Kirche und Schule

Ein Artikel von Mathilde Franziska Anneke erstmals erschienen am 27. September 1848 in der Frauen-Zeitung.

Kirche und Schule

Vor vielen hundert Jahren waren die Geistlichen, besonders die Mönche in den Klöstern, die einzigen Menschen, welche lesen und schreiben konnten, und von anderen gelehrten Sachen was verstanden. Wer dazumal also was lernen wollte, musste bei den Geistlichen in die Schule gehen. ‚S gab auch in der Zeit keine anderen Schulen, als in den Klöstern, und keine anderen Lehrer, als die Geistlichen. Mit der Zeit ist das Ding aber ganz anders geworden. Die ganze Welt wurde immer klüger und lernte immer mehr; die Mönche aber kamen mit ihrer Gelehrsamkeit nicht weiter, ’s waren oft die dümmsten Teufel in so ’nem Kloster.

Die Klöster hörten nach und nach auf, weil die Menschen immer mehr zu der Einsicht kamen, dass die Mönche und Nonnen doch eigentlich bloß müßiges Gesindel waren, die auf der Leute Kosten lebten. Deshalb wurden andere Schulen angelegt, besonders in den Städten. Die Geistlichen wollten sich aber wenigstens die Aufsicht über die Schulen nicht nehmen lassen, und die Bürger ließen sich das auch gefallen, dass die Geistlichkeit diese Aufsicht behielt, einerseits aus alter Gewohnheit, andererseits, weil die Geistlichkeit ihnen verredete, wenn sie nicht die Aufsicht behielten über die Schulen, so ginge das Seelenheil der Kinder zu Grunde, und die Kinder würden alle Teufelsbraten werden. So ist die Sache nun geblieben bis auf den heutigen Tag.

Alle aufgeklärten Menschen sind aber jetzt zu der Einsicht gekommen, dass die Schule von der Kirche getrennt werden muss, dass heisst, dass die Geistlichkeit die Aufsicht über die Schulen nicht mehr länger behalten darf, weil’s erstlich nicht ihre Sache ist, für’s Zweite aber dem Unterricht viel Schaden tut. Dass es nicht ihre Sache ist, ist ganz klar; ’s kommt mir gerade vor, wenn die Geistlichen die Schulen beaufsichtigen wollen, als wenn ein Schuster eine Schneiderwerkstatt, oder als wenn ein Offizier die Kirche beaufsichtigen wollte. Nun sagen aber die Geistlichen: „Der Unterricht muss ein frommer, christlicher sein, die Herzen der Jugend müssen schon früh in der Furcht Gottes erzogen werden, und darum müssen wir die Aufsicht über die Schule führen.“ Das wollen wir doch mal sehen, ob das wohl recht ist.

Was lernen die Kinder in der Schule? Zuerst das ABC, dann Buchstabieren, dann Lesen, Schreiben, Rechnen, usw. Gut. Gibt es aber ein frommes, christliches ABC, oder ein frommes, christliches Buchstabieren, Lesen, Schreiben und Rechnen? Gott bewahre, das ist für alle Menschen egal, ob sie nun Christen, Juden, Türken oder Heiden sind, wenn sie nur ein und dieselbe Sprache sprechen. Also damit können die Geistlichen nicht durchkommen.

„Ja, Religions-Unterricht, Beten, Messe hören“, werden sie sagen. Und ich sage Euch: Da liegt eben der Hase im Pfeffer, das ist gerad‘ das allergrößte Unglück für den ganzen Unterricht, dass die Kinder viel zu früh mit Dingen behelligt werden, wo sie nichts von verstehen, und nichts von verstehen können, dass sie komplett abgerichtet werden wie die Hunde, dass sie geradezu dumm und zu Lügnern und Heuchlern gemacht werden.

Au! Au! Schimpft nur nicht auf mich, und fallt nicht gleich über mich her und steinigt mich nicht, Ihr Frommen alle, die ihr denkt, ich lästere Eure Religion und wollt‘ sie in Gefahr bringen. Ihr seid doch alle Menschen, die Verstand zum Überlegen im Kopf haben, also hört mich auch ruhig an und gebraucht Euren Verstand, ich will’s Euch alles beweisen. Ich schwätz‘ Euch nicht nur was vor und sag‘ Euch: Ihr müsst es mir glauben; nein, ich such’s Euch alles klar zu machen und zu beweisen. Und wenn das in Euren Verstand nicht passt, dann braucht Ihr’s ja nicht anzunehmen, oder Ihr könnt mit Eurem Verstand gegen meinen ankommen, und dann können wir mal sehen, welcher oben drauf bleibt.

Also, mal los. Ihr wisst doch, dass uns so vieles erzählt wird in der Religion, was kaum ein erwachsener Mensch begreifen kann, viel weniger ein Kind mit seinem schwachen Verstand. So ein kleiner Kinderverstand aber, der muss gerade wie der Leib des Kindes viel sorgfältiger behandelt werden, als der von erwachsenen Menschen. Erzählt man den Kindern nun was daher, dass sie nicht begreifen können, dann werden sie entweder ganz verwirrt und dumm, oder sie lassen’s zu einem Ohr herein gehen und zum anderen wieder heraus und plappern’s nur mit der Zunge nach, wenn sie es mit Gewalt lernen müssen.

Das ist aber ein schlimm Ding, wenn der kleine Verstand so früh verwirrt gemacht wird, oder wenn man die Kinder an’s bloße Nachplappern gewöhnt, da kann aus ihrem Verstand niemals viel werden. So’n verworrener Verstand, der wird so leicht nicht wieder gerade, und wer nicht schon früh an ordentliches Nachdenken gewöhnt ist, der lernt’s später sehr schwer. Was die Kinder nicht verstehen können und bloß nachplappern müssen, das macht ihnen auch kein Freud‘, dabei haben sie Langeweile und werden nachlässig und unaufmerksam. Weil sie aber Prügel kriegen oder knien müssen, oder sonst bestraft werden, wenn der Lehrer oder der Geistliche das sieht, so fangen sie schon früh an, ihm Wind vorzumachen, ihn zu belügen und zu betrügen. Das ist aber sehr schlimm, da wird der ganze Charakter verdorben, und wenn nicht gute Beispiele zu Haus oder späteres Nachdenken die Kinder wieder besser macht, werden Taugenichtse draus.

Was es mit der Andacht und der Frömmigkeit der Kinder zu bedeuten hat, brauch‘ ich wohl nicht erst groß zu erklären. Das ist gerade ebenso wie mit der Andacht von ’nem Pudel oder ’nem Papagei, wenn man dem Pudel’s Knien lehren wollt‘ und dem Papagei ein sprechen. Seht doch nur die Kinder an bei ’ner Prozession oder in der Messe, wenn der Pastor oder der Schulmeister nicht grad‘ dabei steht und drauf Acht gibt. Und dann frage ich Euch alle, wenn ihr ganz ehrlich sein wollt: erinnert Euch mal an Eure Jugend und sagt mir aufrichtig, ob ich nicht Recht hab‘!

Ich sag‘ Euch: es ist ein wahrer Spott, der mit der Religion getrieben wird, wenn man die kleinen Kinder so dazu abrichtet! Keinen Augenblick früher sollt‘ man den Menschen was davon erzählen, als bis sie Verstand genug haben, die Sache zu begreifen. Lehrt den Kindern erst die Welt kennen, und wenn sie anfangen zu fragen nach Religion, alsdann gebt ihnen Antwort, aber nicht mehr, als sie verstehen können, und wenn sie weiter fragen, gebt ihnen immer mehr Antwort. Das ist die rechte Art!

‚S ist aber noch ein anderer Überstand dabei, wenn die Kinder schon so gar früh auf Religion abgerichtet werden. Dieser Übelstand ist, dass der unglückselige Zwiespalt und Hass zwischen den verschiedenen Religionen, zwischen Katholischen, Evangelischen, Lutherschen, Juden, Deutschkatholischen und wie sie alle heißen, schon in früher Jugend den Menschen eingebläut wird und niemals ein Ende nimmt. Obgleich in ’ner großen Stadt sowas gewöhnlich nicht so arg ist, weil die Menschen meist aufgeklärt sind, steht’s doch in Köln damit noch so, dass sich hier gewiss keine deutschkathol’sche Gemeinde bilden könnte, ohne dass sich die Leute bei den Ohren kriegten, ohne dass es Prügelei und Mord und Totschlag gäb‘. Das ist noch ’ne Ursache, warum man die Kinder nicht zu früh zur Religion abrichten und besonders den Pfaffen nicht die Aufsicht über die Schulen lassen darf. Für alle Religionsarten darf es nur eine einzige Art Schulen geben, welche von der Gemeinde oder vom Staat unterhalten werden. Die Lehrer müssen verständige, brave, ordentliche und rechtschaffene Leute sein, ob Katholiken, Protestanten oder was sonst, das ist Einerlei. Die Kinder sollen zu allererst was Ordentliches lernen und brave, rechtschaffene Menschen werden. Die Aufsicht über die Schulen muss ein besonderer Schulvorstand haben, den die Gemeinde wählt. Wenn’s Zeit ist für die Kinder zum Religions-Unterricht, dann können die Geistlichen, oder wie’s die Eltern sonst haben wollen, solchen Unterricht geben.

Warum wollen denn nun aber auch wohl die Geistlichen mit aller Gewalt die Aufsicht über die Schulen behalten? Darum wollen sie die Aufsicht behalten, dass sie die Menschen dumm halten können, und die große Macht, die sie haben, nicht verlieren. Die Pfaffen sind ein hochmütiges Volk, grad‘ wie die preußischen Beamten, und sie wollen die Menschen von der Wiege bis zum Grabe regieren und beherrschen, wie sie’s von Ewigkeit her getan haben. Sehr sie Euch nur recht genau an, und lest es in ordentlichen Büchern nach, wie sie’s in der Welt getrieben haben.

Die Abgeordneten in Berlin und in Frankfurt werden auf jeden Fall beschließen, dass die Schule von der Kirche getrennt werden soll, dass heißt, dass die Pfaffen nichts mehr damit zu schaffen haben sollen. Darüber sind sie jetzt in Todesangst, und schicken Petitionen über Petitionen nach Berlin und Frankfurt gegen die Trennung der Schule von der Kirche. Die meisten Petitionen von dieser Art sind von den evangelischen Pfaffen in Sachsen und von den katholischen im Bistum Trier und im Bistum Osnabrück gemacht, besonders auf dem Land, und die armen Bauern haben alle unterschreiben müssen. Die evangelischen Pfaffen in Sachsen haben von den Kanzeln die Petitionen verlesen und die Leute zum Unterschreiben aufgefordert, und auf den Altar haben sie die Dinger hingelegt. Durch solche Spitzbubenstreiche wollten sie den Bauern weiß machen, dass es ’ne heilige Sache wär‘ mit den Petitionen, und dass jeder gute Christ unterschreiben müsst‘.

Wie’s die katholischen Pfaffen gemacht haben, weiß ich nicht, wahrscheinlich wohl eben so. Arg genug muss es wohl hergegangen sein, weil ein Wahlmann namens Erzbach zu Mauelhagen im Kreise Waldbroel eine Petition darüber nach Frankfurt geschickt hat, wie die Kerls in seiner Gegend die Sache getrieben haben.

Ich rate Euch, kauft niemals eine Katz‘ im Sack; seht Euch alles erst ordentlich an, und überlegt’s mit gesundem Menschenverstand, auch wenn’s von den Pfaffen kommt.

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(TINMFA)

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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