Der Spiegel holt sich einen runter

Ein 27-jähriger Palästinenser, der von Israel zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, holt sich im Knast einen runter, verstaut sein Sperma in einer Stifthülle, vermutlich, indem er das Ejakulat reinsaugt, steckt diesen Stift dann in einen Schokoriegel, woher der Gefangene ihn auch immer hat und wartet, bis sein fünfjähriger Sohn ihn besuchen darf, weil nur Kinder unter sechs Jahren Terroristen in israelischen Gefängnissen besuchen dürfen, ohne dabei von einer Glasscheibe getrennt zu sein. Über das Kind gelangt der Stift im Riegel an seine Munnter, die damit in eine Klinik geht, um sich dort künstlich befruchten zu lassen und schwanger zu werden. Wenn das Kind dann fünf Jahre alt ist, geht es zu seinem Vater ins Gefängnis, um dort ebenfalls einen neuen Schokoriegel geschenkt zu bekommen.

Ein Kuli als Kuli!

Das ist so ziemlich die abenteuerlichste Geschichte einer Befruchtung im Nahen Osten seit der Geschichte der Befruchtung von Maria.

Maria wurde angeblich von einem Heiligen Geist befruchtet und zwar durch ihr Ohr. Der eine wichst in einen Stift, der andere in ein Ohr. Beide Erzählungen sind interessante Metaphern für den ersten Satz von Johannes: „Am Anfang war das Wort.“ Die Sache ist nur, die Worte muss man glauben!

Jetzt kommt das wahrhaft Unvorstellbare. Christian Neeb interviewt einen Fotografen, der eine Frau bei dem Spermaschmuggel begleitet haben soll und schickt dieses Interview an Spiegel online. Jetzt kommt es: Spiegel online bringt die Geschichte und zwar ohne auch nur den geringsten Zweifel an den Wahrheitsgehalt der Geschichte aufkommen zu lassen. Dabei hätte es schon gereicht, einmal bei Dr. Sommer von der BRAVO nachzufragen. Dr. Sommer hätte bestimmt so geantwortet:

Lieber Christian,

Spermien sind total empfindlich. Sie müssen sich gut bewegen können, um die Eizelle befruchten zu können. Dafür haben sie eine eigene Flüssigkeit, in der sie überleben können. Sobald das Ejakulat aber an der Luft ist, sterben die Spermien in nur wenigen Minuten ab. In einem verschlossenen Behälter sind Spermien zwar etwas länger überlebensfähig, wenn das Sperma eng beieinander liegt, weil die Flüssigkeit dann nicht so schnell eintrocknet, aber der Behälter muss steril und verschlossen sein. Ein Stift in einem Gefängnis, in einem heißen Land, ist kein geeigneter Ort für Spermien. Du musst Dir daher keine Sorgen machen!

Leider hat Christian Neeb nicht bei Dr. Sommer nachgefragt. Er bringt die Geschichte und fügt der Wichse noch ein paar rührende Tränen hinzu. Der Fotograf erzählt:

„Ich habe viel im Mittleren Osten gearbeitet. Aus meiner Erfahrung heraus sind die Palästinenser die aufgeschlossensten Menschen in diesem Teil der Welt. Künstliche Befruchtung ist dort kein Tabu.“

Zu den Männern im Gefängnis sagt der Fotograf, es seien „auch Männer darunter, die an Universitäten Flyer verteilt haben, für Treffen der Hamas, auf denen über die Rechte von Palästinensern gesprochen werden sollte.“

Die bösen Juden aber auch. Auf die Frage, warum die Familien auf das Wunder der Befruchtung durch Stifte und Schokoriegel zurückgreifen, erklärt der Fotograf:

„Alle Frauen haben mir die gleiche Antwort gegeben. Der erste Grund: Ihr Leben soll weitergehen, und die Israelis sollen sie davon nicht abhalten. Der zweite Grund: Sie glauben, dass dieser Krieg irgendwann aufhören wird und ihre Männer nach Hause kommen können. Dann wollen sie ihnen eine Familie geben. Der dritte Grund: Auch für sie ist dieses Kind ein Teil des palästinensischen Widerstands (…) Kein Widerstand im militärischen Sinn. Sie wollen einfach ihr Leben führen, ohne Einschränkungen. Und sie wollen Babys bekommen. Nichts soll sie davon abhalten. Hana und die anderen sind sehr starke Frauen, die ihrem Land eine neue Zukunft geben wollen.“

Der Fotograf, der diese Worte spricht, ist Italiener, heißt Antonio Faccilongo, wurde 1979 geboren und lebt in Rom, dem Ort, wo heute noch die Sache mit Maria und dem Ohr geglaubt wird. Dabei wird die Sache vermutlich anders gelaufen sein.

Vielleicht hat Maria mit einem fremden Mann geschlafen, wurde dabei schwanger und brauchte dringend irgendeine Geschichte, die sie ihrem Mann Josef erzählen konnte. Aussichtslose und verzweifelte Situationen rufen nach verzweifelten Mitteln. Wer hätte ahnen können, dass die Geschichte später durch Evangelisten verbreitet wurde.

Der Evangelist im Jahr 2016 heißt Christian. Ich aber sage Euch, einige Frauen in Gaza wurden schwanger, obwohl ihre Männer im Gefängnis sitzen, aber anstatt sich einzugestehen, dass Leben und Lust eben weitergehen, auch wenn der eigene Mann ein Terrorist ist und im Gefängnis sitzt, erfinden die Frauen lieber Geschichten mit Schokoriegeln und Stiften und finden schließlich einen katholischen Italiener, der diese Botschaft glaubt und daraus eine „gute Nachricht“ macht, die dann auf Spiegel online erscheint und zum friedlichen Widerstand gegen israelische Unmenschlichkeiten hochgewichst wird.

Die abenteuerliche Geschichte hat aber noch einen Grund: Jedes Kind eines inhaftierten Terroristen, der von der Hamas als Märtyrer gefeiert wird, erhält besondere Zuwendungen und Privilegien von arabischen Organisationen. Es ist somit durchaus verständlich, dass eine Frau in Gaza alles versucht, viele Kinder zu bekommen und ihre Kinder zu Abkömmlingen von Märtyrern erklärt. All dies ist Christian Neeb nicht in den Sinn gekommen. Er gehört halt zu der Gemeinschaft der Gläubigen. Da ist kritisches Denken nicht so sehr gewünscht.

Vielleicht wird der ganze Kram von Christian Neeb bald verfilmt. Mel Gibson kann sich ja die Rechte sichern und die Geschichte verfilmen mit Boris Becker als Arzt, dem die Frauen vertrauen. Sein erster Satz im Film wird lauten:

„Wo habe ich den Kugelschreiber hingelegt? Moment, ich komm‘ gleich drauf!“

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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