Caryl Churchill und Portia

Eigentlich hätte die britische Autorin Caryl Churchill am 20. November 2022 den mit 75.000 Euro dotieren „Europäischen Dramatiker:innen Preis 2022“ als Würdigung für ihr Gesamtwerk im Schauspiel Stuttgart entgegen nehmen sollen, aber daraus wird jetzt doch nichts. Das Schauspiel Stuttgart hat nämlich erklärt, die Verleihung des vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg geförderten Preis an Caryl Churchill mit „großem Bedauern“ abzusagen.

Die Jury erklärt die Aberkennung des Preises damit, dass die beiden Stücke „Seven Jewish Children“ und „A Play for Gaza“ von Caryl Churchill antisemitisch wirken könnten, aber vor allem damit, dass die Jury inzwischen Kenntnis von Unterschriften der Autorin im Zusammenhang mit der israelfeindlichen Boykottbewegung BDS („Boycott, Divestment and Sanctions“) erlangt habe. Die Unterstützung von BDS durch die beinah Gewürdigte ist jedoch nicht neu. Springen wir einfach mal zehn Jahre in die Vergangenheit.

Vorhang auf! London 2012.

Im April 2012 fand im Londoner Globe Theatre das Festival „Globe to globe – 37 languages, 37 plays“ statt. Bei dem Festival wurden 37 Nationen Inszenierungen von Shakespeares Dramen in ihren Landessprachen präsentiert. Das Globe Theatre erklärte, bei dem Festival handle es sich um eine „Feier von Sprachen, nicht um eine Feier von Nationen und Staaten“.

Aus Russland war „Maß um Maß“ aus Moskau eingeladen, aus Weißrussland „König Lear“, aus China „Richard III“ und aus der palästinensischen Autonomiebehörde „Richard II“ aus Ramallah. Trotz der teilweise massiven Menschenrechtsverletzungen in China, Weißrussland, Russland und der palästinensischen Autonomie waren diese Inszenierung herzlich eingeladen. Es gab nur ein Land, bei dem die Herzlichkeit aufhörte.

Die Dramatikerin Caryl Churchill und einige weitere Künstlerinnen und Künstler wie zum Beispiel die Schauspielerin Emma Thompson sprachen sich dafür aus, ein Ensemble von der Bühne des Globe Theatre zu vertreiben. Ihr Vergehen: Sie kamen aus Tel Aviv in Israel. 

Ausgerechnet die Dramatikerin Caryl Churchill, die mit ihrem Theaterstück „Top Girls“ ein Meisterinnenwerk des Feminismus verfasst hat, Warum sprach sich gegen das einzige Land im Nahen Osten aus, in dem Männer und Frauen, mögen sie nun heterosexuell oder homosexuell sein, vor dem Gesetz gleich sind.

Caryl Churchill behauptete, Israel betreibe eine Siedlungspolitik, die nicht akzeptabel sei, schwieg aber bei der Besatzungspolitik Chinas und hatte auch bei Weißrussland keine so großen Bedenken. In dieser Farce rund um ein Shakespeare-Festival erinnern mich Caryl Churchill an eine Frau aus einem Stück von William Shakespeare. Die Figur heißt Portia und taucht in dem Stück „Der Kaufmann von Venedig“ auf.

Portia ist die Frau, die dafür sorgt, dass der Jude Shylock aus Venedig vertrieben wird, einfach nur weil er so ist, wie alle anderen Menschen in Venedig auch. Shylock weigert sich, strikter nach den christlichen Prinzipien zu leben als die Christen selbst, die sich allesamt nicht an ihre eigenen Regeln halten. In „Der Kaufmann von Venedig“ erleben wir eine christliche Gesellschaft, die von dem Juden Shylock eine Verhaltensweise abverlangt, die sie selber nicht in der Lage ist zu befolgen. Dafür bestrafen die christliche Gesellschaft den Juden Shylock umso heftiger, nachdem sich herausstellt, dass er den christlichen Geboten nicht besser folgen kann und möchte als die Christen selbst. Shylock will und kann nicht besser sein als jeder andere Menschen und bringt dies mit diesen berühmt gewordenen Worten zum Ausdruck:

„Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen? Sind wir euch in allen Dingen ähnlich, so wollen wir’s euch auch darin gleich tun. Wenn ein Jude einen Christen beleidigt, was ist seine Demut? Rache. Wenn ein Christ einen Juden beleidigt, was muss seine Geduld sein nach christlichem Vorbild? Nu, Rache.“

Shylock ist ein Mensch mit Gefühlen und Ängsten. Wenn er bedroht oder angegriffen wird, verteidigt er sich. Zur Not versetzt er seine Umwelt sogar in Angst und Schrecken, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, das eigene Leben zu bewahren. Aber in Venedig dürfen Juden keine Menschen sein. 

Die Figur des Shylock zeigt uns, was den Judenhass im Inneren auszeichnet: Der Judenhasser kritisiert an Juden Dinge, die er bei allen anderen durchgehen lässt. Im Jahr 2012 war Caryl Churchill eine solche Judenhasserin.

Wie soll sich Israel denn Churchills Meinung nach zu der Tatsache verhalten, dass die radikale Hamas erklärtermaßen alle Juden weltweit vernichten will, während die gemäßigte Fatah die Vernichtung lediglich auf Israel beschränken möchte? Wie soll sich Israel gegenüber der Tatsache verhalten, dass Minister der Hamas Juden als Bakterien bezeichnen, während zur gleichen Zeit immer wieder Raketen auf Israel abgefeuert werden?

Israel ist ein Land, das seit seiner Gründung in seiner puren Existenz bedroht wird und dennoch hält Israel die Standards einer freien und demokratischen Gesellschaft aufrecht. Gibt es irgendeinen Venezianer, der sich bei vergleichbarer Bedrohung besser verhalten würde als Israel? Nein, gibt es nicht! 

Für die Portias der Welt ist Israel wie Shylock. Es reicht nicht, dass Israel menschlich ist, Israel muss übermenschlich sein, um leben zu dürfen. Israel muss es nicht genauso gut machen wie alle anderen Länder, es reicht auch nicht, besser zu sein, nein, Israel muss perfekt sein, um existieren zu dürfen. Die Portias der Welt loben die Diktatoren der palästinensischen Autonomie schon, wenn sie sich nicht offen wie Hitler geben, aber verteufeln die demokratisch gewählten Vertreter Israels, wenn sie keine fehlerfreien Engel sind.

Israel ist nicht perfekt und deshalb sprechen sich sich Menschen wie Caryl Churchill erbarmungslos dafür aus, Israel von der Londoner Bühne zu vertreiben, so wie Portia den Juden Shylock als Richter verkleidet aus Venedig vertrieben hat. Ironischerweise war das Stück des Habima Ensemble aus Tel Aviv, das Caryl Churchill von der englischen Bühne vertreiben wollte, ausgerechnet „Der Kaufmann von Venedig“.

Der Vorhang fällt langsam.

„Portia und Shylock“ – Thomas Sully (1783–1872)
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Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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