Im April 2012 fand im Londoner Globe Theatre das Festival „Globe to globe – 37 languages, 37 plays“ statt. Bei dem Festival wurden 37 Nationen Inszenierungen von Shakespeares Dramen in ihren Landessprachen präsentiert. Das Globe Theatre erklärte, bei dem Festival handle es sich um eine „Feier von Sprachen, nicht um eine Feier von Nationen und Staaten“.
In Russland werden Homosexuelle verhaftet, dennoch war „Maß um Maß“ aus Moskau eingeladen.
In Weißrussland herrscht der letzte lupenreine Diktator Europas, dennoch war „König Lear“ aus Minsk eingeladen.
In China werden Künstler unter „Hausarrest“ gefangen gehalten und Tibet besetzt gehalten, dennoch war „Richard III“ aus Peking eingeladen.
Die Führer der palästinensischen Autonomiebehörde fordern die Vernichtung aller Juden, dennoch war „Richard II“ aus Ramallah eingeladen.
Bei einem Land jedoch sollte eine Ausnahme gemacht werden!
Die Schauspielerin Emma Thompson, die Dramatikerin Caryl Churchill und einige weitere Künstlerinnen und Künstler sprachen sich im Vorfeld des Festivals dafür aus, ein Ensemble von der Bühne des Globe Theatre zu vertreiben. Ihr Vergehen: Sie kamen aus Tel Aviv in Israel! Ich schrieb damals folgende Mails an die Künstlerinnen:
Liebe Emma Thompson,
Sie haben in den 90er Jahren zusammen mit Ellen DeGeneres für die Gleichberechtigung von Homosexualität gekämpft. Warum sprechen Sie sich heute gegen das einzige Land im Nahen Osten aus, in dem Schwule und Lesben vor dem Gesetz gleich sind? Warum boykottieren Sie Israel, nicht aber die palästinensische Autonomiebehörde, die Homosexuelle verfolgt und sich zudem noch für die Vernichtung aller Juden ausspricht?
Liebe Caryl Churchill,
Sie haben mit dem Theaterstück „Top Girls“ ein Meisterinnenwerk des Feminismus verfasst. Warum sprechen Sie sich heute gegen das einzige Land im Nahen Osten aus, in dem Männer und Frauen vor dem Gesetz gleich sind? Warum boykottieren Sie Israel, nicht aber die palästinensische Autonomiebehörde, die Frauen nicht alle Rechte garantiert?
Sie sagen, Israel betreibe eine Siedlungspolitik, die nicht akzeptabel sei, aber warum ist die Siedlungspolitik Israels für Sie kritikwürdiger als die Besatzungspolitik Chinas oder Indiens? Warum ist die Politik der Demokratie Israels für Sie kritikwürdiger als die Politik der Diktatur Weißrusslands?
Liebe Caryl Churchill,
Liebe Emma Thompson,
Sie erinnern mich an eine Figur aus einem Stück von William Shakespeare. Die Figur heißt Portia aus dem Stück „Der Kaufmann von Venedig“.
Portia ist die Frau in „Der Kaufmann von Venedig“, die dafür sorgt, dass der Jude Shylock aus Venedig vertrieben wird, weil er so sein, wie alle anderen auch! Shylock weigert sich, nach den christlichen Prinzipien zu leben, die nicht mal von den Christen in Venedig selbst eingehalten werden.
In „Der Kaufmann von Venedig“ erleben wir eine christliche Gesellschaft, die von dem Juden Shylock eine Verhaltensweise abverlangt, die sie selber nicht in der Lage ist zu befolgen. Dafür bestrafen diese Gesellschaft den Juden Shylock umso heftiger, nachdem sich herausstellt, dass er den christlichen Geboten nicht besser folgen kann und möchte als Christen. Shylock will und kann nicht besser sein als jeder andere Mensch. Er bringt es mit diesen Worten zum Ausdruck:
„Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen? Sind wir euch in allen Dingen ähnlich, so wollen wir’s euch auch darin gleich tun. Wenn ein Jude einen Christen beleidigt, was ist seine Demut? Rache. Wenn ein Christ einen Juden beleidigt, was muss seine Geduld sein nach christlichem Vorbild? Nu, Rache.“
Shylock ist ein Mensch mit Gefühlen und Ängsten. Wenn er bedroht oder angegriffen wird, verteidigt er sich. Zur Not versetzt er seine Umwelt sogar in Angst und Schrecken, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, das eigene Leben zu bewahren. Kommt Ihnen nicht bekannt vor, liebe Caryl Churchill und Emma Thompson?
Wie sollte sich Israel Ihrer Meinung nach zu der Tatsache verhalten, dass die radikale Hamas erklärtermaßen alle Juden weltweit vernichten will, während die gemäßigte Fatah lediglich Israel zerstören will? Wie soll sich Israel Ihrer Meinung nach verhalten gegenüber der Tatsache, dass Minister der Hamas Juden als Bakterien bezeichnen, während zur gleichen Zeit immer wieder Raketen auf Israel abgefeuert werden?
Können Sie mir ein Land nennen, das über sechzig Jahre in seiner Existenz bedroht wird und dennoch die Standards einer freien und demokratischen Gesellschaft aufrecht erhält? Gibt es irgendeinen Venezianer, der sich bei vergleichbarer Bedrohung besser verhalten hat als Israel? Nein, gibt es nicht!
Aber für die Portias der Welt ist Israel wie Shylock. Es reicht nicht, dass Israel wie Shylock menschlich ist, Israel muss übermenschlich sein. Israel muss es nicht genauso gut oder besser machen als alle anderen Länder, Israel muss perfekt sein. Ist Israel nicht perfekt, dann schlagen Emma Thompson und Caryl Churchill erbarmungslos zu wie Portia. Dann wird der Jude vertrieben!
Liebe Emma,
Liebe Caryl,
das Stück, das das Habima Ensemble aus Tel Aviv in Israel Ende Mai beim Festival im Globe Theatre zeigen möchte und das Sie von der englischen Bühne vertreiben wollen, ist „Der Kaufmann von Venedig“ von William Shakespeare! Es ist ein Stück über einen Juden, der aus Venedig vertrieben wird, weil er nicht besser sein kann und will als alle Christen der Stadt. Sie wollen jetzt Juden von der Bühne des Globe Theatre vertreiben, weil das Land, aus dem sie kommen, nicht besser ist als alle anderen Länder auch. Gerade Menschen wie Sie sollten sich dieses Stück ansehen!