9. November – Ein deutscher Tag

Am 9. November 1848 wurde Robert Blum nach einem Standgerichtsurteil in Wien hingerichtet, weil er an der Seite der Revolutionäre für die Verteidigung Wiens gegen die kaiserlich-österreichischen Truppen gekämpft hatte. Dieser Wiener Oktoberaufstand war der Beginn des Endes der Deutschen Revolution von 1848/49 zur Gründung einer demokratischen und liberalen Republik.

Auf die Niederschlagung der Revolution folgte eine Reaktionsära bei der Anhängerinnen und Anhänger einer liberalen, republikanisch-demokratischen oder sozialistischen Gesinnung verfolgt wurden. Viele verließen daher Deutschland. Mathilde Franziska Anneke zum Beispiel emigrierte in die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort wurde sie eine der führenden Personen der US-amerikanischen Frauenbewegung und eine glühende Kämpferin gegen die Sklaverei.

Während der Deutschen Revolution lebte Heinrich Heine in Paris. Er war Franzose, weil er im Jahr 1797 in Düsseldorf das Licht der Welt erblickt hatte und die Stadt zu eben jener Zeit von Frankreich besetzt war und er war Deutscher, weil seine Eltern Deutsche waren. Vier Jahre vor der Revolution schrieb er:

„Ich höre schon ihre Bierstimmen: »Du lästerst sogar unsere Farben, Verächter des Vaterlands, Freund der Franzosen, denen du den freien Rhein abtreten willst!« Beruhigt euch. Ich werde eure Farben achten und ehren, wenn sie es verdienen, wenn sie nicht mehr eine müßige oder knechtische Spielerei sind. Pflanzt die schwarzrotgoldne Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien Menschtums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben. Beruhigt euch, ich liebe das Vaterland ebensosehr wie ihr. Wegen dieser Liebe habe ich dreizehn Lebensjahre im Exile verlebt, und wegen ebendieser Liebe kehre ich wieder zurück ins Exil, vielleicht für immer, jedenfalls ohne zu flennen oder eine schiefmäulige Duldergrimasse zu schneiden. Ich bin der Freund der Franzosen, wie ich der Freund aller Menschen bin, wenn sie vernünftig und gut sind.“

In den letzten Jahren seines Lebens betrat Heinrich Heine nie wieder deutschen Boden; zu enttäuscht war er von der Niederlage „des freien Menschtums“ in Deutschland.

Wäre die Deutsche Revolution erfolgreich gewesen und das Gebiet Deutschland zu einer demokratischen Republik geworden, wären die deutschen Dichter und Denkerinnen wie Mathilde Franziska Anneke und Heinrich Heine vielleicht in Deutschland geblieben. Robert Blum wäre am 9. November 1848 nicht hingerichtet worden und alle kommenden 9. November hätten anders ausgesehen.

So aber wurde die Geschichte Deutschlands ein Deutschland mit diesen 9. Novembern:

1918: Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann vom Reichstagsgebäude aus.

1923: Niederschlagung des Hitler-Ludendorff-Putsch in München.

1925: Hitler ordnet die Gründung der „Schutzstaffel“ an.

1936: Entfernung des Denkmals des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy vor dem Leipziger Gewandhaus durch Nationalsozialisten.

1938: Pogromnacht. Im Deutschen Reich kommt es zu organisierten Übergriffen gegen Juden und jüdische Einrichtungen, bei denen unter anderem Synagogen in Brand gesteckt werden.

1967: Bei der feierlichen Amtseinführung des neuen Rektors der Hamburger Universität entfalten Studenten ein Transparent mit dem Spruch „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“, der zum Symbol der 68er-Bewegung werden wird.

1969: Die linksradikale Organisation „Tupamaros West-Berlin“ versucht bewusst am Tag der Pogromnacht von 1938 einen Bombenanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin.

1974: Nach 58 Tagen Hungerstreik stirbt RAF-Mitglied Holger Meins in der Justizvollzugsanstalt Wittlich.

1989: Fall der Berliner Mauer.

2007: Der Deutsche Bundestag verabschiedet das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung.

Im November 1843 besuchte Heinrich Heine nach dreizehnjährigem Exil in Frankreich ein letztes Mal in seinem Leben Deutschland und dichtete:

Im traurigen Monat November wars
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zu Mute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.

Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich Euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch
Was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.

Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir Euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit Euch
Die seligsten Torten und Kuchen.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.

Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit dem schönen Genusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Und schwelgen im ersten Kusse.

Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
Die Ehe wird gültig nicht minder ­
Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder!

Ein Hochzeitskarren ist mein Lied,
Das bessere, das neue!
In meiner Seele gehen auf
Die Sterne der höchsten Weihe ­

Begeisterte Sterne, sie lodern wild,
Zerfließen in Flammenbächen ­
Ich fühle mich wunderbar erstarkt,
Ich könnte Eichen zerbrechen!

Seit ich auf deutsche Erde trat,
Durchströmen mich Zaubersäfte ­
Der Riese hat wieder die Mutter berührt,
Und es wuchsen im neu die Kräfte.

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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