Gerade-wir-als-Deutsche-Deutsche

Der Gerade-wir-als-Deutsche-Deutsche (Gewaldedeu) ist selten stolz auf sein Land, es sei denn, wenn er kritisieren kann, dann blüht er auf und holt dabei voller Stolz seine deutsche Vergangenheit heraus. Der Gewaldedeu sagt, die deutsche Geschichte sei einzigartig, so einzigartig, dass auch er nun einzigartig ist.

Der Gewaldedeu setzt sich mit seiner deutschen Vergangenheit auseinander. Jedes Jahr ein bisschen mehr. Heute sitzt er so weit auseinander von der deutschen Vergangenheit, dass er stolz darauf ist, nicht stolz darauf zu sein, Deutscher zu sein. Er denkt, „Ach, wären doch nur alle so wie ich“.

Moralisch sieht sich der Gewaldedeu an der Spitze. Wer ihm widerspricht, ist ein Nazi. Besonders gerne bezeichnet der Gewaldedeu Menschen als Nazis, die aus Ländern kommen, die Deutschland einst von den Nazis befreit haben. Zudem tendiert der Gewaldedeu dazu, unliebsame Eigenschaften am Gegenüber als „typisch deutsch“ zu bezeichnen.

Der Gewaldedeu hat in seiner Schulzeit jeden 9. November mit seinem Schulchor vor dem Gedenkstein in seiner Heimat gesungen, der an die Synagoge erinnert, die 1938 von den Nazis niedergebrannt wurde. Er verlegt liebend gerne Stolpersteine für ermordete Juden und trampelt irgendwann darauf herum. Er organisiert Ausflüge nach Dachau und Theresienstadt und hat den Soundtrack von “Schindlers Liste” im Schrank stehen. Der Gewaldedeu liebt Klezmer.

Für einen Gewaldedeu sind Juden nichts weiter als Geister der Vergangenheit. Sie tauchen bei ihm fast ausschließlich in Gedenkstunden auf. In seiner Schulzeit hat er das Judentum überwiegend im Geschichtsunterricht kennengelernt, nicht so sehr in den Unterrichtsfächern Philosophie, Ethik, Religion und Gesellschaftskunde. Juden sind für einen Gewaldedeu die Toten von damals, nicht die Lebenden von heute.

Der Gewaldedeu fühlt sich persönlich schuldig für den Holocaust. Wenn er einen Juden trifft, dann schwingt stets auch ein schlechtes Gewissen mit. Der Gewaldedeu sieht sich als Schuldner. Ein Schuldner braucht jedoch einen Gläubiger und für den Gewaldedeu ist das natürlich der Jude. Juden lösen somit bei einem Gewaldedeu unweigerlich ein schlechtes Gewissen aus und tief in seinem Inneren wird ein Gewaldedeu Juden Auschwitz niemals verzeihen.

Dafür geraten Gewaldedeus ganz aus dem Häuschen, wenn sie zeigen können, dass ihre Gläubiger auch nicht besser sind als sie. Gewaldedeus lieben es, Juden zu kritisieren, besonders wenn sie in Israel leben. Der Gewaldedeu hat schließlich aus der Vergangenheit gelernt, nämlich dass die Juden in Israel die Nazis von heute sind, was der Gewaldedeu nun wirklich überhaupt nicht verstehen kann, denn eigentlich müssten es die Juden doch besser wissen, schließlich hatten sie den gleichen Lehrmeister wie sie, nämlich die deutsche Geschichte.

Nichts sagt ein Gewaldedeu lieber als: „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen!“

Das größte Denkmal des Gewaldedeus ist das Holocaust Mahnmal in Berlin. Altkanzler Gerhard Schröder sagte einst dazu, es sei ein Ort, „wo man gerne hingeht“. Der Historiker Eberhard Jäckel brachte es sogar fertig, zu sagen: „Es gibt Länder in Europa, die uns um dieses Denkmal beneiden.“ Zwei Gewaldedeus, die stolz sind auf ihre Vergangenheitsbewältigung, die es ohne die Vergangenheit natürlich nicht gäbe. Sie haben etwas aus dem Holocaust gelernt. Tief drinnen ist der Gewaldedeu fest davon überzeugt, dass Auschwitz ihn besser gemacht hat.

Es gibt jedoch nichts aus dem Holocaust zu lernen. Was soll es denn schon aus dem Holocaust zu lernen geben? Dass Menschen zu grausamen Ungeheuerlichkeiten in der Lage sind? Dass man Menschen nicht millionenfach vergast? Dass Juden auch Menschen sind? Dass man lieb zueinander sein sollte? Dass man sich wehren darf, wenn man verfolgt wird? Dass man Menschen, die andere Menschen vergasen, den Krieg erklärt? Dass man wahnsinnige Menschen mit allen Mitteln entwaffnet? All das kann man auch ohne Holocaust wissen. Der Holocaust ist keine Nachhilfe für moralisch Sitzengebliebene, sondern schlicht ein unvergessbares und unverzeihliches Verbrechen, aus dem es nichts zu lernen gibt!

Die Gewaldedeus aber machen den Holocaust zu einem moralischen Anschauungsunterricht. Zu irgendetwas muss Auschwitz ja gut gewesen sein. Und die Gewaldedeus haben was gelernt. Sie haben gelernt, Israel zu kritisieren und zwar mit letzter Tinte. Sie haben gelernt, sämtliche Opfer mit den Juden von damals zu vergleichen.

Hartz IV ist die Fortsetzung der Menschenvernichtung des III. Reiches.”

Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben.“

Schauen wir uns die Lebensbedingungen im Gaza-Streifen einmal an: Das ähnelt immer mehr einem riesigen Konzentrationslager“

Es war falsch, Juden zu töten. Genauso FALSCH ist es, dass jedes Jahr (allein in Deutschland) über 1.000.000.000 Tiere für die Fleischindustrie getötet werden.”

Kein Jude in diesem Land musste jemals solche seelischen Qualen erleiden wie ich.”

Der letzte Satz stammt von der Gewaldedeuin Sedika Weingärtner. Sie meinte damit das schlechte Betriebsklima in ihrem Büro.

Für Gewaldedeus ist Leid ein sehr subjektiver Begriff und nicht wenige von ihnen erleben einen ganz privaten Holocaust. Der Trend geht mittlerweile sogar schon zum Zweitholocaust.

Für Gewaldedeus sind Muslime, Hartz-IV-Empfänger und Tiere die Juden von heute, niemals aber sind Juden für sie die Juden von heute. Wenn schon, dann sind Juden die Nazis von heute und auf diese Erkenntnis ist ein echter Gewaldedeu stolz. Für den Gewaldedeu gilt:

Früher gab es für Juden in Deutschland eine besondere Behandlung. Heute hat Deutschland gegenüber Juden eine besondere Verantwortung. Genau diese immer wieder betonte Besonderheit der Gerade-wir-als-Deutsche-Deutsche gegenüber Juden ist ein Teil des Problems.

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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