Was haben wir uns in den letzten Monaten nicht alles aus Angst vor einem Virus gegenseitig angetan?
Wenn ich vor zehn Jahren gefragt hätte, welche Partei in Zukunft die Grenzen innerhalb Europas schließen, Freiheitsrechte einschränken und Theater und Gaststätten dazu zwingen wird, Teile der Gesellschaft nicht mehr in ihre Lokalitäten zu lassen, die Antwort wäre gewiss nicht auf jene Parteien gefallen, die es in letzten Monaten getan haben und es immer noch tun.
Von den aktuell im Bundestag vertretenen Fraktionen sind folgende Parteien in mindestens einem Bundesland in der Regierung: SPD, DIE GRÜNEN, FDP, CDU, CSU, DIE LINKE. Sie alle haben somit die teilweise überzogenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Corona unterstützt und politisch exekutiert.
Alle Personen, die zu einer Partei gehören oder eine Partei gewählt haben, die diese Maßnahmen beschlossen hat, sind dafür verantwortlich. Wir sind dafür verantwortlich. Ich bin dafür verantwortlich.
Wir haben temporär die Grenzen Europas geschlossen. Wir haben Lockdowns und Ausgangssperren verhängt. Wir zwingen gesunde Kinder dazu, Masken zu tragen. Wir denken über eine Impfpflicht nach. Wir lassen es zu, dass massiv in die Grundrechte eingegriffen wird, wie zum Beispiel in die Versammlungsfreiheit, in die Meinungsfreiheit und in die Unverletzbarkeit der Wohnung. Wir misstrauen uns und gehen auf Distanz. Wir lassen gewisse Menschen nicht mehr in unsere Gaststätten, Theater und Diskotheken. Wir haben uns zu Exekutoren der Regierung machen lassen, indem wir von unseren Mitmenschen verlangen, sensible persönliche Daten zu offenbaren und sich auszuweisen, bevor wir weiter mit ihnen interagieren. All das haben wir getan und wir tun es immer noch.
Das noch vor zwei Jahren ein erheblicher Teil unserer Gesellschaft diese Maßnahmen für richtig schlimm gehalten hat, wird daran deutlich, dass jede Mahnung vor dem möglichen Bevorstehen eben dieser Maßnahmen zu Beginn der Pandemie von Instanzen der Bundesregierungen sowie von Journalistinnen und Journalisten der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in das Reich der Verschwörungen und rechtsextremen Schwurbeleien verbannt wurde.
Am 30. Januar 2020, ein paar Wochen vor dem ersten Lockdown, wurde im Bayerischen Rundfunk erklärt, wer behauptet, das Coronavirus sei so gefährlich, dass Grenzen geschlossen, der Verkehr eingeschränkt und manche Berufe eingestellt werden müssten, sei ein rechter Verschwörungstheoretiker. Ein paar Tage vor der massiven Einschränkung des öffentlichen Lebens erklärte das Bundesministerium für Gesundheit am 14. März 2020, es seien „Fake News“ zu behaupten, die Bundesregierung „würde bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens ankündigen.“

Alles, was von diesen Redaktionen noch vor zwei Jahren als rechte Verschwörungserzählung bezeichnet wurde, haben deutsche Regierungen schließlich getan und die Sendungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten haben diese Politik medial unterstützend begleitet. Sie alle wurden zu dem, was sie einst kritisiert und verabscheut hatten.
Viele, die sich diese moralische Niederlage nicht eingestehen können, suchen jetzt nach Schuldigen. Es darf und kann schließlich nicht sein, dass sie sich ge- und verirrt haben. Sie sind doch die Guten. Es muss einfach an Andere liegen.
Auf der Suche nach den Schuldigen für die eigenen Taten, wird eifrig die eigene Verfehlung auf andere projiziert. Auf diese Weise wird die Gesellschaft immer weiter gespalten, nämlich in jene, die das geworden sind, was sie einst bekämpfen wollten und jene, die dafür von ihnen verantwortlich gemacht werden.
Wen machen die moralisch Gefallenen für ihren Fall verantwortlich?
Tag für Tag steigt die Anzahl jener, die nicht mehr ertragen, was im Umfeld der Virusbekämpfung passiert. Sie finden, dass wir zu weit gegangen sind und sie melden sich immer lauter zu Wort. Sie demonstrieren, spazieren, kritisieren und klagen. Ihre Kritik geht dabei ausnahmslos in Richtung jener, die diese Maßnahmen zu verantworten haben.
Diese Verantwortlichen jedoch können die Verantwortung ihrer Taten nicht tragen, da sie die Taten eigentlich ablehnen, jedenfalls vor der Corona-Krise noch lautstark abgelehnt hatten. Noch in den letzten Stunden vor der Krise waren sie sich absolut sicher, dass keine Gefahr sie jemals hätte dazu verleiten können, so zu handeln, wie sie es in den letzten Monaten getan haben.
Ihre Angst war größer als ihre Moral.
Die Moral ist jedoch nicht an Corona gestorben. Sie atmet noch; und der Atem hinterlässt einen Hauch.
Was bleibt, ist die Schmach, etwas getan zu haben, wofür man die politischen Gegner verurteilt hätte. Von dieser Schmach verfolgt, greifen viele vom Gewissen gebissene Besserwissende auf erprobte Methoden zurück. Sie erklären einfach die Maßnahmenkritiker zu querdenkenden Verschwörungstheoretikern und verantwortungslosen und unsolidarischen rechten Schwurblern. Das hat schließlich auch schon vor der Krise geklappt.

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