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Ich lebe lieber in einem Land, in dem Gott, der Präsident und eine Fahne geschmäht werden dürfen, es aber wenige tun, als in einem Land, in dem es verboten ist, sich aber unzählige Unterdrückte danach sehnen, es zu können! Der Staat hat nicht zu entscheiden, was ich über Gott, einen Präsidenten, eine Fahne, ein Land, einen Propheten, einen Bürger oder eine Bürgerin sage. Sämtliche Gesetze, die einem Staat die Macht geben, darüber zu entscheiden, was angemessene Meinung ist, werden letztendlich missbraucht. Kein Staat darf Menschen verbieten, ihre Gedanken auszusprechen! Und ja, es gibt widerliche Gedanken, das weiß ich aus eigener Erfahrung.

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Dieser Club kennt nur eine Aufnahmeregel: Verteidige das Recht einer Person, deren Meinung Du verabscheust, ihre Meinung sagen zu dürfen. Es darf aber keine Meinung sein, die Du nur blöd findest oder wo Du lediglich eine andere Meinung hast, nein, es muss eine Meinung sein, die Dein Blut zum Kochen bringt! Die Meinung muss Dich richtig anekeln und Dir Angst machen.

Oft höre ich, Meinungsfreiheit schließe keine Hassreden und Falschaussagen ein, aber genau das tut sie. Es ist die exakte Definition von Meinungsfreiheit, dass auch falsche Meinungen geäußert werden dürfen. Es gibt kein Zuviel an Meinungsfreiheit. Entweder gibt es Meinungsfreiheit oder es gibt sie nicht. So einfach ist das!

Es gibt jedoch ein Zuviel an Angst und ein Zuviel an Beleidigtsein. Gegen Meinungen, die schmerzen, mögen sie nun schmerzen, weil sie wahr sind oder weil sie unwahr sind, hilft als Sofortmaßnahme ein einfaches Weghören und auf längere Sicht die Gegenrede als zivilisierte Form der Verteidigung.

Wer glaubt, ein Mensch sei eine Gefahr, weil er spricht, glaubt auch, eine Frau sei eine Gefahr, wenn sie ohne Verschleierung aus dem Haus geht. Die Zensur ist für die Redefreiheit das, was der Schleier für die Rechte der Frau ist. Jede Frau darf selbst entscheiden, ob sie einen Schleier tragen möchte, so wie jeder Mensch selbst entscheiden darf, ob und zu was er schweigen will. Es darf keinen Zwang geben, weder für den Schleier noch für den Mantel des Schweigens. Meinungsfreiheit gilt auch für die Hassrede. Sonst müsste der Koran schon längst verboten worden sein, denn da stehen einige deutliche Aufrufe zur Gewalt drin.

Stellen Sie sich einfach mal vor, Sie gingen in eine Kneipe und da säße ein Mann mit einem Hakenkreuz am Revers. Sie würden denken: „Oh, ein Nazi, dem gebe ich kein Bier aus.“ Jetzt stellen Sie sich aber mal vor, er trüge dieses Hakenkreuz nicht, weil es verboten ist. Sie würden sich vielleicht hinsetzen, sich vorstellen und er würde Sie nicht mit „Heil Hitler“ begrüßen, weil das unter Hassrede fällt. Sie würden ein wenig plaudern, dabei das ein oder andere Bier trinken, vielleicht sogar ein Bier ausgeben, bis das Gespräch auf ein Thema fällt, bei dem Sie plötzlich merken: „Scheiße, ein Nazi!“ Dann aber ist es zu spät. Sie haben ihm bereits ein Bier ausgegeben. Alles nur, weil ein Verbot Sie daran gehindert hat, den Mann sofort als das zu erkennen, was er ist. Ich weiß lieber, wie jemand drauf ist, bevor er zur Tat schreitet. Außerdem möchte ich mit einem Nazi nicht plaudern. Mit einem Nazi möchte ich ausnahmslos Klartext reden oder ihn blockieren. Um aber entscheiden zu können, ob ich jemanden ignorieren oder blockieren möchte, muss ich ihn zunächst erkennen können.

Reden lassen und Zuhören ist ein präventiver Schutzmechanismus. Nur so lerne ich das Innere eines Menschen kennen und kann rechtzeitig entscheiden, ob ich mich vor ihm schützen sollte. Meinungsfreiheit nutzt dem Gehassten immer mehr als dem Hassenden.

Andere Meinungen auszuklammern, ist so effektiv wie das kleine Kind, das sich die Hände vor die Augen hält und glaubt, so sei die Gefahr verschwunden. Internetseiten zu löschen, im Glauben, man würde dadurch etwas verhindern, ist so produktiv, wie Bücher zu verbrennen.

Das Verbieten von Meinungen ist ein Präventivschlag, ein Kampf gegen eine Zukunft, die aus der eigenen Angst konstruiert wurde. Wer Meinungen verbietet, nimmt andere Menschen als Geisel der eigenen ängstlichen Vermutung. Diese Angst ist die Wurzel des totalitären Denkens, die Gewalt über Gedanken als Präventivschlag ermöglicht.

Das Problem ist nicht die Meinungsfreiheit, sondern der Wille der Hassenden, die Meinungsfreiheit mit Gewalt abzuschaffen. Gedanken verschwinden nicht, nur weil sie nicht mehr gesprochen werden. Der Mensch, der in den Augen eines anderen Menschen ein Schwein ist, bleibt für ihn ein Schwein, auch wenn er es nicht mehr sagen darf. Das Messer in der Hose eines Mannes verschwindet nicht, wenn ihm der Mund verboten wird.

Die Nazis wurden groß in einer Welt, in der es kein Internet gab. Meinungsfreiheit ist nicht das Problem, im Gegenteil: Eine der ersten Aktionen der Nazis, nachdem sie die Macht dazu bekommen hatten, bestand darin, Meinungen zu kriminalisieren und Kunst zu verbieten.

Deshalb ist ein Staat, der Zensur übt, immer schlimmer als ein Arschloch, das menschenfeindliche Scheiße redet.

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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