„Es gibt Roberto Benignis „Das Leben ist schön“. Und es gibt Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer, die keine Holocaust-Filme drehen sollten. Wir gehören nicht zu letzteren.“
Dieser Bewertung stammt von Philipp Ruch. Er gehört zu der Aktionsgruppe Zentrum für politische Schönheit (ZPS).
Es bedarf schon einer gehörigen Portion Arroganz, Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit, so einen Satz auszusprechen.
Philipp Ruch maßt es sich an, darüber zu urteilen, welche Künstler besser oder schlechter dafür geeignet sind , sich künstlerisch mit dem Holocaust auseinanderzusetzen. Wer glaubt Herr Ruch eigentlich, dass er ist? Mr. Holocaust-Remembrance? Super-Nicht-Vergessen-Man. Ist Philipp Ruch etwa ein Herrenmensch der Vergangenheitsbewältigung?
Philipp Ruch stellt fest: „Aber der Holocaust ist und bleibt die Motivation für all unsere Aktionen.“
Wie diese Motivation aussieht, konnte im Jahr 2019 bestaunt werden. Hochmotiviert grub das ZPS in über zwanzig Orten in Deutschland, Polen und der Ukraine, an denen die Nazis gemordet haben, nach Asche ermordeter Menschen und brachte einige Überreste nach Berlin, um sie dort vor dem Reichstagsgebäude in einer Säule auszustellen. Zu der Asche erklärte Ruch, das ZPS wisse nicht, welcher Nation, welcher Religion, welcher Widerstandsgruppe die Menschen angehörten: „Die Asche ist wie in der Welt von Schrödingers Katze. Die Identität dieser Menschen lässt sich gerade nicht feststellen. Es ist unmöglich, das Richtige zu tun.„
Die Säule, so erklärte es das Kollektiv, sei eine „Gedenkstätte gegen den Verrat an der Demokratie“, um den deutschen Konservatismus an seine historische Schuld zu erinnern, sich mit den Faschisten eingelassen zu haben. Heute streckten wieder Konservative die Hand nach den Faschisten aus, sagte das ZPS in Hinblick auf die AfD: „Es nicht mit ihnen zu versuchen, nicht mit ihnen zu paktieren – das ist das Gebot der Stunde.“
Während des Holocaust wurden Juden in Vernichtungslager deportiert, dort ermordet und im Jahr 2019 deportierte das Zentrum für Politische Schönheit die Asche der Ermordeten nach Berlin, um mit den sterblichen Überresten politische Kunst zu machen. So sieht politische Schönheit in Deutschland von hochmotivierten Künstlern aus. Ich hätte es besser gefunden, wenn Opa seine künstlerischen Enkel irgendwie anders angefeuert hätte.
Nachdem diese Aktion besonders von jüdischen Gemeinden in Deutschland kritisiert worden war, erklärte Philipp Ruch: „Wir haben uns entschuldigt, die Asche aus der Stele genommen und an die Orthodoxe Rabbinerkonferenz übergeben.“
Ich kann mir die Herren und Damen vom Zentrum für politische Schönheit lebhaft vorstellen. In Ihrer Schulzeit haben sie gewiss jeden 9. November betroffen vor dem Gedenkstein in ihrem Heimatdorf gestanden, um an die Synagoge zu erinnern, die 1938 von den Nazis niedergebrannt wurde. An einem 27. Januar haben sie gewiss eine Klassenfahrten nach Theresienstadt gemacht oder wenigstens „Schindlers Liste“ im Leistungskurs Geschichte geschaut. Bestimmt haben sie auch mit Oma und Opa über die Zeit des Nationalsozialismus‘ gesprochen.
Sie sind vorbildliche Vergangenheitsbewältiger. Jedes Jahr wurden sie besser. Heute sitzen sie ganz weit auseinander von der Vergangenheit. Sie sind hier und irgendwo, ganz weit weg, die dunkele, böse Vergangenheit. Die Distanz bewirkt Wunder. Heute graben sie nach Asche, malen sich die Gesichter an und zeigen, wozu schöne Kunst in der Lage ist.
Vergangenheitsbewältigung ist mittlerweile neben Autos und Bier das wichtigste Wirtschaftsgut des Exportweltmeisters Deutschland. Wie dramatisch sähen die Arbeitslosenzahlen in Deutschland aus, wenn es all die Arbeitsplätze in den Lern-, Gedenk- und Dokumenationsstätten, in den Holocaustforschungsinstituten und Universitäten der Antisemitismusforschung nicht geben würde. Die Stadt Berlin wäre um einer ihrer beliebtesten Sehenswürdigkeiten ärmer: das Holocaust Mahnmal, von dem Altkanzler Gerhard Schröder einst gesagt hat, es sei ein Ort, „wo man gerne hingeht“. Der Historiker Eberhard Jäckel brachte es sogar fertig, zu sagen: „Es gibt Länder in Europa, die uns um dieses Denkmal beneiden.“
Ohne Holocaust hätte das ehemalige Waffen-SS-Mitglied Günter Grass niemals „Die Blechtrommel“ geschrieben und somit vermutlich auch nie den Nobelpreis für Literatur erhalten. Ohne Holocaust hätte Volker Schlöndorff niemals „Die Blechtrommel“ verfilmen können und daher nie den Oscar für diesen Film erhalten. So gut wie alle Oscars für den deutschsprachigen Raum sind Resultate der Vergangenheitsbewältigung: Volker Schlöndorffs „Die Blechtrommel“, Caroline Links „Nirgendwo in Afrika“ und Christoph Waltz Oscar für die Rolle eines Nazis.
Das Zentrum für politische Schönheit aber stellt all das in den Schatten und instrumentalisiert die Vernichtung, weil es fest davon überzeugt ist, den Horror gut genug verstanden zu haben, um es als Instrument der politischen Debatte zu nutzen. Im Gegensatz zu Til Schweiger, dessen Schaffen mit der Kunstauffassung und dem Schönheitsideal des ZPS nicht in Einklag zu bringen ist. Diese Form der künstlerischen Arroganz ist nicht neu. Die Nazis hatten dafür damals einen sehr unschönen Begriff.