Der deutsche Siegfried und der Drache des Antisemitismus-Vorwurfs

Über sechzig besorgte Bürgerinnen und Bürger haben einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel unterzeichnet.

Sie sind jedoch nicht besorgt, dass Mahmud Abbas in der palästinensischen Autonomie seit dem 9. Januar 2009 ohne demokratische Legitimation regiert, dass dort Korruption herrscht, Menschen mit kritischen und abweichenden Meinungen verfolgt werden, Homosexualität strafbar ist, in Schulbüchern der Hass auf Israel und Juden gelehrt wird, Terroristen und deren Angehörige mit hohen Gehältern und Renten gefördert werden und dafür die Infrastruktur und der Aufbau einer Verwaltung vernachlässigt wird. Ihre Sorge gilt vielmehr „dem inflationären, sachlich unbegründeten und gesetzlich unfundierten Gebrauch des Antisemitismus-Begriffs, der auf die Unterdrückung legitimer Kritik an der israelischen Regierungspolitik zielt.“

Ein Unterzeichner des Briefs ist Dr. Wolfgang Benz. In seinem Buch „Streitfall Antisemitismus – Anspruch auf Deutungsmacht und politische Interessen“ stellt er die Frage: „Wann überschreitet berechtigte Kritik an der Politik Israels gegenüber den Palästinensern die Grenzen und ist Judenfeindschaft?“

Nichts ist einfacher als die Beantwortung dieser Frage. Berechtigte Kritik an Israel überschreitet nie die Grenzen zur Judenfeindschaft. Berechtigte Kritik ist, wie der Begriff selbst sagt, berechtigt. Lediglich unberechtigte Kritik an Israel kann judenfeindlich sein, nämlich dann, wenn in der Kritik Israel dämonisiert wird, dem Staat Israel seine Legitimation abgesprochen wird und Juden für etwas kritisiert werden, was bei allen anderen Menschen toleriert wird. In dem Brief heißt es: „Unsere Sorge ist besonders groß da, wo diese Tendenz mit politischer und finanzieller Unterstützung des Antisemitismusbeauftragten gefördert wird.“

Als Beispiel, welches „menschenverachtende Ausmaß solche Aktivitäten annehmen“ kann, wird in dem Brief das Buch „Der neu-deutsche Antisemit“ von Arye Sharuz Shalicar genannt, weil der Autor dort Dr. Reiner Bernstein kritisiert und ihn als Antisemiten bezeichnet. Wer ist dieser Reiner Bernstein?

Reiner Bernstein ist ein deutscher Historiker und Publizist, der zu dem Thema „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ promoviert hat. Seitdem hat er zahlreiche Bücher und Aufsätze zum Thema Nahostkonflikt veröffentlicht. Von 1969 bis 1970 war er Redakteur beim Saarländischen Rundfunk und von 1971 bis 1977 war Leiter der Bundesgeschäftsstelle der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Bonn. Allerdings verließ er die Deutsch-Israelische Gesellschaft im Jahr 1977, da er merkte, dass er dort Israel nicht so sehr kritisieren konnte, wie er wollte.

Um Israel besser kritisieren zu können, gründete er den „Deutsch-israelischen Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten“. Von 2007 bis 2011 war er Vorsitzender der „Initiative Stolpersteine für München e.V.“ Zudem wirkt er mit seiner Frau Judith als Vertreter der israelisch-palästinensischen Genfer Initiative in Deutschland. Diese ist auch Mitglied der „Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München“, die die Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) mit folgenden Worten unterstützt:

„Und ja, wir haben uns im Kontext unseres politischen Handelns dafür entschieden, den Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft zum Boykott Israels, zum Investitionsabzug aus Israel und zu Sanktionen gegenüber Israel mitzutragen.“ 

Was für eine deutsche Biografie. Immer wieder wird Reiner Bernstein von Israelkritikern eingeladen. In der Evangelischen Stadtakademie Bochum sprach er von einer „Weisung“, die ein Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Israel ihm gegenüber mal mit dem Begriff „wissenden Unbefangenheit“ zum Ausdruck gebracht haben soll:

„Wir wissen um die Shoa. Wir wissen um die deutschen Verbrechen. Wir wissen, dass wir daraus die Lektion für die Gegenwart und Zukunft ziehen müssen. Aber wir wissen auch und bitte, denkt Ihr Deutschen daran, wenn Ihr nach Israel kommt, so viel Unbefangenheit mitzubringen, dass ihr unsere Politik kritisch begleitet.“

Dieser Leitsatz sei ihm im Gedächtnis geblieben: „Das Wort von der unwissenden Unbefangenheit und sich gegen jede Manipulation hier und dort der Shoa zur Wehr zu setzen, der Manipulation zu politischen Zwecken, die nicht die unseren sein können, wenn es um das Wohl des deutschen als auch des israelischen Gemeinwesens geht.“

Diesen Gedanken muss man erst einmal fertig bringen. Die Deutschen müssen sich gegen die Manipulation des Holocausts zur Wehr setzen. Reiner Bernstein behauptet, die Israelis würden mit ihrem Erinnern Politik machen und erklärt somit den Holocaust zu einer Waffe der Israelis. Der deutsche Siegfried hat sechs Millionen Menschen in seinen Feueröfen zusammengeschmolzen, um daraus ein Schwert für die Juden zu schmieden. Reiner Bernstein aber leistet Widerstand und ruft trotzig etwas, das so klingt wie: Zu den Waffen Deutsche, wehrt Euch!

Diesen Reiner Bernstein hat Arye Sharuz Shalicar gewagt zu kritisieren. In dem Brief wird er dafür als „menschenverachtend“ bezeichnet. Es ist schon spannend, dass jene, die behaupten, man könne Israel nicht kritisieren, selbst alles dafür tun, dass Kritik an Israelkritik unterbunden wird, indem sie ganz wichtig die Bundeskanzlerin kontaktieren, in der Hoffnung, dadurch diesem Treiben ein Ende zu setzen.

In dem Brief wird ganz im Stile von Reiner Bernstein behauptet, manchen Juden würden den Antisemitismus instrumentalisieren: „Wo kritischer Dialog notwendiger denn je ist, schafft die missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusvorwurfs zunehmend auch in Deutschland eine Stimmung der Brandmarkung, Einschüchterung und Angst.“

Die Tatsache, dass Juden alle Formen des Antisemitismus‘ kritisieren, weil sie Opfer eben aller Formen des Judenhass‘ werden können, wird in dem Brief zu einer bösen Absicht gewisser Juden erklärt. Sie holen den Antisemitismus-Vorwurf wie eine Waffe hervor, kalt, berechnend und emotionslos, um damit eine Stimmung der „Brandmarkung, Einschüchterung und Angst“ zu schüren. In dem Brief heißt es: „In dieser Atmosphäre wundert es nicht, dass das Berliner Kammergericht Bernsteins Klage gegen seine Verleumdung zurückgewiesen hat.“

Mit diesen Worten wird insinuiert, gewisse Juden hätten die deutschen Gerichte fest in ihren Händen. Deutsche Institutionen kuschen vor ihnen, weil sie Angst und Schrecken mit dem Antisemitismus-Vorwurf verbreiten. Für mich ist das lupenreiner Antisemitismus.

Israel zu kritisieren, ist nicht antisemitisch, aber zu behaupten, Juden hätten die Macht, aus dem Antisemitismus nicht nur Profit zu schlagen, sondern damit sogar unabhängige Gerichte in Deutschland in die Knie zu zwingen, ist zutiefst antisemitisch.

Antisemiten sind Wahnsinnige, die die Welt so sehen, wie sie sie sehen wollen. In Deutschland wird Israel kritisiert wie kein anderes Land. Israel wird stets und überall nach allen Regeln der Doppelmoral, Delegitimierung und Dämonisierung kritisiert. Der Glaube an die Schwierigkeit, Israel zu kritisieren, ist eine Wahnvorstellung. Es ist Antisemitismus!

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Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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