Proteste in Ottawa und Köln (und nicht nur da)

Im Jahr 2017 schrieb der Premierminister von Kanada, Justin Trudeau, während einer Landwirtschaftsausstellung in Calgary sein Autogramm auf die Hakenkreuzfahne eines bekennenden Nazis. Wie konnte das passieren?

Justin Trudeau wusste nicht, dass das Stück Stoff, auf dem er seine Unterschrift hinterließ, Teil einer Flagge war, da es so in das Hemd eines Mannes gesteckt war, dass es aussah wie ein Halstuch. Bei dem Mann handelte es sich um Kyle McKee. Er ist bekennender Neonazi und Gründer einer Organisation, die sich „Arische Wache“ nennt. Er bat den Premierminister, sein Stück Stoff zu unterschreiben, was Trudeau dann auch tat.

„Das ist das Wichtigste, was er seit seinem Amtsantritt unterschrieben hat“, sagte McKee später und fügte hinzu: „Trudeaus Unterschrift auf meiner schönen Flagge.“

Justin Trudeau distanzierte sich augenblicklich nach Bekanntwerden des Umstands von der Hakenkreuzfahne. Er machte die Landwirtschaftsausstellung allerdings nicht dafür verantwortlich, dass sich unter ihren Gästen ein bekennender Nazi befunden hatte.

Justin Trudeau weiß somit, wie es ist, wenn einem eine Hakenkreuzfahne untergeschoben wird. Diese eigene Erfahrung hinderte ihn jedoch nicht daran, ein paar Jahre später, andere Menschen für einen ähnlich gelagerten Fall brutal abzuurteilen.

Im Januar 2022 tauchte bei den Trucker-Protesten in Ottawa eine Hakenkreuzfahne auf. Die Verantwortlichen der Proteste distanzierten sich zwar unmissverständlich von dieser Fahne und sorgten in den kommenden Wochen dafür, dass sich sowas nicht mehr wiederholte, für Justin Trudeau jedoch war klar, dass der ganze Protest im Grunde nur ein einziger rassistischer Aufmarsch sei, der gänzlich verboten gehöre. Er erklärte, sie seien „sehr oft misogyne, rassistische Frauenhasser“.

Diese Bewertung mutet bizarr an, wenn man sich die Bilder der Proteste ansieht.

Sehen diese Menschen so aus, als seien sie misogyne, rassistische Frauenhasser? Für mich sehen sie aus wie eine Gruppe diverser, kulturell, politisch, ethnisch, religiös und gesellschaftlich bunt gemischter Menschen, die sich allerdings unter einem Prinzip vereinen, das sie in Gefahr sehen: Freiheit!

Im Januar 2018 befand sich Justin Trudeau in einer Gesprächsrunde im Rathaus in Quebec. Während der Veranstaltung zeigte ein Zwischenrufer eine umgedrehte kanadische Flagge, auf der ein großes Hakenkreuz gemalt war. Trudeau reagierte außerordentlich ruhig auf den Störer. Als er von Sicherheitskräften aus dem Raum geführt wurde, sagte Trudeau gelassen: „Danke, dass Sie gekommen sind, Sir.“

Justin Trudeau machte nicht alle anwesenden Gäste im Rathaus für das Individuum verantwortlich. Im Fall der Trucker-Proteste handelt er vollkommen anders.

Die Ereignisse in Kanada erinnern ein wenig an die Montagsspaziergänge in Deutschland. Seit einigen Wochen versammeln sich Bürgerinnen und Bürger aus den unterschiedlichsten Schichten und mit den verschiedensten kulturellen und politischen Hintergründen in den Städten Deutschlands, um im geneinsamen Spazierengehen gegen die in ihren Augen überzogenen Grundrechtseinschränkungen im Umgang mit COVID-19 zu demonstrieren.

Immer wieder wird diesen Demonstrationen der Vorwurf gemacht, rechtsradikale Strömungen in den eigenen Reihen zu tolerieren. Tapfer im Nirgendwo hat daher bei einem Organisator der Montagsspaziergänge in Köln nachgefragt und bekam eine deutliche Antwort:

„Rechtsradikales Gedankengut wird bei uns nicht toleriert. Wir stehen für die Grundrechte, Freiheit, Frieden und Selbstbestimmung ein.“

Mitglieder des Organisationsteams versicherten, dass die Verantwortlichen der Spaziergänge in Köln bei Kenntnisnahme verfassungsfeindlicher Parolen selbstverständlich sofort selber tätig werden würden und die Ordnungskräfte und Ermittlungsbehörden unterstützen würden.

Diese Versicherungen decken sich mit den Bildern der Montagsspaziergänge.

Am 14. Februar 2022 fand wieder ein Spaziergang in Köln statt. Bei der parallel stattfindenden Gegendemonstration einiger weniger Leute wurde zwar behauptet, unter den Spaziergängern würden Nazis geduldet, dies war jedoch eine klare Falschbehauptung. Unter den Montagsspaziergängern befanden sich sogar deutliche Plakate gegen Rassismus, zum Beispiel die Parole „Nazis raus“ und der Slogan „Gegen Rassismus“, wie diese Aufnahmen zeigen:

Von manchen Kreisen in der Politik und in der Medienlandschaft wird wahrheitswidrig behauptet, die demonstrierenden Menschen für die Freiheit seien Staatsfeinde. Dabei sind sie in Wirklichkeit nur maximal regierungskritisch.

Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte in einer Gesprächsrunde am 24. Januar 2022:

„Wer sich gegen unser Recht stellt und sich mit selbst erklärten Staatsfeinden und verfassungsschutzbekannten Rechtsextremisten gemein macht, der kann sich nicht mehr glaubwürdig auf Demokratie und Freiheit berufen.“

Steinmeier erklärte, die rote Linie verlaufe genau da, „wo Gewalt ins Spiel kommt“. Diese rote Linie wird von den Menschen, die montags spazieren gehen, nicht nur geachtet, sie demonstrieren gerade für die Beachtung dieser roten Linie. Ein Spruch auf den Plakaten der Montagsspaziergänge lautet: „Wir sind die rote Linie!“

Der Spruch bezieht sich auf eine Aussage von Bundeskanzler Olaf Scholz, die er tatsächlich so mehrfach getätigt hatte: „Es darf keine roten Linien geben, das hat uns diese Pandemie nun wirklich gezeigt.“

Die Demonstrantinnen und Demonstranten positionieren sind somit unmissverständlich gegen Gewalt und zwar nicht nur gegen die Gewalt von Individuen, sondern auch gegen die Gewalt und den Machtmissbrauch der Regierung. Dennoch erklärte Steinmeier in der Gesprächsrunde: „Der Spaziergang hat seine Unschuld verloren.“

Steinmeier und Trudeau verunglimpfen Bürgerinnen und Bürger, indem sie ihnen Gewalttätigkeiten, Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut und die Duldung von Verfassungsfeinden unterstellen. Es sind infame Unterstellungen.

Sowohl die Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen, als auch die Befürworter verurteilen Nazis. Die Befürworter jedoch nutzen die Nazis, wenn sie irgendwo auftauchen, um mit ihnen ihre politischen Gegner zu schwächen und sie zu diffamieren. Sie profitieren von der Existenz dieser Nazis. Das macht genau sie zu den eigentlichen Kollaborateuren und Nutznießern der Nazis.

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Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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