Eine Kindheitserinnerung von Malca Goldstein-Wolf.

Schon als kleines Mädchen hat mir mein Vater diesen Satz eingeimpft: „Als Jüdin musst Du besser sein als alle anderen.“
Ich habe das zunächst nicht verstanden und empfand diese Aussage als unangenehmen Druck. Eigentlich wollte ich doch nur sein wie alle anderen, fühlte mich auch nicht anders und lernte erst später, dass man eine gewisse Bürde trägt, wenn man jüdisch ist. Egal wie gläubig man ist, für die Welt ist man Jude und dadurch eben doch irgendwie anders.
Als ich aufs Gymnasium kam, machte ich meine erste deutliche antisemitische Erfahrung, als mir eine Mitschülerin zurief, dass man mich wohl auch vergessen hätte zu vergasen. Meine gute Deutscharbeit rief Hass und Neid in ihr empor.
Als meine eigentlich gute Freundin im Geschichtsunterricht zum Besten gab, dass die „dahergelaufenen Israeliten den Palästinensern das Land geklaut haben“, durchfuhr mich mit elf Jahren ein kalter Schauer. Ich wusste noch nicht viel über unsere Geschichte, aber ich spürte, dass ich für irgendetwas verantwortlich gemacht werde.
Als ich traurig von der Schule nach Hause kam, fragte ich meine Mutter, warum Julia das gesagt hat. Sie schaute mich an und antwortete: „Weißt Du, Malca, als ich Deinen Vater geheiratet habe, sagte uns der Standesbeamte, dass so eine Ehe vor kurzem nicht möglich gewesen wäre und er meinte das nicht nett.“
Später ist sie, die Christin, mit mir, ihrer sechsjährigen Tochter, zum Judentum konvertiert. Sie wollte, dass wir uns zu meinem Vater bekennen, eine Einheit bilden. Es ging ihr, so denke ich, weniger um eine Glaubensfrage, sondern mehr um Zugehörigkeit, um Flagge zu zeigen, in einer Welt, in der auch sie angefeindet wurde, weil sie einen Juden geheiratet hatte.
Es war nicht immer leicht für meine Eltern und unterschwellig spürte auch ich, als kleines Mädchen, immer wieder Argwohn und Ablehnung. Anders als mein Vater, der lieber leise war und es lieber gesehen hätte, wenn auch ich leise gewesen wäre, habe ich mich anders entschieden. Ich wollte mich nicht verstecken, keine Angst haben, mich den Anfeindungen stellen. Ich will es nicht.
Dieses Gefühl, kein Opfer sein zu wollen, wuchs in den Jahren immer stärker an und jetzt kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, zu schweigen. Eine Identität wird einem in die Wiege gelegt und sie nicht auszuleben, würde für mich bedeuten, mich zu verleugnen.
Ob dieser Weg zufriedener macht, weiß ich nicht, aber ich wäre todunglücklich, wenn ich nicht zu mir und meinen Wurzeln stehen würde.
Der Name „Goldstein“ steht wie eine Etikettierung. Ich will ihn mit Würde tragen.
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(TINMGW)
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