Köln hat die Reifen platt

Am 10. April 2015 ging die Urteilsbegründung der vorsitzenden Richterin im Saal 17 des Amtsgerichts Köln im allgemeinen Tumult unter. „Ich werde weitermachen“, rief der Angeklagte, „das ist ungeheuerlich was Sie hier machen!“ Daraufhin nahm er seine Tragetasche und rauschte raus mit den Worten: „Da mach‘ ich nicht mit!“ Die Rechtsbelehrung der Richterin ging im wilden Rufen einiger Zuschauerinnen und Zuschauer unter. Sie skandierten: „Macht Spaß zu töten!“

Ein rechtes Schauspiel spielte sich an dem Vormittag in dem Gerichtssaal ab. Angeklagt war ein Rentner, der über Jahre eine judenfeindliche Ausstellung auf dem Platz vor dem Kölner Dom betrieben hatte, in der er Israel dämonisiert und Juden als Kinderfresser dargestellt hatte. Dazu zeigt er Bilder von blutüberströmten, zerstückelten Leichen von Kindern und Erwachsenen und behauptet, sie seien von Israelis ermordet worden. Die Fotos sind zu brutal und verstörend, um sie hier zu zeigen.

Aufgrund dieser öffentlichen Zurschaustellung von Gewaltbildern sah es die Richterin als erwiesen an, dass der Rentner gegen §15 Jugendschutzgesetz verstossen hat. §15 bestimmt, dass jugendgefährdende Trägermedien nicht an einem Ort, der Kindern oder Jugendlichen zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, ausgestellt, angeschlagen, vorgeführt oder sonst zugänglich gemacht werden dürfen. Zudem dürfen Menschen, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, nicht in einer die Menschenwürde verletzenden Weise dargestellt werden.

Rund vierzig Sympathisanten des Angeklagten fanden sich um 10:45 Uhr im Saal 17 ein. Sie waren alle der Einladung des Angeklagten gefolgt, die er vor dem Kölner ausgehängt hatte. Nur einer fehlte: der Angeklagte!

Wo der Angeklagte sei, fragte die Richterin. „Der hat einen Platten“, erklärte eine Person im Zuschauerraum, er sei aber gleich da. „Kann man ihn nicht anrufen“, fragte eine Frau. „Wenn er auf dem Fahrrad ist, wird er wohl nicht dran gehen“, wusste eine andere. „Dann bitte ich alle, draußen Platz zu nehmen, bis Herr Herrmann da ist“, sagte die Richterin. Die Sympathisanten erhoben sich und gingen raus.

Vor der Tür warteten sie und versperrten im Flur vorbeikommenden Leuten den Weg. Ein Jurist, der vorbei kam, drängte sich durch die Menschentraube mit den Worten: „Das Volk versperrt der Zukunft den Weg!“

Schließlich kam der Angeklagte. Unter Applaus seiner Sympathisanten wurde er in den Saal geleitet. Er genoss seinen Auftritt. Einem Journalisten des Kölner Stadt Anzeigers, der keinen Platz mehr im Zuschauerraum fand, bot er den Platz seines Verteidigers an. Er hatte keinen Verteidiger und so war der Platz frei. Der Journalist nahm dankend an und stellte den Stuhl für sich in den Zuschauerbereich.

Die Anklageschrift der Staatsanwältin war kurz und klar. Bilder von verstümmelten Leichen dürfen nicht in aller Öffentlichkeit ausgestellt werden. Bei dem Domvorplatz handele es sich um einen Ort, der von tausenden Menschen frequentiert wird, die aufgrund der öffentlichen Plakatierung der Bilder nicht entscheiden können, ob sie mit diesen Bildern konfrontiert werden möchten oder nicht. Da auch viele Kinder und Jugendliche auf dem Platz seien, einige Jugendliche davon unbeaufsichtigt, sei dies ein nicht hinnehmbarer Eingriff in ihr Recht, von dieser Grausamkeit unbehelligt zu bleiben.

„Jede Mutter und jeder Vater muss die Möglichkeit haben, zu entscheiden, ob das eigene Kind mit diesen Bilder konfrontiert werden soll“, erklärte die Richterin und fügte hinzu: „Die politischen Umstände sind völlig unbedeutend. Es ist egal, ob Sie Bilder vom Holocaust zeigen oder Bilder aus dem Gazastreifen. Solche Fotos dürfen schlicht nicht in einer Art und Weise gezeigt werden, dass man nicht die Möglichkeit hat zu entscheiden, ob man sich damit beschäftigen möchte oder nicht. Jeder Mensch hat das Recht, sich auch über etwas nicht zu informieren. Sie können sich nicht mit einer Flüstertüte neben jeden Menschen stellen und ihm Ihre Meinung ins Ohr brüllen.“

Die Staatsanwältin fügte hinzu, dass es auch um die Menschenwürde der abgebildeten Kinder ginge. Als sie dies erklärte, breitete sich Unruhe unter den Sympathisanten aus. Die Richterin bot sich Ruhe aus. Eine Frau von Djihad TV sagte daraufhin: „Ist klar, erst töten und dann die Würde verteidigen“ und wurde für diesen Zwischenruf des Saales verwiesen.

So sind sie, die Sympathisanten des Judenhasses, sie schrecken nicht einmal davor zurück, gewaltpornografische Bilder von Kindern öffentlich zu zeigen, um ihrem Hobby des Hasses zu frönen.

Der Angeklagte nutzte die ganze Verhandlung zur politischen Ansprache an das Publikum. Seine Worte richtete er so gut wie nie an die Richterin oder an die Staatsanwältin, sondern fast ausschließlich an die Zuschauer. Er las sogar einige Kommentare von seinen Pappen vor, die er vor dem Kölner Dom ausstellt.

Die Staatsanwältin erklärte erneut, dass die politischen Aspekte nicht von Belang seien, da das öffentliche Zeigen von Kinderleichen an einem Ort, der für Kinder und Jugendliche zugänglich ist, schlicht verboten ist und dass sogar die Nachrichten im Fernsehen darauf verzichten, diese Bilder zu einer Zeit zu zeigen, da Kinder Fernsehen schauen. Der Angeklagte erklärte daraufhin nur: „Wenn es die Nachrichten nicht zeigen, dann muss ich es eben tun!“ Die Nachfrage ob er somit in Kauf nähme, dass Kinder diese Bilder sehen, verneinte der Angeklagte nicht. Damit war alles geklärt.

Der Angeklagte wurde zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt und wurde ermahnt, die Bilder von Leichen unter Vorbehalt einer Geldstrafe von vierzig Tagessätzen zu fünfzehn Euro nicht mehr öffentlich vor dem Kölner Dom zu zeigen. Die Bewährung für den Vorbehalt setzte die Richterin auf ein Jahr fest. Der Verurteilte kündigte jedoch noch im Gerichtssaal an: „Ich mache weiter!“

Ein paar Stunden später saß er schon wieder vor dem Kölner Dom und zeigte die Bilder der geschundenen Kinder. Als ich Bilder von der Ausstellung machte, kam ein circa sieben jähriges Kind zu mir und sagte: „Danke, dass Sie auf Palästina stehen“. Meine Begleitung informierte mich später darüber, dass der Junge von Demonstrationsteilnehmern dazu aufgefordert worden sein soll, mir dies zu sagen. Ein weiterer Mann kam zu mir und zeigte mir eine frisch beschriebene Pappe: „Sehen Sie, das hier hat gerade ein neunjähriger Junge geschrieben. Er will nur Frieden!“ Ich sagte nichts dazu.

Ich rief bei der Polizei an und fragte nach, warum keine Polizei bei der Demonstration anwesend sei, schließlich habe eine Richterin am Vormittag in erster Instanz erklärt, dass sie es als erwiesen ansieht, dass die Installation gegen das Jugendschutzgesetz verstösst und somit dem Kindeswohl schadet. Bei so einer Demonstration wäre Polizeipräsens doch geradezu notwendig, erklärte ich. Ich betonte zudem, dass die Richterin bei der Verhandlung betont hatte, dass das Jugendschutzgesetz Verfassungsrang habe und daher die Handlung des Verurteilten höchst problematisch sei. Mir wurde versprochen, dass ein Polizist vorbeigeschickt werde.

Als der Polizist kam, fragte ich, ob es nicht besser wäre, die Bilder zu entfernen, aber der Polizist erklärte, dass er jetzt keine Fakten schaffen würde und den Mann gewähren ließe, schließlich habe das Gericht schon einige „Eiertänze in dieser Sache“ veranstaltet und er würde warten, bis das letzte Wort gefallen sei. Zudem erklärte er, die Anklageschrift der Staatsanwältin gelesen zu haben und sie sei in seinen Augen mangelhaft. Meinen Einwand, dass wir es hier mit einer in erster Instanz von einer Richterin festgestellten Kindeswohlgefährdung zu tun hätten, von der sogar schon die Onlineausgabe des Kölner Stadt Anzeigers berichtet habe, ließ er nicht gelten. Als ich fragte, ob ich denn wenigstens eine Anzeige aufgeben könne, zeigte er mir den Weg zur Wache.

Ich habe also erneut Anzeige erstattet, diesmal nicht nur gegen den Betreiber selbst, sondern gegen jede Person, die sich an dieser Ausstellung von Gewaltbildern beteiligt. Als ich gefragt wurde, wie diese hießen, sagte ich, dass ich es nicht wüsste, aber die Polizei könne ja hingehen und die Personalien aufnehmen. Auf diesen Vorschlag erhielt ich nur ein schlichtes „Mal sehen“. Die Kölner Polizei scheint den Judenhasser zu mögen. Er genießt geradezu “Narrenfreiheit”!

Am 9. Juli 2011 war ich vor dem Kölner Dom unterwegs, als mir auffiel, dass der Betreiber die Plakate seiner Hasswand nun auch an Laternen der Stadt Köln befestigte. Da dies eindeutig verboten ist und niemand das Recht hat, wild zu plakatieren, schon gar nicht mit politischen, propagandistischen und aufstachelnden Plakaten, rief ich sofort die Polizei an (17:05 Uhr); schließlich dürfen nicht mal politische Parteien außerhalb der Wahlzeit einfach so Plakate an Laternen und Schildern aufhängen.

Die Polizei erklärte mir, dass das Ordnungsamt zuständig sei. Ich rief also beim Ordnungsamt an (17:07 Uhr) und fragte, ob es erlaubt sei, Plakate an öffentlichen Laternen und Schildern aufzuhängen. Die Dame vom Ordnungsamt erklärte unmissverständlich, dass dies verboten sei. Daraufhin schlug ich vor, dann mal schnell zum Domkloster 4 zu kommen, da dort politische und anti-israelische Vorurteile verbreitet würden. Die Dame erklärte mir jedoch, dass momentan keine Kapazitäten frei seien, da das Ordnungsamt damit beschäftigt sei, “wild grillende” Menschen zu entfernen.

Ein wenig davon überrascht, dass dem Ordnungsamt das Entfernen von “wild grillenden” Leuten wichtiger ist, als das Entfernen von wild plakatierten anti-israelischen Parolen vor dem Kölner Dom, rief ich zur Sicherheit noch mal bei der Polizei an (17:09 Uhr).

Als ich der Polizei erzählte, das Ordnungsamt könne nicht tätig werden, erklärte die Polizei, dann doch mal einen Wagen vorbei zu schicken. Während ich auf die Polizei wartete, kam mir eine Idee. Ich rief noch mal beim Ordnungsamt an (17:24 Uhr) und fragte, ob es mir als einfacher Bürger in Ermangelung des Personals beim Ordnungsamt gestattet sei, die Plakate selbst von den Laternen zu entfernen. Das Ordnungsamt führte aus, dass mir dies nicht gestattet sei und verwies auf ein eben geführtes Gespräch mit der Polizei, bei der die Polizei dem Ordnungsamt mitgeteilt hätte, dass die Plakatierung an den Laternen zu tolerieren sei.

Völlig überrascht von dieser Information rief ich erneut bei der Polizei an (17:25 Uhr). Dort wurde mir tatsächlich erklärt, dass die Plakate an den Laternen toleriert werden. Als ich dann sagte, dass ich dann jetzt auch Plakate aufhängen würde, ergab sich folgender Dialog:

Polizist (laut und drohend): “Jetzt bleiben Sie aber ganz ruhig, bevor Sie sich in einen Redeschwall begeben. Dieses Gespräch wird aufgezeichnet und ich mache sie darauf aufmerksam, dass sie sich strafbar machen.”

Ich: “Ich mache mich doch nicht strafbar. Ich melde nur eine Demonstration an.”

Polizist: “Sie können keine Demonstration telefonisch anmelden!”

Ich: “Dann setze ich Sie halt darüber in Kenntnis, dass ich jetzt von meinem Bürgerrecht Gebrauch mache, spontan zu demonstrieren.”

Polizist: “Tun Sie, was sie nicht lassen können.”

Etwas überrascht von dem Tonfall des Polizisten, alle Gespräche waren bisher mehr als freundlich verlaufen, ging ich in ein Café, kaufte mir einen Becher Kaffee und rief beim Polizeipräsidium an (17:36 Uhr). Dort fragte ich, warum mich ein Polizist drohend anschreit und behauptet, ich würde mich strafbar machen, nur weil ich erkläre, mich genauso verhalten zu wollen wie ein Mann, bei dem das Verhalten toleriert wird. Der Herr am Telefon erklärte mir, dass die Demonstration nun einmal angemeldet sei und meine eben nicht. Allerdings könne er mir auch nicht erklären, warum sich das Demonstrationsrecht des Betreibers auf Laternen und Schilder der Stadt Köln ausweiten darf.

Die Erklärung zu dieser Frage kam schließlich dank des Anrufs einer Polizistin um 17:51 Uhr. Während ich nämlich bei meinem Kaffee mit dem Polizeipräsidium telefoniert hatte, war eine Streife bei der Installation gewesen, um Fotos von den Plakaten zu machen.

“Ist doch interessant,” dachte ich. “Wie schnell es auf einmal geht, wenn nur jemand anderes als der Judenhasser droht in Köln zu demonstrieren.”

Wo ich denn gewesen sei, fragte die Polizistin. “Einen Kaffee holen”, sagte ich und fragte, warum denn das Plakat immer noch an der Laterne hinge. Die Antwort kam prompt:

“Er genießt hier nun mal Narrenfreiheit. Er wird toleriert!”

Woher diese Toleranz kommt, erklärt der Betreiber der israelfeindlichen Installation selbst in einem Interview, das ein Kanal namens Djihad TV mit ihm geführt hatte. In dem Interview berichtet er von einer interessanten Freundschaft: „Das hat dazu geführt, dass der Polizeichef Innenstadt gehen musste und an seiner Stelle kam ein Freund der Klagemauer aus Bonn.“

Meine Anzeige nach dem Urteil vom 10. April 2015 sollte am Ende aber doch was gebracht haben! Nach meiner Anzeige nämlich wurde die Polizei doch tätig und forderte den Betreiber auf, sechs Fotos, die nicht jugendfrei waren, abzuhängen. Es kam daraufhin laut zu einem Tumult vor dem Kölner Dom. Der Betreiber warf sich auf den Boden und schrie.

Als er sich wieder beruhigt hatte, kam ihm eine Idee. Er verwandelte seine Installation vor dem Kölner Dom in eine Peepshow der Gewalt. Seit dem Urteil karrte er, wie schon Jahre zuvor, jeden Tag mit seinem Fahrrad schwere Steine, Stangen, Stühle und Seile an, versteckte die grausamen Bilder von blutüberströmten, geschundenen Kinderleichen jedoch hinter einer Abdeckung. Die Abdeckung war mit der Einladung versehen, sie hochklappen.

Er baute somit eine Peepshow zwischen dem Kölner Dom und der belebten Hohen Straße auf. Tausende Menschen kamen jeden Tag an diese Peepshow vorbei und mussten ihr ausweichen, um zum Dom zu gelangen. Seitdem hatte Köln für einige Zeit eine Peepshow gewaltpornografischer Bilder direkt vor dem Kölner Dom eröffnet! Der Eintritt war frei!

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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