Das Musical „The Book of Mormon“ vom 6. bis 17. November 2019 im Musical Dome in Köln

Das Musical „The Book of Mormon“ gehört mit neun Antoinette Perry Auszeichnungen für exzellentes Theater zu den erfolgreichsten Theaterstücken der USA. Es ist ein Stück über die Macht der Hoffnung, die selbst in dem absurdesten Glauben liegen kann.

Geschrieben und komponiert wurde „The Book of Mormon“ von den beiden Erfindern der Zeichentrickserie „South Park“, Trey Parker und Matt Stone, sowie von dem Komponisten Robert Lopez, der ebenfalls das mehrfach ausgezeichnete Musical „Avenue Q“ schuf.

„The Book of Mormon“ nimmt Bezug auf die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage und erzählt die Geschichte zweier junger Missionare, die in ein abgelegenes Dorf im Norden Ugandas gesandt werden, wo ein brutaler Warlord die Bevölkerung unterdrückt. Mit einer unfassbar komischen Naivität verbunden mit einem atemberaubenden Optimismus versuchen die beiden jungen Missionare, in einer grausamen Welt die Vorzüge der eigenen Religion anzupreisen.

Die Einheimischen zeigen sich jedoch wenig interessiert an dem amerikanischen Kult. Sie haben nämlich mit Hungersnöten, AIDS und rituellen Vergewaltigungen, denen auch viele Kindern und Säuglingen ausgesetzt sind, genug eigene Probleme. Als jedoch die Klitoris der jungen Frau Nabulungi Hatimbi verstümmelt werden soll, erkennt sie in der Erzählung des Missionars Arnold Cunnigham ihre letzte Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie singt das Lied „Sal Tlay Ka Siti“, da sie so den Stadtnamen Salt Lake City versteht:

„Meine Mutter hat mir einmal von einem Ort mit Wasserfällen erzählt, wo Einhörner fliegen und es kein Leiden und keine Schmerzen gibt, wo gelacht wird, statt zu sterben. Ich dachte immer, sie hätte es sich ausgedacht, um mich in schmerzhaften Zeiten zu trösten. Aber jetzt weiß ich, dass dieser Ort echt ist. Jetzt weiß ich, wie der Ort heißt: Sal Tlay Ka Siti! (…)

Sal Tlay Ka Siti ist der perfekteste Ort der Welt. Die Fliegen beißen sich nicht in Deine Augäpfel und das menschliche Leben hat einen Wert. Der Ort ist kein Märchen. Er ist so real wie es nur geht. Es ist ein Land, in dem das Böse nicht existiert: Sal Tlay Ka Siti.

Du hattest recht, Mama. Du hast nicht gelogen. Der Ort ist echt und ich werde fliegen. Ich bin auf dem Weg. Bald wird das Leben nicht mehr so beschissen sein. Jetzt hat die Erlösung einen Namen: Sal Tlay Ka Siti.“

Das Lied gehört zu den emotional aufwühlendsten Momenten des Musicals. Auf der einen Seite lacht man, weil man weiß, was die Stadt Salt Lake City ist, auf der anderen Seite weint man, weil man spürt, dass ausgerechnet die Religion der Mormonen die letzte Hoffnung ist, die die junge Frau hat, um die Kraft zu finden, sich gegen die frauenverachtende Politik der Genitalverstümmelung wehren zu können.

Dabei wird aber nicht übersehen, dass Missionierungen immer auch im Zusammenhang standen mit Kolonialisierung. In dem Lied „I am Africa“ wird der zu Rassismus mutierte gutmenschliche Anspruch, die „armen Menschen in Afrika“ zu retten, in brutalst komischer Weise dargestellt. Weiße Männer singen „Wir sind Afrika“:

„Ich bin Afrika. Mit der Kraft des Geparden erklingt meine Muttersprache.Wir sind Afrika! Wir sind der Herzschlag Afrikas, mit dem Nashorn, dem Erdmännchen und dem edlem König der Löwen. Wir sind die Winde der Serengeti. Wir sind der Schweiß des Dschungelmannes. Wir sind die Tränen von Nelson Mandela. Wir sind die verlorenen Jungen des Sudan. Ich bin Afrika, So wie Bono bin ich Afrika. Ich flog hier rein und wurde eins mit diesem Land! (…)

Wir sind das einzige Afrika. Und das Leben, das wir leben, ist primitiv und stolz! Wir sind Afrika! Wir sind das tiefste, dunkelste Afrika! Wir sind die Felder und fruchtbaren Wälder. Gut ausgestattet! Wir sind Afrika! Wir sind der Sonnenaufgang in der Savanne, ein Affe mit einer Banane, eine Stammesfrau, die keinen BH trägt. Afrikaner sind Afrikaner, aber wir sind Afrika!“

Selten wurde gutmeinender Rassismus brillanter persifliert. Dennoch wird keine Figur im Stück verurteilt und das ist die besondere Stärke des Musicals. „The Book of Mormon“ macht sich zwar massiv über Menschen und ihre Überzeugungen lustig, und persifliert die Naivität im Glauben im Allgemeinen und die Kultur der Mormonen im Besonderen, aber das Stück lässt keinen Augenblick einen Zweifel daran, dass die Religion der Mormonen auch nicht alberner ist als jeder andere Religion auch.

Bei „The Book of Mormon“ jagt ein Hit den nächsten. In „Hello“ singt ein Chor der Missionare, wie Mormonen von Haus zu Haus ziehen, um Menschen das Buch Mormon näher zu bringen.

In „Turn it of“ singen die Mormonen darüber, wie sie ihren sündenhaften Gedanken umgehen, was ist einer herrlich schulen Stepptanznummer endet.

Der größte Hit des Musicals aber ist „Hasa Diga Eebowai“. In diesem Lied klagen ugandische Dorfbewohner über ihre Sorgen und Nöte, die so schlimm sind, dass ihre Situation nur noch mit dem ständigen Rufen eines Sprichwortes zu ertragen sind: „Hasa Diga Eebowai!“ Sie singen:

„Es gibt nicht genug zu essen. Hasa Diga Eebowai! Menschen verhungern in den Straßen. Hasa Diga Eebowai! Es hat seit Tagen nicht mehr geregnet. Hasa Diga Eebowai! Achtzig Prozent von uns haben AIDS. Hasa Diga Eebowai! Junge Frauen werden beschnitten, die Klitoris wird ihnen weggeschnitten. Wir aber schauen in den Himmel und rufen: Hasa Diga Eebowai!“

(„Hasa diga Eebowai“ bedeutet übrigens „Fick Dich Gott“.)

„Wenn die Welt dich runterzieht und da ist niemand, dem Du die Schuld geben kannst, erhebe Deinen Mittelfinger zum Himmel und verfluche seinen elenden Namen! Wenn Gott Dich in Deinen Hintern fickt, fick ihn zurück in seine Fotze!

Falls Ihr nicht mögt, was wir sagen, dann versucht einfach mal, ein paar Tage hier zu leben. Seht all Eure Freunde und Familie sterben! Hasa Diga Eebowai! Fick Dich! Fick Dich Gott in Deinen Mund, in Deinen Arsch, in Deine Fotze!“

Auf arabisch bedeutet Gott „Allah“. „Hasa Diga Eebowai“ bedeutet somit auch „Fick Dich Allah“.

Was würde wohl geschehen, wenn so über Muslime gesungen werden würde? Wenn ich mir das vorstelle, kann ich nicht ernsthaft behaupten, es gäbe nur verschiedene Kulturen. Nein, die menschlichen Kulturen sind nicht nur verschieden. Sie sind auch unterschiedlich. Es gibt bessere und schlechtere Kulturen!

Meinungsfreiheit. Besser!
Gleichberechtigung der Geschlechter. Besser!
Kunstfreiheit. Besser!
Freiheit der Wissenschaft. Besser!
Religionsfreiheit. Besser!
USA. Besser!
Mormonen. Besser!

Mormonen sind besser, weil sie keine Ausschreitungen provozieren, keine Fahnen verbrennen, keine Todesurteile ausrufen und keine Morde verüben, nur weil ihr Glaube verarscht wurde. Die offizielle Antwort der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage auf das Musical ist von einer beeindruckenden Gelassenheit geprägt. Die Kirche erklärte offiziell, das Stück “The Book of Mormon” könne zwar für einen Abend unterhalten, aber das wahre Buch Mormon würde das ganze Leben durch Jesus verändern. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage schaltete sogar Werbeanzeigen in den Programmheften des Musicals mit diesen Slogans:

„Das Buch ist immer besser.“
„Sie haben das Stück gesehen … jetzt das Buch lesen!“

Die Autoren des Musicals, Trey Parker und Matt Stone, kommentierten die Reaktion der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wie folgt:

“Das ist eine coole, amerikanische Antwort auf eine Verarsche – ein großes Musical, das in ihrem Namen erschaffen wurde. Bevor die Kirche reagierte, kamen ein Menge Leute zu uns und fragten: “Haben Ihr keine Angst davor, was die Kirche sagen wird?” Trey und ich sagten bloß: “Sie werden cool bleiben.” Und die Leute sagten: “Nein, werden sie nicht. Sie werden protestieren.” Und wir sagten: “Nein, werden sie nicht, sie werden cool bleiben.” Wir waren somit nicht von der Reaktion der Kirche überrascht. Wir glaubten an sie.”

Ich behaupte, bei “The Book of Islam” würde das alles ganz anders aussehen. Eine Komödie über den Koran ist unvorstellbar, selbst auf dem Broadway in New York. Da sage ich: „Hasa Diga Eebowai!“

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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