Tränenlachen

David Serebrianik über seinen letzten 27. Januar.

Ich sage es wie es ist: Ich konnte meinen Augen nicht trauen, als ich dieses Bild sah:

Nein, trauen konnte ich ihnen schon, meinen Augen. Sogar ein gewisses Gefühl der Gleichgültigkeit beschlich mich beim ersten Hinsehen. Naja, dachte ich, das sind halt die Deutschen, die sich mal wieder offiziell an der Wunde lecken, die sie einem anderen Volk angetan haben. Okay. Kennen wir. Nix neues.

Dann aber schaute ich zum zweiten Mal auf das Bild und sah es zum ersten Mal richtig. So, wie es ist. In all seiner Ekelhaftigkeit. Da stehen draussen unter freiem Himmel fünf Politiker und eine -in, in einem, wenn auch etwas unregelmässigen Sicherheitsabstand voneinander, untere Gesichtshälfte schwarz maskiert (wie denn sonst – ist ja ein Trauertag). Da stehen sie vor den Stelen des Holocaustmahnmals in Berlin und blicken betroffen drein. Die geschmacklosen und kitschigen Kränze, jeder mit einer deutschen Fahne versehen, liegen vor ihnen, wie Omas Sonntagskuchen, auf die keiner wirklich Lust hat.

(Nein, ein Kranz scheint sogar blau-weiss zu sein. Wie aufmerksam! Meine Brille ist gerade in Reparatur. Ist da auch eine israelische Fahne zu sehen?)

Was sagt uns dieses Bild? – würde jetzt eine elegant bebrillte, etwas säuerliche, aber sehr, sehr bemühte und ernsthafte deutsche Geschichtslehrerin fragen. Nun ja, würde ich antworten, dieses Bild sagt mir, liebe Frau Gewissen-Schlecht, dass Ihre Regierung mal wieder einen an der Latsche hat. Das Bild sagt mir, dass es schlicht und einfach meine menschliche Vorstellungskraft übersteigt, wie wohl diejenigen, denen diese sechs Damen und Herren gedenken, auf dieses Bild reagieren würden.

Wie würden meine Urgroßeltern reagieren, die in Odessa auf deutschen Befehl ermordet wurden? Würden sie staunen? Würden sie weinen? Würden sie lachen? Ja. Das ist am wahrscheinlichsten. Sie würden lachen. So hoffe ich zumindest. Sie würden lachen über diese sechs schwarz maskierte Menschen, die sich nicht entblöden, sich öffentlich zu entblößen. Ein schallendes Lachen meines Urgroßvaters stelle ich mir vor, der übrigens eine hohe Meinung von den Deutschen hatte, bevor es alles damals anfing. Diese hohe Meinung kostete ihm und seiner Familie das Leben. Er konnte es sich damals nicht vorstellen, dass diese gebildete und feinsinnige Nation fähig sein würde, ihn und seine Familie umzubringen. Das war sie doch.

So hoffe ich, wenn es den gerechten Himmel gibt, dass jetzt dort ein schallendes Gelächter meiner Urgroßeltern zu hören ist, dass ein Gelächter zu hören ist, in welchem sich die Seelen aller Menschen versammeln, die gequält, gefoltert, erniedrigt und ermordet wurden. Ich hoffe, dass sie dort, wo sie jetzt sein mögen, über die Deutschen, ihre Brutalität und Weichheit, ihre Naivität und Zynismus, ihre Gutgläubigkeit und Unglauben, Ihre Ernsthaftigkeit und daraus resultierende reissende Komik lachen können.

Ich habe mich in den vergangenen Jahren genug vor den Deutschen gefürchtet. Jetzt ist es an der Zeit, über sie zu lachen. Und dieses Bild hier gibt die beste Steilvorlage dazu. Danke!

P.S. Höremfehlung zum Thema: Georg Kreislers “Wenn ihr Lachen wollt”.

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(TINDS)

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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