau nun auf die Finger kloppt, weil sie es wagt, mit den Mittel des beißenden Spotts sexistische Strukturen einer Religion zu karikieren, die in ihrer aktuell brutalsten Ausrichtung sogar für staatlich sanktionierte Verfolgung und Tötung von emanzipierten Frauen verantwortlich ist, fällt sowohl Artikel 3 (Gleichheit vor dem Gesetz) als auch 5 (Meinungsfeiheit) des Grundgesetz‘ in den Rücken.
Religiöse Gewalt gegen Frauen existiert. Sie ist real! Franziska Becker holt uns in die Verantwortung. Sie zeigt, wie es aussieht, wenn auch unsere Freundinnen und Nachbarinnen unter diese fundamentalistische Ideologie leben müssten und zwar unabhängig davon, welche Hautfarbe sie haben. Franziska Becker ist eine Feministin und wie Hedwig Dohm erklärt sie:
„Die Menschenrechte haben kein Geschlecht!“
Franziska Becker hat bereits für die Rechte der Frauen gestritten, als Frauen in Deutschland noch diskriminiert wurden, als Ehemänner ihren Ehefrauen das Geldverdienen verbieten durften, wie in die 70er Jahren und als Vergewaltigung in der Ehe noch kein Verbrechen war, wie in den 90er Jahren. Oft wurde sie für ihren Kampf verbal angegriffen und beleidigt, nicht selten von religiösen Helden der Feder, die erklärten, sie würde mit ihrer Kritik die anständige Ordnung ins Chaos stürzen.
Heute spürt Franziska Becker diesen Hass wieder. Wieder ist es eine Religion, die diesen Hass befeuert. Wieder wird das Recht der Frau der Befindlichkeit einer Religion untergeordnet. Den Menschen, die Franziska Becker heute vorwerfen, sie wäre eine Verbrecherin, weil sie es wagt, eine Religion zu kritisieren, sei gesagt: „Mein Sinn empört sich gegen dieses Übermaß von Selbstgerechtigkeit.“
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