Der Feminismus lässt sich auf eine einfache Formel bringen, die Hedwig Dohm bereits im 19. Jahrhundert artikuliert hat:
“Die Menschenrechte haben kein Geschlecht!“
Der Feminismus ist nichts weiter als Ausdruck der Überzeugung, dass alle Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Der Feminismus ist keine Ideologie, die Frauen oder Männer verändern will, sondern kämpft lediglich dafür, dass jede Frau und jeder Mann in Freiheit und unter Garantie des Lebens das eigene Glück suchen darf, egal wie dieses Glück aussieht.
In Frankreich wird die französische Revolution am 14. Juli gefeiert. In den Vereinigten Staaten von Amerika wird die Unabhängigkeit am 4. Juli gefeiert. Beide Revolutionen aber befreiten nicht die Frauen! Der Feminismus ist Ausdruck der Überzeugung, dass alle Männer und Frauen im Besitz der Menschenrechte sind und nicht nur Männer.
Frauen waren in Europa noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts nicht im Besitz der Menschenrechte. Sie durften in Frankreich und den USA nicht wählen, im Gegensatz zu ehemaligen männlichen Sklaven. Die Tore der höheren Bildung waren ihnen verschlossen und ökonomisch wurden sie brutal ausgebeutet.
Frauen waren Sklaven.
Noch heute werden Frauen an vielen Orten der Welt brutal unterdrückt. Sie werden gesteinigt und in Gefängnisse gesperrt. Einige sind aus Stein, andere aus Stoff.
Was Frauen erleben und erleben mussten, aber auch was sie erkämpft und erreicht haben, nämlich die Freiheit für sich und alle Menschen, stellt alles davor Dagewesene in den Schatten. Der Feminismus hat mehr Menschen befreit als die französische Revolution oder die amerikanische Revolution, die lediglich weniger als die Hälfte der Bevölkerung befreit hatten.
Wären die Heldinnen der feministischen Revolution Männer gewesen, stünden heute überall Statuen dieser Helden herum, Jungs und Mädchen könnten aus dem Stand ein paar Namen von Feministinnen nennen und sie würden sich stolz als Suffragetten verkleiden. Die Schriftstellerin Rebecca West sagte einst:
„Ich selbst habe es nie geschafft, genau herauszufinden, was Feminismus ist. Ich weiß nur, dass ich immer dann als Feministin bezeichnet werde, wenn ich Gefühle zum Ausdruck bringe, die mich von einer Fußmatte unterscheiden.“
Das Wort „Feminist“ ist ein Kompliment.
Nennt mich einen Feministen! Es macht mich stolz, Feminist genannt zu werden, denn Marie le Jars de Gournay war eine Feministin. Im Jahr 1622 veröffentlichte sie das Werk „Über die Gleichheit“ und argumentiert dort, dass alle Menschen ungeachtet der Herkunft und des Geschlechts vernunftsbegabte Wesen sind und daher gleich an Rechten und Pflichten:
„Genau genommen ist das menschliche Wesen übrigens weder männlich noch weiblich: das unterschiedliche Geschlecht ist nicht dazu da, einen Unterschied in der Ausprägung herauszubilden, sondern es dient lediglich der Fortpflanzung. Das einzige wesenhafte Merkmal besteht in der vernunftbegabten Seele. Und wenn es erlaubt ist, beiläufig einen kleinen Scherz zu machen, dann wäre hier wohl jene anzügliche Bemerkung nicht unpassend, die besagt: nichts ähnelt dem Kater auf einer Fensterbank mehr als – die Katze. Der Mensch wurde sowohl als Mann wie Frau geschaffen. Männer und Frauen sind eins.“
Hundert Jahre später widersprach der Humanist Rousseau dieser Auffassung und erklärte statt der feministischen Menschenrechte die humanistischen Männerrechte. Die französische Philosophin Olympe de Gouges kritisierte den Sexismus ihrer Zeit mit deutlichen Worten:
„Die Sturmglocke der Vernunft ist im ganzen Universum zu hören; erkennt eure Rechte! Das gewaltige Reich der Natur ist nicht mehr umlagert von Vorurteilen, Fanatismus, Aberglaube und Lügen. Die Fackel der Wahrheit hat alle Wolken der Dummheit und Anmaßung zerstreut. Der versklavte Mann hat zwar seine Kräfte vervielfacht, aber er hat der eurigen bedurft, um seine Ketten zu sprengen. Kaum in Freiheit versetzt, ist er nun selbst ungerecht geworden gegen seine Gefährtin. O Frauen! Frauen, wann wird eure Verblendung ein Ende haben? Was sind denn die Vorteile, die euch aus der Revolution erwachsen sind? Ihr werdet noch mehr verachtet, noch offener verhöhnt.“
Im 17. Jahrhundert erklärte Marie les Jars de Gournay die Gleichheit von Männern und Frauen, aber im 18. Jahrhundert erklärten die Männer der Französischen Revolution kurzerhand nur die Männer- und Bürgerrechte. Oft werden diese Männer- und Herrenrechte fälschlicherweise als Menschen- und Bürgerrechte übersetzt, obwohl Frauen dezidiert nicht mit „des hommes“ gemeint waren, was Oylmpe de Gouges in ihrer Antwort „Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ deutlich kritisierte.
„Fürchtet ihr, dass unsere französischen Gesetzgeber – Richter über jene Moral, die sich lange Zeit in der Politik eingenistet hat, nun aber überlebt ist – es euch wiederholen: „Frauen, was habt ihr mit uns gemein?“ „Alles“, werdet ihr zu entgegnen haben. Und wenn sie sich in ihrer Schwäche darauf versteifen, mit ihren eigenen Prinzipien in Widerspruch zu geraten, dann setzt beherzt die Macht der Vernunft ihren eitlen Anmaßungen entgegen, euch überlegen zu sein (…) Die Frau hat das Recht das Schafott zu besteigen; sie muss gleichermaßen das Recht haben, die Tribüne zu besteigen!“
Zu keiner Zeit war die Hauptströmung des Feminismus von dem Gedanken geprägt, Männer seien den Frauen untergeordnet. Dem Humanismus jedoch hingen nicht selten führende Philosophen an, die Frauen den Männern unterstellten. Es sind daher die Humanisten, die sich fragen sollten, ob der Humanismus etwas ehrenwertes ist, nicht die Feministinnen!
Feministinnen kämpften stets für die Gleichberechtigung aller Menschen. Die führenden Köpfe im Kampf gegen die Sklaverei waren nicht selten Frauen: Aphra Behn (17. Jahrhundert), Mary Wollstonecraft (18. Jahrhundert), Mathilde Franziska Anneke (19. Jahrhundert).
Während Olympe de Gouges für die Menschenrechte stritt und das Recht eines jeden Menschen auf einen fairen Prozess verteidigte, erklärten die männlichen Sieger der Revolution den Terror. Obwohl Olympe de Gouges eine blühende Republikanerin war und in dem König einen Feind der Demokratie sah, kämpfte sie für einen fairen Prozess des Königs, weil für sie Menschenrechte unveräußerlich waren, selbst für die größten Feinde. Für Olympe de Gouges sollte die Vernunft herrschen. Die Sieger der Revolution sahen das anders. Am 17. Januar 1794 erklärte Maximilien Robespierre den Sieg der „Natur“ über die Vernunft:
„Wenn man vorschlägt, Ludwig XVI. den Prozess zu machen, so stellt man die Revolution in Frage. Kann er gerichtet werden, so kann er freigesprochen werden, kann er freigesprochen werden, so kann er unschuldig sein. Ist er aber unschuldig, was wird aus der Revolution? (…) Wie könnte der Tyrann den gesellschaftlichen Pakt für sich anrufen? Er hat ihn vernichtet! Welche Gesetze sind an seine Stelle getreten? Die Gesetze der Natur: das Volkswohl.“
Olympe de Gouges jedoch verteidigte die Gesetze der Vernunft und landete dafür auf dem Schafott. Am 3. November 1793 wurde sie hingerichtet. Ihr Vergehen: Sie hatte sich den „Gesetzen der Natur“ widersetzt. Sie wusste warum.
Der griechische Philosoph Platon erklärte zwar schon vor über 2400 Jahren in dem fünften Buch seiner Abhandlung „Politeia – Der Staat“, dass Frauen den gleichen Zugang zu politischen Ämtern haben müssen und forderte sogar die Gleichstellung der Frauen in der Erziehung, er erklärte aber dennoch eine generelle Minderwertigkeit der Frau und begründete dies mit der Natur.
In seiner Schrift „Timaios – Über die Natur“ erklärt er im 44. Aufsatz, dass Männer, die Zeit ihres Lebens Feiglinge waren oder Unrecht übten, als Frauen wiedergeboren werden. In der „Politeia“ betont er, dass „der Anblick nackter Frauen bei der Gymnastik auch die älteren Frauen, sowie auch die Greise in den Gymnasien lächerlich sind, wenn sie, als runzlige und gar nicht lieblich anzuschauen, dennoch ihre Lust zu Leibesübungen nicht aufgeben“.
Platon erklärt zwar, dieses Gefühl der Lächerlichkeit sei einer für ihn nicht verständlichen Abneigung der Nacktheit geschuldet, es fällt jedoch auf, dass er jedes Mal mit der Natur argumentiert, wenn er den Mann über die Frau stellt.
Wenn die Mächtigen krank werden, wollen sie nicht, dass die Natur herrscht, sondern sie verlangen nach der Vernunft des Arztes. Wenn ihnen Unrecht widerfährt, wollen sie nicht, dass die Natur herrscht, sondern sie rufen nach der Vernunft des Richters. Wenn Menschen aber andere Menschen unterdrücken wollen, dann holen sie schnell die Natur aus der Kiste. Dann gibt es auf einmal die Natur der Frau, die Natur des Juden oder die Natur des Schwarzen und die Mächtigen tun so, als wüssten sie genau, was die Natur will, ganz so als hätten sie erst letzten Sonntag mit Mutter Natur Kaffee getrunken. Hedwig Dohm kritisiert dieses Verhalten scharf:
„Wie der Mensch sich seinen Gott nach seinem Ebenbild schafft, so legt ein jeder seine Anschauungen der Natur in den Mund. Eine Byzantinerin ist die Natur, redet dem, der gerade die Macht hat, zu Munde, oder gibt wenigstens immer die Antwort, die der Fragende erwartet. Was ist natürlich, was unnatürlich? Die meisten geistigen Errungenschaften sind Einbrüche in vermeintliche Naturgesetze. Das scheinen die Antifeministen selbst zu bestätigen, wenn sie sagen: „Wir müssen auf der Änderung dieser verkehrten Welt bestehen.“ Recht haben sie. Wir bestehen ja auch darauf. Nur wollen sie, dass die Welt wieder so werde, wie sie einstmal war, wir aber wollen, dass sie werde, wie sie noch niemals war. Und sage nicht, es muss so sein, weil es niemals anders war. Unmöglichkeiten sind Ausflüchte steriler Gehirne. Schaffe Möglichkeiten!“
Hedwig Dohm verurteilte besonders, dass die alte Frau von so vielen Menschen verächtlich gemacht wird:
„Von dem, was für unangemessen gilt, beruht das meiste auf Gewohnheit und Zeitvorurteil. Ein Beweis dafür ist, dass ein Tun, das die alte Frau lächerlich macht, bei dem gleichaltrigen Mann Beifall, oft den allerlebhaftesten, findet. Eine alte Frau mit Schlittschuhen an den Füßen, auf dem Fahrrad, auf dem Pferd, – lächerlich; der achtzigjährige Moltke auf dem Pferd wurde als eine bewundernswerte Erscheinung angestaunt; dem weißbärtigen Schlittschuhläufer folgen nur wohlwollende Blicke.
Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen; aber gegen den zu frühen Tod des Weibes sind viele Kräutlein gewachsen. Das kräftigste heißt: bedingungslose Emanzipation der Frau – und damit die Erlösung von dem brutalen Aberglauben, dass ihr Daseinsrecht nur auf ihrem Geschlecht beruhe.“
Es ist völlig irrelevant, was die Natur will, wenn sie überhaupt was will. Die meisten Menschen heute würden gar nicht leben, ginge es nach der Natur.
Wenn es nach der Natur ginge, wäre ich schon längst tot!
Würden Sie etwa noch leben? Hatten Sie schon mal eine Operation? Tragen Sie ein Brille? Haben Sie eine schwere Grippe überstanden? Nutzen Sie moderne Technik? Dann sind Sie wider der Natur noch hier. Die Natur hätte Sie längst entsorgt!
Viele Menschen glauben, Natur sei das Naherholungsgebiet am Stadtrand. Die Wälder in Deutschland sind aber keine Natur. Sie sind Kultur. Sie werden von der Vernunft der Mitglieder des Forst- und Grünflächenamts gut verwaltet. Natur ist nicht gepflegter Wald und gemähte Wiese. Natur ist, wo der Mensch Beute ist!
Die Natur hat keine Absicht. Sobald der Natur Absichten und Moral unterstellt wird oder sobald der Natur ein Schöpfer gegeben wird, haben wir es mit einer Religion zu tun und Religion ist Kultur.
Gut und böse sind Kategorien der Vernunft. Die Vernunft versucht zwar, Natur wissenschaftlich zu verstehen, aber alles, was Vernunft hat, weiß oder mindestens ahnt, dass Moral in der Natur nicht zu finden ist.
Die Moral war lange Zeit ein Diktat der Götter. In der heutigen Zeit, da der Glaube an Gott vielerorts verschwunden ist, flüchten nicht wenige, die religiös heimatlos geworden sind, in den Schoß der Natur und ernennen die Natur zu ihrem Gott. So wie sich die Menschen einst Gott nach ihrem Bilde schufen, so legen sie heute der Natur ihre Ansichten in den Mund! Für die Einen regelt Gott, was gut und was böse ist, für die Anderen die Natur.
Ob man nun aber gottesfürchtig oder naturfürchtig ist, das Sagen haben jene, die glaubhaft machen können, Erleuchtete zu sein, die vorgeben, den direkten Draht nach oben zu haben. Sie wissen angeblich genau, was Gott oder die Natur will. Sie behaupten, es vernommen zu haben und erklären, den wahren Weg zu kennen. Sie sind die Propheten, die Guten! Und sie benehmen sich so!
Um gute Dinge zu vollführen, braucht es jedoch keinen Gott. Gott stört bei guten Taten nicht, hilft höchstens dabei. Böse Taten jedoch brauchen einen Gott, nämlich den festen Glauben daran, die abscheulichen Taten im Namen eines höheren Sinns und Zwecks zu begehen. Gotteskrieger kämpfen für den lieben Gott und Naturgläubige für die liebe Natur.
Die Natur ist aber nicht lieb. Sie ist auch nicht böse. Die Natur ist indifferent und kennt keine Moral. Sie ist!
Gut und böse sind Kategorien der Vernunft. Der Mensch muss sie selbst definieren, verteidigen und leben. Hätte der Mensch alles Neue verdammt, weil es 5000 Jahre vorher anders gemacht wurde, säße er heute noch als ständige Beute in einer Höhle und würde noch vor dem 30. Lebensjahr verrecken.
Es waren kluge Philosophen wie die Feministinnen, die ihre Vernunft genutzt haben, um sich zu emanzipieren und sich zu befreien von den Ketten, die uns vermeintlich von der Natur angelegt wurden. Es ist daher eine Frage des Stolzes, Feminist zu sein. Hedwig Dohm sagte:
„Mehr Stolz, Ihr Frauen, der Stolze kann missfallen, aber man verachtet ihn nicht. Nur auf den Nacken der sich beugt, tritt der Fuß des vermeintlichen Herrn!“
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