Es geistert ein Gedicht durch das Internet, das Kurt Tucholsky zugeschrieben wird. Es stammt jedoch nicht von Kurt Tucholsky.
Das Gedicht lautet wie folgt:
„Geimpfte sind nicht bessre Leute,
nur weil sie solidarisch sind.
Sie schützen sich und andre heute,
so leben morgen Greis und Kind.
Die Ungeimpften sind nicht schlechter,
nur weil sie Ignoranten sind.
Sie sind Immunsystemverfechter,
für gute Argumente blind
und mehrenteils verrückt geworden.
Sie fallen allen nur zur Last.
Und doch: Man soll sie nicht ermorden!
Fürs erste reicht ja auch der Knast.“
Das Gedicht ist nicht von Kurt Tucholsky.
Es wurde am 26. November 2021 von Cornelius W. M. Oettle auf Twitter hochgeladen.

Cornelius W. M. Oettle ist Autor des Satire-Magazins Titanic und erklärte 116 Minuten nach seiner Veröffentlichung des Gedichts auf Twitter:
„Da es Fragen zum Ursprung des Gedichts gibt: Tucholsky hatte sich beim Schreiben wohl am 2019 erschienenen Gedicht „Zur Versachlichung der Böllerdebatte“ von Cornelius W. M. Oettle orientiert.“
Bei Cornelius W. M. Oettle wird das Gedicht auf das Jahr 1928 datiert, wo es in der Zeitschrift „Die Weltbühne“ erschienen sein soll. Die Leitung der Weltbühne hatte in dem Jahr der Schriftsteller und Journalist Carl von Ossietsky.
Im November 1931 wurde Carl von Ossietsky vom Vierten Strafsenat in Leipzig zu achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt.
Damals war Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg laut Artikel 198 des Versailler Vertrags der Aufbau einer eigenen Luftwaffe verboten worden, deshalb wurde vom deutschen Militär heimlich an einem Aufbau gearbeitet. Der Pazifist Carl von Ossietsky berichtete von diesen heimlichen Versuchen. Am 12. März 1929 erschien in der Weltbühne unter dem Pseudonym Heinz Jäger der Artikel „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“. Aufgrund dieses Artikels wurde Carl von Ossietsky angeklagt.
Zur Begründung der Verurteilung hieß es, Ossietzky habe Nachrichten bekannt gemacht, von denen er wusste, dass ihre Geheimhaltung für das Wohl und die Landesverteidigung des Deutschen Reiches erforderlich sei. Er habe „dadurch die Sicherheit des Reiches gefährdet“ und sich des Landesverrat schuldig gemacht.
Carl von Ossietzsky war unsolidarisch gegen den politischen Willen im Reich, Deutschland im Sinne einer Luftwaffe sicherer zu machen. Er galt als unsolidarischer und ignoranter Pazifismusverfechter. Er fiel zur Last. Und doch: Man wollte ihn nicht ermorden! Fürs erste reichte ja auch der Knast.
Gerade im Wissen um diesen Prozess, stinkt die Satire von Cornelius W. M. Oettle zum Himmel. Aber wir wissen ja auch, was Kurt Tucholsky dazu gesagt hätte. Er darf das! Es ist halt nur Kacke.
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Zwei weitere Zitate, die gerne falschen Autoren zugeordnet werden, lauten:
„Ich missbillige, was du sagst, aber ich werde bis zum Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.“ – Dieser Satz nicht von Voltaire! Wenn Sie wissen wollen, wer ihn geschrieben hat, klicken Sie hier.
„Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“ – Dieser Satz ist nicht von Bertolt Brecht! Wenn Sie wissen wollen, woher der Spruch kommt, klicken Sie hier.
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