Ein Nachdenken über Twitter von Maximilian Deeds.

Ich freue mich, dass die Präsidentenära Trump morgen ein Ende findet. Und doch freut mich nicht, dass wir Donald Trump auf Twitter nicht weiter erleben dürfen. Ich würde sogar sagen, dass es mich traurig macht, mich ankotzt. Ganz und gar nicht aus voyeuristischen Gründen oder gar wegen seiner Inhalte, ich bin kein Fan. Gleichzeitig bin ich kein Fan davon, dass Twitter seinen Account dauerhaft gesperrt hat.
Wer ist Twitter eigentlich?
Auf Personalien geht die tagesschau.de nicht ein, wenn davon berichtet wird. Einfach Twitter. Der Kurznachrichtendienst, der Nutzenden ein Medium für ein hochdemokratisches Gut, der Äußerung und Verbreitung von Meinung, gibt. Meinung kann aus meiner, durchaus europäisierten, Sicht an ihre Grenzen kommen. Dann kann sie als wider der freiheitlich-demokratischen Grundordnung angesehen werden und ist für mich keine Meinung mehr, sondern in jeder denkbaren Perspektive unwahrer, zuweilen extremistischer Bullshit. Dass das dann keine Meinung mehr ist, ist meine Meinung. Ob das jemandes Meinung aber nichtig macht, weiß ich nicht. Wenn mir jemand eine Meinung jenseits dieses politischen Prinzips anbietet, kann ich sie nur nicht annehmen.
Wer stuft Meinungen offiziell geltend als nicht zulässig meinbar ein? Und noch wichtiger: Wer verfügt und verantwortet die Konsequenzen für ‚gefährliche‘ (Twitters Sperrgrund in der Sache Trump) Aussagen?
Twitter meint: Twitter. Und übernimmt damit mal eben Verfassung und Judikative. Das merkwürdige Signal, das von Trumps Sperre prominenter und zähnefletschender, ja protziger, nicht ausgehen könnte, unterstreicht:
Nutzer*innen haben keine demokratische Kontrolle über oder Einflussnahme auf den übergeordneten Raum, in dem sie sich aufhalten und agieren sowie das rahmende System dieser ihnen zur Verfügung gestellten Möglichkeit, sich der Welt auszudrücken. Eine denkbar folgeunrichtige und, wertend gesagt, ‚gefährliche‘ Umsetzung dieser App, wie ich finde. Da inszenieren zivile Administrator*innen ein Mikrorechtssystem. Jenes beißt sich nicht zwingend mit den Gesetzen, zumindest denen der USA, ist aber nicht im Stande, sie durchzusetzen. Twitters Nutzungsbedingungen verhalten sich auf Grundlage von Gesetzen, reproduzieren sie aber nicht und ersetzen sie auch nicht. Kurzum: Die Nutzungsbedingungen der App entsprechen nicht Gesetzestexten.
Insofern übersteigt diese schwammige Entität- Twitter, als gesellschaftliches Unternehmen Twitter Inc., völlig seine Befugnisse im Staat. Twitter begründet sein eigens eingeräumtes Vorrecht damit “öffentliche Unterhaltung zu fördern. Gewalt, Belästigung und andere ähnliche Verhaltensweisen halten Menschen davon ab, ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, und schaden dadurch letztendlich der globalen öffentlichen Unterhaltung.”
Eine spannende Kausalität, die nicht immun gegen Gegenargumentation ist. Für Twitter ist der Zusammenhang jedoch gesetzt und wird Gesetz. Genau deshalb braucht es die stärkere Inklusion des Netzes in den staatlichen, juristischen Apparat, wenngleich das bedeutet, dass Twitter und Konsorten territorial variieren würden. Der Rechtsstaat ist auf solche Kanäle, die als infrastrukturelle Institution performen, anwendbar. Die Apps selbst sind den Gesetzen und damit der Grundordnung und so auch der Meinungsfreiheit unterstellt, in klarer Abgrenzung zu der Kompetenz rechtsstaatlicher Organe, und bis jene auf Twitter kundgetane Meinungen als beispielsweise Volksverhetzung deklassifizieren bzw. Verfasser*innen als unmündig. Das würden ja in Bezug auf Trumps Zurechnungsfähigkeit viele offen erwägen.
Mir ist klar: Ein daraus entstehender Clusterfuck verschiedener Twitter-Ausführungen oder gar unterschiedlicher Netzwerke weltweit wirkt zunächst konservativ: Er stellt Barrieren her, wo Grenzenlosigkeit erwünscht ist und im Kernziel erstrebt wird. Er ist aber eben im Nebeneffekt nicht spalterisch, sondern fördert Diversität, indem er einem U.S.-Imperialismus in Bezug auf die einordnende Bewertung und Sanktionierung der Inhalte, kurz: Rechtssprechung und ihre Durchsetzung, in virtuellen, sozialen Netzwerken vorbeugt. Wer jetzt keine Strafhandlung im Ausschluss aus der Community sieht, unterschätzt den Stellenwert, den der Dienst seit Jahren hat und die Rolle, die er soziopolitisch einnimmt.
Die Entwicklung weg vom Spielplatz hat sich Twitter spätestens eingehandelt, als es einem Präsidenten einräumte, die App als Sprachrohr für offizielle Mitteilungen zu nutzen, was Twitters Erfolg und Radius auch beachtlich steigerte. Wenn eine App solchen Raum bietet, hat sie auch die Aufgabe, Diskurse sich, höchstens moderiert, abbilden zu lassen. Es kann nicht darum gehen, Twitter insofern zu verstaatlichen, als es zur staatlichen Institution zu machen, aber um die Anerkennung des öffentlich-rechtlichen Stellenwertes. Hier entsteht die notwendige Debatte darüber, wer soziale Medien verantwortet und ob ihre jeweilige Administration das bei jeder Reichweite noch selbständig kann. Natürlich soll eine App einen Nutzungsrahmen festlegen und die Basis selbst wählen können, aber im Fall Twitter als deklarierte Meinungsäußerungsplattform der öffentlichen Kommunikation ist dieser Rahmen breit ausgefallen. Dazu sollte es jetzt stehen und Rückgrat beweisen. Die App-Supervision und alle Privatnutzende haben die Möglichkeit, ihnen illegal erscheinende Äußerungen juristisch anzuzeigen und so zur Entscheidung vorzuschlagen. Somit tun sie sicherlich auch ihre bürgerliche Pflicht und die App trägt ihre Verantwortung, verfassungswidrigen Inhalten kein Plateau zu bieten, sowie nebenbei die Integrität zu wahren.
Doch nicht einmal, wie ich im letzten Absatz sinnierte, staatliche U.S.-amerikanische Monotonie herrscht in der Angelegenheit Trump; Die App-Betreibenden oder deren Beauftragte (>>Twitter<< halt) entschieden den Medienberichten zufolge nach eigenem Ermessen und im Alleingang, welche Inhalte potenziell künftig von Trump verfasst werden könnten, die in ihren Augen gefährlich für das Land sind. Und dann haben sie ihm im Endeffekt in Staatsschutz-Manier vorsichtshalber nicht die Mündigkeit, aber die Mündlichkeit entzogen, sich einer breiten Masse gegenüber zu äußern, die ihn dort erwartet und nicht mehr in Pressemitteilungen des Weißen Hauses wähnt. Dieses Spiel hat Twitter in Gang kommen lassen und nun im laufenden Spiel verändert. Das unter dem Eindruck der letzten Amtstage und der, derzeit im Lichte aller Geschehnisse, einfachen Diskreditierung Trumps mit neuem Präsidenten am Horizont bekommt einen noch bittereren Beigeschmack.
Auch ich hätte mir am liebsten Augen und Ohren zugehalten, um Trumps Tiraden gerade zuletzt nicht länger ertragen zu müssen, habe mir gewünscht, er wäre einfach mal still. Aber zwischen still sein und den Anstalten, gesilencet zu werden, liegen Welten.
Die Frage bleibt: Was ist ein ‚wiederholter Verstoß gegen die Nutzungsrichtlinien‘?
Eine Ordnungswidrigkeit? Ein Delikt? So etwas benötigt einen ordentlichen Rechtsweg, denn Twitter existiert nicht nur im Twitter-Kosmos. Dafür müssen Kapazitäten geschaffen werden, denn soziale Plattformen sind in Politik und Gesellschaft zur Mediation-Tube geworden. Die Digitalisierung soll weiter voranschreiten. Da können wir uns kein international ungebundenes System mit einer privaten Administration von Gottesgnaden leisten.
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(TINMD)
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