Das Problem beim House of One

Auf dem Petriplatz in Berlin Mitte, dort wo im Jahr 1964 die letzten Reste der zerstörten Petri­kirche abgetragen wurden, soll es entstehen, das House of One, ein Bet- und Lehrhaus, „in dem öffentlich und für jeden frei zugänglich Juden, Muslime und Christen ihre Gottesdienste feiern.“

An die Buddhisten und Hinduisten denkt wieder mal keiner. Was ist eigentlich mit den Mormonen, den Jedirittern und den Scientologen? Warum hat ein Bet- und Lehrhaus für Religionen, die auf die drei Sprachen Hebräisch, Arabisch und Latein fußen, ausgerechnet einen englischen Namen. Und warum steht der ganze Spaß in Deutschland?

Vermutlich wollte man mit einem englischen Namen schon den ersten Konflikt vermeiden. Das Problem ist nur, dass die meisten Menschen, die Englisch als Muttersprache haben, Christen sind. Wenn das nicht noch Ärger gibt.

Das größte Problem des House of One liegt jedoch woanders: Das Christentum und der Islam sind missionarische Religionen, das Judentum nicht!

Christen und Muslime wollen Menschen davon überzeugen, ihrem Glauben beizutreten, Juden nicht. Christen und Muslime haben ein Interesse daran, anderen Menschen ihre Religion schmackhaft zu machen, Juden nicht. Eine missionarische Religion braucht den Dialog als Methode zum Gewinn neuer Mitglieder. Eine nichtmissionarische Religion braucht lediglich Toleranz, ganz nach dem Motto: „Glaub‘ Du, was und woran Du willst, aber hindere mich nicht daran, meinen Glauben zu leben!“

Christen und Muslime haben eine ganz eigene Agenda. Hinzu kommt, dass für Christen die Figuren der Tora von Bedeutung sind. Zur christlichen Religion gehören Noah, Moses und Rebecca. Ein Christ muss sich mit der jüdischen Religion beschäftigen, sein Gott, Jesus, war schließlich Jude. Im Islam wiederum finden sich Figuren des Judentums und des Christentums. Im Koran stehen die Geschichten von Abraham, Jesus und Maria. Jesus stirbt im Koran jedoch nicht am Kreuz und er wird von Muslimen auch nicht als Gott angebetet. Ein Muslim muss sich mit der jüdischen und der christlichen Religion beschäftigen, es sind seine Wurzeln.

Das Judentum hat sich lange vor dem Christentum und dem Islam entwickelt. Eine Beschäftigung mit diesen Religionen kann für einen Juden erhellend sein, ist aber nicht notwendig. Christen und Muslime können einem Juden egal sein. Juden sind Muslimen und Christen jedoch nicht egal. Da liegt das Problem, denn mit Menschen, die mir egal sind, habe ich kein Problem. Was mir egal ist, hasse ich nicht! Nur, was mir nicht egal ist, kann ich hassen.

Ein Jude kann die beiden anderen Religionen ignorieren. Christen und Muslime können das nicht. Eine neue Religion, die nicht nur aus einer alten Religion erwachsen ist, sondern auch glaubt, die alte Religion perfektioniert zu haben und zudem noch missionarisch tätig ist, weil es kein Heil außerhalb ihrer Gemeinschaft geben soll, reagiert verständlicherweise sehr zurückhaltend bis ablehnend gegenüber einem Menschen, der an den alten Glauben festhält.

Juden sind für viele Christen und Muslime schon deshalb ein theologisches Problem, da ihre pure Existenz zeigt, dass die neue Religion doch nicht so töfte, allein seligmachend und perfekt ist und es gute Gründe gibt, bei dem alten Vertrag zu bleiben.

Was Christen und Muslime glauben, ist einem Juden nebbich, denn das Judentum missioniert nicht. Christen und Muslime jedoch missionieren. Sie wollen alle anderen davon überzeugen, das bessere Betriebssystem zu haben, vor allem jene, die noch das alte Betriebssystem auf dem Schirm haben. Juden stellen aus dem Blick eines streng gläubigen Christen und eines Moslems durch ihre pure Existenz die eigene Religion in Frage. Es gibt Muslime, die sagen:

„Die Stunde der Auferstehung wird nicht kommen, solange wir die Juden nicht vernichtet haben. Die Juden werden sich hinter Steinen und Bäumen verstecken. Dann werden die Steine und Bäume zu uns rufen: ‚Oh Moslem, Diener Allahs, da versteckt sich ein Jude hinter mir, komm und töte ihn.‘“

Am 5. Februar 2008 gab der Vatikan bekannt, dass folgende Neuformulierung Benedikts als Karfreitagsfürbitte Geltung hat:

„Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott, unser Herr, ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Retter aller Menschen. [Lasset uns beten. Beuget die Knie. Erhebet Euch.] Allmächtiger ewiger Gott, Du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle aller Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet wird. Durch Christus, unseren Herrn. Amen.“

Was Martin Luther über Juden gesagt hat, ist allgemein bekannt. Da ist vom Verbrennen von Synagogen, der Schändung der Tora und Zwangsarbeit alles dabei. Martin Luther war eben sauer. Er hatte das Christentum reformiert und konnte gar nicht verstehen, dass die Juden auch sein tolles und überarbeitetes Betriebssystem „1517 a.d.“ nicht hochladen wollten.

Muslime wiederum können nicht verstehen, wie jemand das Betriebssystem „Sharia Mo“ ausschlagen kann. Ich möchte daher eine Wette wagen. Christen werden sich deutlich mehr im House of One engagieren als Muslime und beide deutlich mehr als Juden. Christen und Muslime sind schlicht stärker an Juden interessiert als Juden an Christen und Muslime – und wenn ich interessiert sage, meine ich damit das volle Spektrum von Interesse, das auch Hass einschließt.

Manche Christen und Muslime hassen Juden, weil sie wissen, dass es sie ohne Judentum nicht gäbe, während das Judentum hervorragend ohne sie auskommt. Es ist wie in jeder Beziehung, in der die eine Seite deutlich mehr investiert als die andere.

Am Ende werden sich Muslime und Christen im House of One zusammen tun und sagen: „Seht Ihr? Die Juden! Sie sind gar nicht so sehr am Dialog interessiert wie wir! Diese alttestamentarischen Juden aber auch! Unverschämtheit!“

(Bilder: William Wires)

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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