Der Artikel 5 Club

Am 21. Januar 2010 ging ich mit meiner Frau durch Köln spazieren. Am Dom entdeckten wir einen Rentner, der dort eine Galerie aufgestellt hatte, an der er den Passanten unter anderem eine Karikatur zeigte, auf der ein Jude zu sehen war, der ein Kind aß und sein Blut trank. Ich war von der Karikatur so entsetzt, dass ich sofort die Polizei anrief und eine Anzeige wegen des Verdachts auf Volksverhetzung nach §130 StGB stellte.

Die Kölner Staatsanwaltschaft entschied jedoch, die Karikatur sei nicht antisemitisch, da die dargestellte Person auf der Karikatur nicht als Jude erkennbar sei, da sie keine „Krummnase“ habe. Unglaublich, aber wahr, die Staatsanwaltschaft erklärte tatsächlich:

„Typisch für antijüdische Bilddarstellungen zu allen Zeiten ist die Verwendung von bestimmten anatomischen Stereotypen, die den Juden schlechthin charakterisieren sollen. Dabei werden insbesondere Gesichtsmerkmale überzeichnet, um den Juden als hässlich, unansehnlich und rassisch minderwertig erscheinen zu lassen (jüdische „Krummnase“, etc.) Einer solchen Bildsprache wird sich vorliegend nicht bedient.“

Die Kölner Staatsanwaltschaft entschied: Wo keine Krummnase, da kein Jude! Es war das erste Mal, dass mich arge Zweifel plagten, ob der Staat das Recht haben sollte, die Meinungsfreiheit einschränken zu dürfen.

Der Rentner vor dem Kölner Dom tat sich bis zu seinem Tod im Jahr 2016 immer wieder mit hasserfüllten Aussagen hervor. An seiner Galerie behauptete er zum Beispiel, das israelische Volk erpresse bereits seit Jahrhunderten die Welt, womit er klar machte, dass er nicht das Volk des Staates Israel meinte, das es schließlich erst seit dem Jahr 1948 gibt, sondern das israelische Volk, das es bereits seit Jahrhundert gibt: Juden. Zudem verglich der Rentner Israel mit Hitler und behauptete: „Wie früher die Deutschen mit den Juden – so heute die Israelis mit den Palästinensern.“

Da die Holocaustleugnung und die Billigung, Leugnung und Verharmlosung des Nationalsozialismus laut §130 StGB ebenfalls eine Straftat ist, erstatte ich aufgrund dieser Parolen erneut Anzeige, da die Behauptung, die Nazis damals seien so gewesen wie die Israelis heute, eine klare Verharmlosung des Holocausts darstellt. Wieder entschied die Kölner Staatsanwaltschaft, bei der Aussage handele es sich um erlaubte Kritik am Staate Israel:

„Ferner bleibt entscheidend zu berücksichtigen, dass im Falle einer Mehrdeutigkeit des Erklärungsgehalts solange nicht von einer allein strafrelevanten Deutung auszugehen ist, bis andere Deutungsmöglichkeiten auszuschließen sind.“

Die Zweifel, ob der Staat das Recht haben sollte, die Meinungsfreiheit einschränken zu dürfen, wuchsen.

Im Jahr 2014 schließlich, erklärte der Rentner den Völkermord an Juden als legitimen Widerstand, indem er titelte: “HAMAS = Volks-Widerstand”. Mehrere Menschen erstatteten daraufhin Anzeige. Eine Anzeige las sich wie folgt:

„Die Hamas fordert meinen Tod! Artikel 7 der Gründungscharta der Hamas fordert den Tod aller Juden weltweit, also auch in Deutschland. Das ist der Grund, warum die Hamas in Deutschland als Terrororganisation eingestuft wird. Ich bin Jüdin! Die Hamas fordert meinen Tod. Vor dem Kölner Dom wird diese Forderung als legitimer Widerstand verharmlost. Ich erstatte daher Strafanzeige. So lange vor dem Kölner Dom der Aufruf zum Judenmord als Widerstand bezeichnet wird, werde ich in Köln als Jüdin beleidigt, bedroht und verfolgt.”

All diese Anzeigen wurden von der Kölner Staatsanwaltschaft abgelehnt und meine Zweifel an das Recht des Staates, die Meinungsfreiheit einschränken zu dürfen, wuchsen weiter.

Die ständige Ablehnung der Kölner Staatsanwaltschaft, brachte mich im Jahr 2014 dazu, einen Test zu starten. Für meinen Blog Tapfer im Nirgendwo schrieb ich eine Glosse, in der ich die Parolen des Rentners vor dem Kölner Dom nahm und lediglich das Wort Israel mit dem Namen des Rentners austauschte. Ich wurde daraufhin von dem Rentner angezeigt und siehe da, die Kölner Staatsanwaltschaft forderte prompt 100,- Euro von mir, damit kein Verfahren wegen Beleidigung gegen mich eingeleitet wird. Es war der Tag, da mein Zweifel in Gewissheit kippte. Der Staat darf keine Zensur üben, auch nicht für einen vermeintlich guten Zweck, es trifft nämlich die Falschen.

Ein weiterer Test von mir nahm die Kölner Polizei unter die Lupe. Am 9. Juli 2011 rief ich bei der Polizei an, weil der Rentner seine abscheulichen Parolen an Laternen vor dem Kölner Dom befestigt hatte und niemand das Recht hat, wild zu plakatieren, schon gar nicht mit politischen, propagandistischen und aufstachelnden Plakaten. Die Polizei erklärte mir, dass das Ordnungsamt zuständig sei. Dort erklärte mir eine Dame, dass Wildplakatieren verboten sei. Daraufhin schlug ich vor, zum Domkloster 4 zu kommen, da dort seit Jahren nahezu täglich politische und anti-israelische Vorurteile verbreitet würden. Die Dame erklärte mir, dass momentan keine Kapazitäten frei seien, da das Ordnungsamt damit beschäftigt sei, „wild grillende“ Menschen zu entfernen. Ich rief also wieder bei der Polizei an und berichtete, dass das Ordnungsamt nicht tätig werden könne, worauf die Polizei erklärte, dann doch mal einen Wagen vorbei zu schicken. Vor Ort wurde mir erklärt, dass des Rentners Plakate an den Laternen toleriert werden. Die Polizei sagte: „Er genießt hier nun mal Narrenfreiheit. Er wird toleriert!“

Die Narrenfreiheit des Rentners reichte weit. In einem Flugblatt, das er im April 2013 vor dem Kölner verteilte, bezeichnete er mich als „kriminellen Israel-Lobbyisten“ und holt weit aus gegen mich. Eine Anzeige meinerseits endete am 12. Februar 2014 vor dem Kölner Amtsgericht mit der Entscheidung, dass ich als „krimineller Israel-Lobbyist“ bezeichnet werden dürfe, da dies zulässige Kritik sei.

Bei einer Demonstration vor dem Hauptbahnhof am 27. März 2011 entfernte die Berliner Polizei jedoch eine Israelfahne und nahm zwei Menschen in Gewahrsam, weil sie sich weigerten, ihre friedliche Solidaritätsbekundung mit Israel zu unterlassen. Im Januar 2009 stürmten Einsatzkräfte in Duisburg eine private Wohnung in Abwesenheit der Mieter, um eine Israel-Flagge aus dem Fenster zu entfernen, da eine aufgeputschte Meute von israelfeindlichen Judenhassern auf der Strasse den Anblick eines blauen Davidsterns nicht ertragen konnte und in guter alter Tradition deutscher Pogrome damit begonnen hatten, das Fenster mit Steinen zu bewerfen. Die Polizei hätte zwar dafür sorgen können, dass die Meute mit ihrer Gewalt aufhört, aber stattdessen stürmte sie lieber die Wohnung und machte somit die Mieter der Wohnung nicht nur zu Opfern der Judenhasser, sondern gleich auch zu Opfern des Deutschen Staates. Wieder einmal kapitulierte der Deutsche Staat vor dem Terror der Sturmtruppen auf der Strasse.

Im selben Monat fand in Bochum eine Demonstration von über 1500 Personen gegen den Staat Israel statt, zu der vier Moscheegemeinden aufgerufen hatten. Im Zuge dieser Demonstration wurden Parolen wie „Kindermörder Israel“, „Stoppt den Holocaust in Gaza“ und „Terrorist Israel“ laut. Alles schien darauf hinaus zu laufen, dass gleich jemand eine Israel-Flagge verbrennt. Als jedoch eine Studentin die Israel-Flagge herausholte und nicht verbrannte, sondern stolz schwenkte leitete die Staatsanwaltschaft später ein Strafverfahren gegen die Studentin ein, das mit einer Geldstrafe von 300,- Euro gegen die Studentin endete. Die Richterin hielt der Angeklagten vor: „Das war keine ungefährliche Situation, die Sie geschaffen haben.“

Nicht das Werfen von Steinen gegen ein Fenster mit Davidstern wurde unterbunden, sondern das Zeigen der Israel-Flagge. Diese Meinung wurde in Deutschland unterbunden. Es gibt jedoch Aussagen, die vom Recht auf freie Meinung geschützt werden, zum Beispiel: „Tod den Juden! Adolf Hitler!“ Diese Parolen wurden auf einer Demonstration gebrüllt, die im Sommer 2014 in Essen stattfand. Dort wurden Hakenkreuze in Davidsternen gezeigt, vom „Judenterror“ gefaselt und sogar behauptet, Juden seien „früher angeblich Opfer“ gewesen, ganz so, als habe es den Holocaust niemals gegeben.

Die Polizei schaute bei all dem zu. Am selben Tag interviewte der WDR-Journalist Stefan Göke die Polizistin Tanja Hagelüken. Sie wusste von einer friedlichen Demonstration zu berichten und Stefan Göke fügte hinzu:

„Es hat keine Anzeichen dafür gegeben, dass sich Extremisten unter diese Demonstration gemischt haben, also weder von islamistischen Seite auf der einen Seite, aber auch keine Rechtsextreme, die dann das ganze nutzen konnten als Plattform um ihren Hass aufs Judentum oder auf Israel kundzutun. Das ist jedenfalls alles nicht passiert. Und bisher ist alles ein bißchen brisant aber durchaus friedlich.“

Während Stefan Göke im WDR dieser Worte in die Kamera sprach, zeigte ein Demonstrant direkt hinter ihm ein Plakat hoch, auf dem geschrieben stand: „Israel = Terrorist“. Stefan Göke hätte sich nur umdrehen müssen und er hätte gemerkt, dass er Blödsinn redet! Im Sommer 2014 schallten die übelsten Parolen gegen Juden über deutsche Straßen:

„Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!“

„Juden ins Gas!“

„Scheiß Jude, brenn!“

Am 12. Juli 2014 zog eine Menschenmenge durch die Frankfurter Innenstadt und brüllte „Allah ist groß“ und „Kindermörder Israel“. Die Polizei schritt nicht ein, im Gegenteil: Die Polizei in Frankfurt stellte sogar die Lautsprecher eines Polizeiwagens zur Verfügung, damit die Hetze weithin gehört werden konnte!

Bei der Demonstration wurden Plakate mit deutlichen Aussagen gezeigt. Auf einem Plakat stand: „Ihr Juden seid Bestien“

Das alles geht in Deutschland. Auch bei Predigten ist man in Deutschland tolerant. Am 23. Januar 2015 wurde in einer Berliner Moschee eine Predigt mit diesen Worten gehalten:

„Eine Frau darf niemals das Haus ohne die Erlaubnis ihres Mannes verlassen und unter keinen Umständen darf sie eine Nacht außerhalb des Hauses verbringen ohne Erlaubnis ihres Mannes! Nicht mal bei ihrem eigenen Vater! (…) Eine Frau darf nicht arbeiten ohne die Erlaubnis ihres Mannes! (…) Ein Mann sollte seiner Frau nie das Arbeiten außerhalb des eigenen Hauses erlauben! (…) Das Leben einer Frau muss auf das Haus ihres Mannes beschränkt sein! (…) Eine Frau muss kochen, den Boden wischen, sauber machen und sich um ihren Mann, ihre Söhne und Töchter kümmern! (…) Einer Frau ist es nicht gestattet, den Beischlaf mit ihrem Mann zu verweigern! Mit keiner Entschuldigung darf sie sich rausreden!“

Die Frage, was auf deutschen Demonstrationen geht und was nicht, kann mit folgender Formel zusammengefasst werden: „Gegen Israel geht immer!“ Sollten sie was gegen Juden haben, sagen sie nur, es sei Israelkritik, dann bekommen Sie sogar für einen Anschlag auf eine Synagoge mildernde Umstände. Im Juli 2014 verübten gegen vier Uhr früh drei junge Männer mit sechs selbstgebastelte Molotowcocktails einen Brandanschlag auf eine Synagoge in Wuppertal. Das Amtsgericht Wuppertal erklärte damals, der Anschlag auf die Synagoge sei keine antisemitische Tat gewesen, da die Attentäter erklärt hatten, mit dem Anzünden der Synagoge in Wuppertal, die Aufmerksamkeit auf den Konflikt zwischen Israel und Gaza lenken zu wollen. Das Gericht schloss sich dieser Sichtweise an und erklärte, es gäbe „keine Anhaltspunkte für eine antisemitische Tat“!

Es gibt allerdings auch einige Beispiele dafür, dass Menschen wegen ihrer Meinung gegenüber Religionen verurteilt werden. Im Februar 2006 fiel das Amtsgericht Lüdinghausen ein über die Grenzen der Provinz hinaus bekanntes Urteil. Ein Mann war zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt worden, weil er die Worte „Koran, der heilige Koran“ auf Toilettenpapier gestempelt hatte und diese Druckerzeugnisse dann an mehrere Fernsehsender, Moscheen und islamische Kulturvereine verschickt hatte. Nicht nur im Iran und in Saudi-Arabien maßen sich weltliche Gerichte an, Gott zu vertreten und sein Lästern zu ahnden, auch in Deutschland wird diese Tradition gepflegt und zwar mit §166 StGB.

§166 StGB lädt notorisch beleidigte Leberwürste geradezu ein, eine Störung der öffentlichen Ruhe herbeizuführen. Was immer Fundamentalisten jedoch glauben machen möchten, Worte, Bilder, Kunstwerke und Zeichnungen vermögen es nicht, Religionsausübungen zu stören. Religiöse Menschen müssen harsche Kritik, Spott und Polemik ebenso ertragen können wie Politikerinnen, Schauspieler, Köche, Lehrerinnen und alle anderen Menschen. Warum genießen gläubige Menschen einen besonderen Schutz, kritische Menschen jedoch nicht? Albert Voß hat recht:

„Gotteslästerung ist für mich ein Menschenrecht, das muss sein, damit man alles diskutieren kann. Also Gotteslästerung so verstanden, dass man in der Gesellschaft offen über alles reden kann.“

Im Mai 2012 zeigte die deutsche Polizei jedoch, dass es dieses Menschenrecht auf Gotteslästerung in Deutschland nicht gibt und verbat das öffentliche Zeigen eines religionskritischen Kunstwerks. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger von der SPD erließ in dem Monat hat eine Auflage an die Polizei, wonach auf einer Demonstration das Zeigen der berühmten Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard untersagt wurde. Der Innenminister begründet sein Handeln mit folgenden Worten: „Die Beamten dürfen nicht gefährdet werden.“

Es war damals bereits der zweite Versuch des Innenministers, das Zeigen der Karikatur zu unterbinden. Als die Mohammed-Karikatur bei einer Demo in Bonn gegen Salafisten gezeigt wurde, kam es zu einer „Explosion der Gewalt, die wir lange nicht mehr erlebt haben“, wie es die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa beschrieb. Ein 25-Jähriger griff mit einem Messer drei Beamten an. Dabei wurde ein 30-jährige Polizeikommissarin und ihr 35 Jahre alter Kollege schwer verletzt. Es flogen Flaschen und Steine auf die eingesetzten Beamten. Einige Salafisten schlugen mit von Zäunen abgebrochenen Latten auf die Polizisten ein. Insgesamt 29 Beamte erlitten bei der Auseinandersetzung Verletzungen. Das Handelsblatt titelt: „Mohammed-Karikatur sorgt für „Explosion der Gewalt.“

Salafisten marodierten durch die Straßen Bonns, aber das Handelsblatt erklärte, eine Zeichnung von Kurt Westergaard sei dafür verantwortlich gewesen, weil Mitglieder einer recht unsympathischen Truppe diese Karikatur bei einer angemeldeten Demonstration hochgehalten hatten. Für die Eskalation waren jedoch einzig und allein die Salafisten verantwortlich. Sie hatten mit Steinen geworfen, mit Zaunlatten geschlagen und mit Messern zugestochen. Kurt Westergaards Karikatur verbieten zu wollen ist genauso falsch wie den Bau einer Moschee verbieten zu wollen.

In Deutschland ist die Meinung weniger frei, als gemeinhin gedacht. Am 15. Juni 2012 nahm Jakob Augstein in der phoenix-Sendung „Jetzt aber wirklich – Endspiel um den Euro“ aus der Reihe „Augstein und Blome“ eine Deutschlandfahne und putzte sich damit die Nase. Zu seiner Aktion sagte er, wenn er dies in Amerika täte, würde er dafür nach Guantanamo geschickt werden.

Jakob Augstein hatte Unrecht! In den USA ist das Verbrennen, Schänden, Vernichten und Verächtlichmachen der eigenen Flagge selbstverständlich erlaubt und vom 1. Verfassungszusatz geschützt! Sogar das Oberste Gericht der USA hat die Verunglimpfung der Symbole der Staates als schützenswert im Sinne der freien Meinung erklärt. In Deutschland ist das jedoch nach §90a StGB verboten.

Ich habe mich viele Jahre mit den Gesetzen, die die Meinungsfreiheit in Deutschland einschränken, beschäftigen und muss feststellen: All diese Gesetze schützen nicht. Sie schützen mich nicht davor, als Schwein bezeichnet zu werden und sie schützen Juden nicht davor, dass ihre Vernichtung als „Widerstand“ verharmlost wird. Stattdessen verbieten diese Einschränkungen das Zeigen der Fahne Israels, das Kritisieren von Religionen und die Schmähung von Symbolen.

Ich lebe lieber in einem Land, in dem Gott, der Präsident und eine Fahne geschmäht werden können, es aber wenige tun, als in einem Land, wo es verboten ist, sich aber unzählige Unterdrückte danach sehnen, es zu können. Der Staat hat nicht zu entscheiden, was ich über Gott, einen Präsidenten, eine Fahne, ein Land, einen Prophet, einen Bürger oder einer Bürgerin sage. Ich habe in den letzten Jahren erkennen müssen, dass sämtliche Gesetze, die dem Staat die Macht geben, darüber zu entscheiden, was angemessene Meinung ist, letztendlich missbraucht werden. Ein Beamter hat eine offenkundig judenfeindliche Karikaturen zugelassen, während eine andere Beamtin, das Zeigen der Israelfahne unter Strafe gestellt hat. Kein Staat darf Menschen verbieten, ihre Gedanken auszusprechen! Und ja, es gibt widerliche Gedanken, das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Daher trete ich nun dem Artikel 5 Club bei. Dieser Club kennt nur eine Aufnahmeregel: Verteidige das Recht einer Person, deren Meinung Du verabscheust, ihre Meinung zu sagen. Es darf aber keine Meinung sein, die Du nur blöd findest oder wo Du lediglich eine andere Meinung hast, nein, es muss eine Meinung sein, die Dein Blut zum Kochen bringt! Die Meinung muss Dich richtig anekeln und Dir Angst machen.

Oft höre ich, Meinungsfreiheit schließe keine Hassreden und Falschaussagen ein, aber genau das tut sie. Es ist die exakte Definition von Meinungsfreiheit, dass auch falsche Meinungen geäußert werden dürfen. Es gibt kein Zuviel an Meinungsfreiheit. Entweder gibt es Meinungsfreiheit oder es gibt sie nicht. So einfach ist das! Es gibt jedoch ein Zuviel an Angst und ein Zuviel an Beleidigtsein. Gegen Meinungen, die schmerzen, mögen sie nun schmerzen, weil sie wahr sind oder weil sie unwahr sind, hilft als Sofortmaßnahme ein einfaches Weghören und auf längere Sicht die Gegenrede als zivilisierte Form der Verteidigung.

Wer glaubt, ein Mensch sei eine Gefahr, weil er spricht, glaubt auch, eine Frau sei eine Gefahr, wenn sie ohne Verschleierung aus dem Haus geht. Die Zensur ist für die Redefreiheit das, was der Schleier für die Rechte der Frau ist. Jede Frau darf selbst entscheiden, ob sie einen Schleier tragen möchte, so wie jeder Mensch selbst entscheiden darf, ob und zu was er schweigen will. Es darf keinen Zwang geben, weder für den Schleier noch für den Mantel des Schweigens! Meinungsfreiheit gilt auch für die Hassrede! Sonst müsste der Koran schon längst verboten worden sein, denn da stehen einige deutliche Aufrufe zur Gewalt drin.

Stellen Sie sich einfach mal vor, Sie gingen in eine Kneipe und da säße ein Mann mit einem Hakenkreuz am Revers. Sie würden denken: „Oh, ein Nazi, dem gebe ich kein Bier aus.“ Jetzt stellen Sie sich aber mal vor, er trüge dieses Hakenkreuz nicht, weil es verboten ist. Sie würden sich vielleicht hinsetzen, sich vorstellen und er würde Sie nicht mit „Heil Hitler“ begrüßen, weil das unter Hassrede fällt. Sie würden ein wenig plaudern, dabei das ein oder andere Bier trinken, vielleicht sogar ein Bier ausgeben, bis das Gespräch auf ein Thema fällt, bei dem Sie plötzlich merken: „Scheiße, ein Nazi!“ Dann aber ist es zu spät. Sie haben ihm bereits ein Bier ausgegeben. Alles nur, weil ein Verbot des Hakenkreuzes und des Sagens von „Heil Hitler“ Sie daran gehindert hat, den Mann sofort als das zu erkennen, was er ist. Ich weiß lieber, wie jemand drauf ist, bevor er zur Tat schreitet. Außerdem möchte ich mit einem Nazi nicht plaudern. Mit einem Nazi möchte ich ausnahmslos Klartext reden oder ihn blockieren. Um aber entscheiden zu können, ob ich jemanden ignorieren oder blockieren möchte, muss ich ihn zunächst erkennen können.

Reden lassen und Zuhören ist ein präventiver Schutzmechanismus. Nur so lerne ich das Innere eines Menschen kennen und kann rechtzeitig entscheiden, ob ich mich vor ihm schützen sollte. Meinungsfreiheit nutzt dem Gehassten immer mehr als dem Hassenden.

Andere Meinungen auszuklammern, ist so effektiv wie das kleine Kind, das sich die Hände vor die Augen hält und glaubt, so sei die Gefahr verschwunden. Internetseiten zu löschen, im Glauben, man würde dadurch etwas verhindern, ist so produktiv, wie Bücher zu verbrennen.

Das Verbieten von Meinungen ist ein Präventivschlag, ein Kampf gegen eine Zukunft, die aus der eigenen Angst konstruiert wurde. Wer Meinungen verbietet, nimmt andere Menschen als Geisel der eigenen ängstlichen Vermutung. Diese Angst ist die Wurzel des totalitären Denkens, die Gewalt über Gedanken als Präventivschlag ermöglicht.

Das Problem ist nicht die Meinungsfreiheit, sondern der Wille der Hassenden, die Meinungsfreiheit mit Gewalt abzuschaffen. Gedanken verschwinden nicht, nur weil sie nicht mehr gesprochen werden. Der Mensch, der in den Augen eines anderen Menschen ein Schwein ist, bleibt für ihn ein Schwein, auch wenn er es nicht mehr sagen darf. Das Messer in der Hose eines Mannes verschwindet nicht, wenn ihm der Mund verboten wird! Die Nazis wurden groß in einer Welt, in der es kein Internet gab. Meinungsfreiheit ist nicht das Problem, im Gegenteil: Eine der ersten Aktionen der Nazis, nachdem sie die Macht dazu bekommen hatten, bestand darin, Meinungen zu kriminalisieren und Kunst zu verbieten.

Deshalb ist ein Staat, der Zensur übt, immer schlimmer als ein Arschloch, das menschenfeindliche Scheiße redet.

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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