Rabengesang 2.0

Auf einigen Straßen der Welt krächzt zur Zeit die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang. Bei Fackellicht werden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig sind. Ein beschränkter Mob, der viel von Liebe und Glaube greint, dessen Liebe aber nichts anders ist als Hass auf fremde Gedanken und dessen Glaube nur in der Unvernunft besteht und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden weiß, als Statuen zu stürzen und sie zu verbrennen oder zu versenken.

Mich erinnern die jungen Menschen, die heute Bilder der Vergangenheit stürzen, verbrennen und versenken, an jene deutsche Studenten, die sich im Jahr 1817 auf der Wartburg trafen. Am 18. Oktober des Jahres trafen sich ungefähr fünfhundert Studenten und ein paar Professoren zu einer Protestkundgebung gegen reaktionäre Politik und Kleinstaaterei. Bei dem sogenannten Wartburgfest wurden obrigkeitsstaatliche Gegenstände zerstört und sogar Bücher verbrannt. Die Bücher des deutsch-jüdischen Publizisten Saul Ascher wurden mit dem Ruf verbrannt: „Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judentum und wollen unser Volkstum und Deutschtum spotten und schmähen!“

Der Geist von 1817 und der Geist von 2020 sind in ihrem Wesen verwandt. Es sind junge Menschen, die in ihren politischen Gegnern nur noch Feinde erkennen können, als dessen Opfer sie sich betrachten. Sie sind grenzenlos von sich selbst und ihrem Leid ergriffen. Sie sind felsenfest davon überzeugt, dass sie die erste Generation sind, die alles verstanden hat. Sie sind die Guten. All die unzähligen Generationen, die vor ihnen versucht haben, ihren Leben Sinn, Wert und Bedeutung zu geben und dabei sowohl Erfolge als auch Niederlagen erlebten, hatten Unrecht und zwar so sehr, dass die Symbole zur Erinnerung der Vergangenheit zerstört werden müssen. Wer Kritik anmeldet ist reaktionär, böse und steht dem Guten im Weg.

Wer auch nur im mindesten etwas gegen diese Bewegung oder überhaupt gegen manch eine dort entstehende Lächerlichkeit schreibt, kann sich auf massive Diffamierung gefasst machen. Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die manche Auswüchse der Bewegung kritisieren, werden im Jahr 2020 von großen marktbestimmenden Plattformen verbannt. So war es im Jahr 1817 ebenfalls. Heinrich Heine berichtet vom Wartburgfest:

„Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit, dass man ganz ernsthaft debattierte, ob man einen gewissen Berliner Schriftsteller, der sich im ersten Bande seines Werkes gegen die Turnkunst ausgesprochen hatte, bereits auf die erwähnte Proskriptionsliste setzen dürfe: denn der letzte Band seines Buches sei noch nicht erschienen, und in diesem letzten Bande könne der Autor vielleicht Dinge sagen, die den inkriminierten Äußerungen des ersten Bandes eine ganz andere Bedeutung erteilen.“

Auch im Jahr 2020 werden Kritikerinnen und Kritiker zum Schweigen gebracht. Wie im Jahr 1817 gehen auch heute einige Student*Innen, die staatliche Symbole stürzen, eine unheilvolle Verbindung mit jenen Aktivisten ein, die besonders bei Juden außerordentlich kritisch sind und daher besonders vehement und unversöhnlich Israel kritisieren.

Einen traurigen Höhepunkt erreichte eine Jugend, die glaubte, einer Bewegung anzugehören, die eine schöne neue Welt schaffen wird, im Mai des Jahres 1933 als bei einer von der Deutschen Studentenschaft geplanten und inszenierten Aktion am Berliner Opernplatz und in vielen weiteren Städten Bücher ins Feuer geworfen wurden, unter anderem von Heinrich Heine.

Von Heinrich Heine, der die Bücherverbrennung beim Wartburgfest 1817 miterlebte, stammt der Satz: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.”

Der Satz stammt aus Heines Tragödie “Almansor“. Sie spielt im 15. Jahrhundert in Spanien. Der Satz wird von dem Moslem Hassan gesprochen. Er nimmt damit Bezug auf eine Verbrennung des Korans, die während der Eroberung des spanischen Granadas durch christliche Ritter unter dem inquisitorischen Kardinal Mateo Ximenes de Cisneros stattgefunden hat.

Hassan: So stürzten wir von jenen Höhen oft zermalmend, auf das Christenvolk im Tal; und wenn sie sterbend röchelten, die Buben, wenn ferne wimmerten die Trauerglocken, und Angstgesänge dumpf dazwischen schollen, dann klang’s in unsre Ohren süß wie Wollust.

Almansor: Wir hörten, dass der furchtbare Ximenes, inmitten auf dem Markte, zu Granada – Mir starrt die Zung im Munde – den Koran in eines Scheiterhaufens Flamme warf!

Hassan: Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen. 

Der Mann, der das Verbrennen des Korans kritisiert, hat selbst unzähige Christen geschlachtet. Während für ihn das Verbrennen des Korans eine Todsünde ist, klingt die Tötung von Christen in seinen „Ohren süß wie Wollust.“

Im Wissen um diesen Kontext bekommt Heinrich Heines Satz eine ganz besondere Bedeutung. Auf der einen Seite kritisiert Heine den Akt der Bücherverbrennung, aber auf der anderen Seite macht er auch die Doppelmoral deutlich, mit der ein Mensch zwar das Verbrennen von Büchern als Verbrechen verdammt, aber das Töten von Menschen als wolllüstig schön bezeichnet. Ein Land, in dem das Verbrennen von Büchern verboten ist, das Töten von Menschen jedoch nicht, hat ganz andere Probleme.

Ich lebe lieber in einem Land, in dem die Symbole des Staates und Bücher verbrannt werden dürfen, es aber kaum jemand macht, als in einem Land, in dem sich die Unterdrückten danach sehnen, die Symbole der Unterdrückung zu verbrennen, es aber nicht dürfen. Ich habe aber eine Bedingung. Die Dinge, die zerstört werden, müssen den Zerstörern gehören. Jeder Mensch darf meine Bücher verbrennen, er soll sie dafür jedoch kaufen.

Wer jedoch Statuen stürzt, Geschäfte plündert und fremdes Eigentum abfackelt, ist ein Verbrecher wie jene Nazis, die in Synagogen stürmten, um die dortigen Bücher zu verbrennen.

Der Staat muss das Recht der Menschen schützen, Bücher zu besitzen. Er darf sich jedoch nicht anmaßen, darüber zu befehlen, was ein Mensch mit seinem Buch zu machen hat. Dabei ist es ganz egal, ob der Staat nun zur Bücherverbrennung lädt oder das Verbrennen von Büchern verbietet. Ein solcher Staat schafft eher Menschen ab, als dass er es zulässt, dass die Bücher seiner Ideologie verbrannt werden.

Es gibt nur dann die Möglichkeit, ohne Furcht vor staatlicher Bevormundung kreativ, journalistisch und wissenschaftlich arbeiten zu können, wenn die Verfassung Meinungs-, Presse-, und Kunstfreiheit garantiert. Zu dieser Freiheit gehört es auch, dass Bücher verbrannt werden dürfen, ohne staatliche Sanktionen befürchten zu müssen. Ich erlaube mir daher, und ich bin mir sicher, Heinrich Heine damit nicht einmal im Ansatz zu verraten, seinen berühmt geworden Satz, um einen Nebensatz zu erweitern:

„Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen; aber dort wo das Verbrennen von Büchern verboten ist, da werden Menschen verbrannt.”

Niemand hat das Recht, fremdes Eigentum zu zerstören. Daher ist das, was heute im Jahr 2020 passiert, nicht mehr nur der obskure Rabengesang von 1817, sondern die brutale Zerstörungswut von 1933.

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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