Sehr geehrte Lamya Kaddor,
lassen Sie mich in Dankbarkeit beginnen.
Vielen Dank, dass Sie zu einer gemeinsamen Demonstration der Muslime gegen den islamistischen Terror aufgerufen haben. Heute wird die Demonstration in Köln stattfinden. Sie sagen:
„Wir Muslime müssen uns von den Tätern stärker abgrenzen und ihre gesellschaftliche Ächtung herbeiführen. Wir wollen diesen Verbrechern zurufen: Es reicht uns“
Ich hoffe, dass Ihrem Ruf viele Muslime folgen werden.
Leider haben bereits die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion Ditib und der Islamrat erklärt, an der Demonstration nicht teilzunehmen. Damit verweigert sich ausgerechnet die Organisation Ihrer Demonstration, die die Zentralmoschee in Köln bauen lässt: Ditib!
Als in Köln die Pegida-Bewegung demonstrierte, wurden am Kölner Dom alle Lichter ausgeschaltet. So zeigten Christen damals, wo sie standen. Mit ihrer Weigerung, die Demonstration heute zu unterstützen, zeigen Ditib und der Islamrat, wo sie stehen.
Es tut mir leid, Frau Kaddor, dass Sie von diesen Glaubensbrüdern und Glaubensschwestern so im Stich gelassen werden.
Erinnern Sie sich noch an diese Worte:
„Ich werde mich auch weiterhin tabulos wenden gegen alle grundgesetzwidrigen und damit integrationsfeindlichen Verhältnisse und Zustände innerhalb der muslimischen Minderheit, allen voran gegen die inakzeptable Stellung der Frau, wie sie niemand erschütternder dokumentiert hat als die türkische Soziologin Necla Kelek, im Namen aller anderen entwürdigten und bedrohten Leidensgenossinnen.
Ich werde auch weiterhin kritisch Stellung nehmen gegen jene Imame und Verbandsfunktionäre, die den liberalen Rahmen und die Toleranz der freiheitlichen Verfassung nutzen, um totalitäre Ansichten von Staat und Religion in ihren Enklaven durchzusetzen; die die Spielregeln rechtsstaatlicher Verfasstheit unterminieren, die mit antiwestlicher Indoktrination einen an der Scharia orientierten Unterricht geben und die Standards der Demokratie wie Koedukation, Sexualunterricht, gemischten Sport, Klassenfahrten, Geschlechtergleichheit verweigern.“
Sie stammen von Ralph Giordano. Er äußerte sie genau vor zehn Jahren im Juni 2007. Er kritisierte damals den Bau der Zentralmoschee in Köln, weil für ihn die Ditib eine Organisation war, der er zutiefst misstraute. Er hatte allen Grund dazu:
„Meine Forderungen an die politische Leitung der Stadt Köln, die Pläne zum Bau einer zentralen Großmoschee in Köln-Ehrenfeld einzustellen, weil sie angesichts der gescheiterten Integration ein falsches Bild von den wahren Beziehungen zwischen muslimischer Minderheit und Mehrheitsgesellschaft entwerfen, haben mir Morddrohungen eingebracht, unmissverständlich und in türkischer Sprache – womit ich diesen Teil der muslimischen Minderheit nicht unter Generalverdacht stellen will.“
Sehr geehrte Lamya Kaddor,
wenn Sie heute in Köln demonstrieren, werden Sie dann auch an Ralph Giordano denken und daran was Sie einst über ihn geschrieben haben? Unter der Überschrift „Islamkritik, die niemand braucht“ schrieben Sie Ende 2015 in der ZEIT:
„Diese Stimmungsmache, die heute Personen wie Hamed Abdel-Samad vertreten und früher Leute wie der Journalist Henryk Broder, die Autorin Necla Kelek und der Schriftsteller Ralph Giordano verbreitet haben, machen Millionen Menschen in diesem Land ganz konkret das Leben schwer – manchmal sogar unerträglich.“
Sie erklärten Ralph Giordano zu einem Stimmungsmacher, der Millionen Menschen das Leben unerträglich mache. Sein ganzes Leben lang konnte Ralph Giordano nicht in ein Gotteshaus gehen, ohne dabei an einem Polizeiwagen vorbei gehen zu müssen. Sein Leben lang wurde er von rechten Gewalttätern bedroht, weil er Jude war. In den letzten Jahren seines Lebens kam noch eine massiv spürbare Bedrohung von islamischen Gewalttätern dazu. Er war 15 als in Deutschland sämtliche Synagogen niedergebrannt wurden. Er war 18 als in Deutschland Juden vergast wurden. Und er war 91 als er auf deutschen Straßen den Mob brüllen hörte: „Jude, Jude feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!“ Ab Minute 0:45:
Er war 91 Jahre alt, als in Deutschland „Adolf Hitler“ gebrüllt und der Tod von Juden gefordert wurde. Ab Minute 2:50:
All dies geschah im Sommer im 2014. Im Dezember 2014 starb Ralph Giordano. Es muss für ihn schlimm gewesen sein, ein solches Deutschland verlassen zu müssen.
Nur ein paar Monate nach seinem Tod erklärten Sie Ralph Giordano zu einem Stimmungsmacher, der Millionen Menschen das Leben unerträglich mache. Alles nur, weil er die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion kritisiert hatte – scharf kritisiert, keine Frage, aber berechtigt!
Ralph Giordano hat niemandem das Leben unerträglich gemacht. Ihm wurde das Leben allerdings oft unerträglich gemacht. Er überlebte den Holocaust, fand in der Bundesrepublik Deutschland neue Hoffnung und musste sich am Ende seines Lebens wieder Morddrohungen anhören lassen und zwar von genau jenen Leuten, gegen die Sie heute demonstrieren, die Ditib jedoch nicht! Ralph Giordano erklärte damals:
„Die Scharia, das Gesetz des Islam, ist notorisch grundgesetzwidrig, ein skandalöser Anachronismus, das Fossil einer überholten Menschheitsepoche und ein schweres Hindernis auf dem Weg zur Reformierung und Modernisierung des Islam. Sie wird von mir genauso selbstverständlich in die kritische Methode einbezogen wie der Koran, die Biographie Mohammeds und das Alte und das Neue Testament. Und ich will das sagen, schreiben, denken dürfen – offizielle Fatwa-Drohung hin, inoffizielle her.“
Sie erklärten diese Kritik damals zur unerträglichen Stimmungsmache. Sie erklärten somit, die Aufklärung sei unerträglich. Sie erinnerten mich damals ein wenig an jene islamischen Fundamentalisten, die Karikaturen als unerträglich bezeichnen! Damals schrieb ich:
„Ich hoffe inständig, dass Sie diese Verteufelung von Kritik, die das Fundament des aufgeklärten Europas und die Stütze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, nicht an ihre Schülerinnen und Schüler weitergeben. Dann nämlich wundert es mich nicht, dass unter Ihren Schülern bereits fünf für den Dschihad nach Syrien gezogen sind. Ich wundere mich generell, dass Sie den Koran lehren, wo Sie doch so vehement darauf hinweisen, dass Sprache und Bücher ein Klima schaffen können, in dem Gewalttäter und Extremisten sich ermutigt fühlen.
Wäre ich ein Moslem, mich beleidigte ein Mensch, der im Namen des Islams verfolgt und mordet, deutlich mehr, als alle Kritiker des Islams zusammen. Ein Islamist würde mir das Leben schwer machen – manchmal sogar unerträglich. Aber das ist Ansichtssache.“
Ich freue mich, dass Sie heute in Köln eine Demonstration organisieren, bei der Muslime erklären können, dass für sie Islamisten unerträglich sind. Ditib und der Islamrat sind nicht an der Seite dieser Muslime, aber wissen Sie, wer heute an deren Seite wäre? Ralph Giordano! Er schrieb im Juni 2007:
„Ich jedenfalls stehe an der Seite aller säkularisierten Muslimas und Muslime, die mit Reformen den Weg zu einer Integration frei machen wollen, die diesen Namen verdient – ein Ziel, von dem wir noch weit entfernt sind. Was mich nicht hindert, es mit meinem Molekül näherzubringen. Denn eine friedliche Alternative zur Integration gibt es nicht.“
Vielleicht, Frau Kaddor, denken Sie heute an Ralph Giordano, denn er würde heute mit Muslimen gegen islamischen Terror demonstrieren, wäre er noch unter uns.