Die Kinderfresser von Bern und Köln

In Bern steht der sogenannte Kindlifresser-Brunnen. Dieser Brunnen zeigt einen monströsen Menschen, der ein kleines nacktes Kind verschlingt. In seinem umgehängten Sack hat er noch weitere Kinder, die er fressen will. Der Kinderfresser hat einen nach oben verlaufenden Spitzhut auf. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Judenhut, den Juden im Mittelalter tragen mussten, um sich als Juden kenntlich zu machen. Bei dem Kinderfresser handelt es sich somit um einen Juden.

Die hier dargestellte Grausamkeit gehört zu den vielen judenfeindlichen Ritualmordlegenden, die im späten Mittelalter über Juden verbreitet wurden, um Gewalt gegen sie zu rechtfertigen und ihre Verfolgung und Vertreibung voranzutreiben. Juden wurden satanischer Verbrechen beschuldigt, um sie wie den Teufel austreiben zu können. Zu den Lügen gehörten Hostienfrevel, Brunnenvergiftung und Ritualmorde, oft verbunden mit Kindesentführungen. Aufgrund dieser Lügen wurden im Mittelalter viele Juden vernichtet, auch in Bern.

Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts der Brunnen restauriert wurde, berichtete die Berner Presse, der Brunnen erinnere an ein Ereignis, als „die Juden in dieser Stadt ein Christkind langsam zu Tode marterten – kreuzigten, woraufhin sie vom Rat von Bern verbrannt worden seien“.

Heute ist der Stadt Bern diese Geschichte peinlich, so peinlich, dass sie heute nicht mehr Lügen über Juden verbreitet, dafür aber Lügen über den Brunnen. Bei Stadtführungen wird die Figur gerne als „humorvolle Fastnachtsfigur und Kinderschreckfigur“ verharmlost oder behauptet, es handele sich bei der abgebildeten Person um die Darstellung des römischen Gottes Saturn, der mit dem griechischen Titan Kronos identifiziert wird. Saturn ist der Gott des Ackerbaus und wird daher in traditionellen Darstellungen mit Sichel oder Sense dargestellt. Auch Kronos Erkennungszeichen ist eine Sichel. Dieses Erkennungszeichen fehlt bei dem Kindlifresser-Brunnen.

Der Brunnen ist ein Zeugnis des Judenhass in Bern und geht auf einen Ritualmordvorwurf von 1294 zurück. Den Juden der Stadt wurde damals vorgeworfen, einen Jungen mit dem Namen Rudolf ermordet zu haben. Aufgrund des Gerüchts kam es zu einem Pogrom, bei dem die Juden der Stadt überfallen und ausgeplündert wurden. Bei dieser Gelegenheit kam es zu einer erzwungen Tilgung aller Schulden bei jüdischen Geldgebern und die Obrigkeit fällte einen Entscheid, mit dem die Juden für immer aus der Stadt vertrieben werden sollten.

In späterer Zeiten wurde Rudolf von Bern teilweise als Märtyrer und Heiliger verehrt. Im offiziellen Heiligenkalender wird sein Namenstag mit dem 17. April angegeben.

Die Geschichte von Rudolf von Bern trägt die Züge von Werner von Oberwesel. Sein Namenstag war der 19. April. Werner war ein junger Tagelöhner, der Opfer von jüdischen Ritualmördern geworden sein soll. In Bacharach am Rhein wurde für ihn ab 1289 eine „Werner“-Kapelle ausgebaut. Seine Verehrung führte zu einer Menge aufhetzerischen Legenden, die besonders im Rheinland verbreitet wurden. Auf den angeblichen gemeinschaftlichen jüdischen Mord folgte eine Pogromwelle, die auch Köln heimsuchte. Wie Bern wurden auch in Köln irgendwann alle Juden vertrieben. Im Jahr 1424 durfte kein Jude mehr in Köln leben.

Im Jahr 1963 wurde Werner zwar aus dem Heiligenverzeichnis gestrichen, das bedeutet aber nicht, dass danach nicht weiterhin kinderfressende Juden in Köln dargestellt wurden.

Von 2004 bis 2015 stand vor dem Kölner Dom eine Dauerausstellung, wo in zunehmend verzerrender und einseitiger Art gegen den Staat Israel polemisiert wurde. Es wurde unter anderem behauptet, das israelische Volk würde schon seit Jahrhunderten die Welt erpressen. Im Jahr 2010 wurde gegen die Installation Strafanzeige wegen des Verdachts auf Volksverhetzung gestellt, da dort eine Karikatur gezeigt wurde, auf der ein Jude zu sehen war, der ein Kind isst und sein Blut trinkt.

Die Kölner Staatsanwaltschaft erhob jedoch keine Anklage mit der Begründung, die Karikatur sei nicht antisemitisch, da die dargestellte Person auf der Karikatur nicht als Jude erkennbar sei, weil er keine „Krummnase“ habe. Klingt unglaublich, ist aber so. In der Begründung (Aktenzeichen 121 Js 105/11) steht:

„Es ermangelt der Abbildung einer tauglichen Erklärung, die geeignet wäre, den Anforderungen an die tatbestandlichen Voraussetzungen zu genügen. Dem in die Plakataktion eigebetteten Bild müsste ein Erklärungsgehalt beizumessen sein, der eindeutig und unmissverständlich und damit zweifelsfrei einen solchen strafrechtlich relevanten Inhalt vermittelt. (…) Typisch für antijüdische Bilddarstellungen zu allen Zeiten ist die Verwendung von bestimmten anatomischen Stereotypen, die den Juden schlechthin charakterisieren sollen. Dabei werden insbesondere Gesichtsmerkmale überzeichnet, um den Juden als hässlich, unansehnlich und rassisch minderwertig erscheinen zu lassen (jüdische „Krummnase“, etc.) Einer solchen Bildsprache wird sich vorliegend nicht bedient.“

Mit anderen Worten: Da die abgebildete Person keine Krummnase hat, kann sie nicht als Jude erkannt werden und darum liegt kein Antisemitismus vor.

Vielleicht sollte sich Bern juristischen Rat aus Köln holen. Beiden Städten ist ihre judenfeindliche Geschichte schließlich so peinlich, dass sie vor keiner noch so albernen Erklärung zurückschrecken.

In Köln feiert man Karneval. In Bern feiert man Fasnacht. Ich habe lange Zeit nicht verstanden, was der Unterschied zwischen Karneval und Fasching ist, aber ich glaube, jetzt habe ich es raus: Leute die Karneval feiern, nennt man Karnevalisten.

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Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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