Es waren die Europäer!

Selten in der Geschichte der Menschheit wurde ein Verbrechen so unverblümt in fremde Schuhe geschoben, wie bei der Behauptung, die Amerikaner hätten die Indianer ermordet!

Es waren die Europäer!

Es waren die Spanier, Portugiesen, Engländer, Holländer, Deutschen, Franzosen, eben die ganze europäische Meute, die mit hölzernen Schiffen, aber eisernem christlichen Glauben in die Neue Welt zogen, um dort gehörig den Kehraus zu machen.

Es waren nicht die Asiaten und schon gar nicht die Afrikaner. Zu den Amerikanern gehören jedoch nicht nur die Europäer, sondern auch die Asiaten, die Afrikaner eben alle, die die Freiheitsstatue mit ihrem Spruch einlädt:

„Give me your tired, your poor,
Your huddled masses yearning to breathe free,
The wretched refuse of your teeming shore.
Send these, the homeless, tempest-tossed to me,
I lift my lamp beside the golden door!“

„Gebt mir eure Müden, eure Armen,
Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,
Die bemitleidenswerten Abgelehnten eurer gedrängten Küsten;

Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,
Hoch halt’ ich mein Licht am gold’nen Tore!“

Der Vorwurf, die Amerikaner hätten die Indianer ermordet, ist gerade deshalb so fragwürdig, weil dadurch entweder die asiatischen und afrikanischen Amerikaner für ein Verbrechen verantwortlich gemacht werden, wofür ausschließlich die europäischen Amerikaner verantwortlich sind, oder die asiatischen und afrikanischen Amerikaner werden kurzerhand um ihre amerikanische Identität beraubt. Es ist schon besonders geschmacklos, afrikanische Amerikaner für das Verbrechen europäischer Amerikaner verantwortlich zu machen. Die meisten afrikanischen Amerikaner kamen als Sklaven der europäischen Amerikaner, als menschliches Material in Schiffen gestapelt in die Neue Welt.

Allerdings enthüllen jene, die behaupten, die Amerikaner hätten die Indianer ausgerottet damit ihr absolutes Unverständnis wenn es um die Vereinigten Staaten von Amerika geht. Sie sagen „Amerika“ meinen aber nicht das real existierende Amerika, sondern haben lediglich das „weiße“ Amerika im Kopf. Die afrikanischen und asiatischen Amerikaner aber haben genauso wie die „Indianer“, die ersten Bewohner Amerikas, lange und stark dafür gekämpft, als Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika anerkannt zu werden, denn die USA ist in erster Hinsicht eine Verfassung mit den Idealen der Freiheit, dem Recht auf Leben und dem Streben nach Glück.

Dieses Recht, sich Amerikaner mit allen Rechten der Bill Of Rights nennen zu dürfen, erhielten die Einwanderer aus Afrika und Asien am 3. Februar 1870 durch die Ratifizierung des 15. Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten. Dieser Zusatz verbietet es, einer Person aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Hautfarbe das Wahlrecht zu verweigern.

(Als interessante Nebeninformation muss darauf hingewiesen werden, dass im Jahre 1870 zwar alle Männer, jenseits ihrer Herkunft und Hautfarbe das Wahlrecht erhielten, aber Frauen egal ob „schwarz“ oder „weiß“ erst 1920 das verfassungsrechtlich verankerte Wahlrecht mit dem 19. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten erhielten. Es schien für die europäischen Männer somit akzeptabler zu sein, dass ihre Sklaven an der Politik partizipieren, als ihre Frauen. Es verwundert somit nicht, dass ein Barack Obama eher möglich war als eine Hillary Clinton.)

Die radikale Unkenntnis, was die Vereinigten Staaten von Amerika anbelangt, wird auch an folgender Aussage deutlich: „Die Amerikaner haben keine Bildung!“ Diese Aussage hat überall in Europa Konjunktur, ist jedoch nichts weiter als reines Vorurteil!

Wie oft höre ich in Gesprächen den Vorwurf, die meisten Amerikaner wüßten nicht einmal, wie die Hauptstadt von Frankreich oder der Premierminister von Großbritannien heißt. Mal ganz angesehen davon, dass nicht mal mit Sicherheit gesagt werden kann, ob die meisten Deutschen diese beiden Fragen beantworten könnten, offenbart diese Aussage doch nur die eigene absolute Selbstherrlichkeit.

Warum bitte soll ein Amerikaner mit afrikanischer Herkunft die Hauptstadt von Frankreich kennen? Wissen denn die meisten Europäer, wie die Hauptstadt der Elfenbeinküste, Togo oder Nigeria heißt? Warum muss ein Amerikaner mit asiatischer Herkunft wissen, wie der englische Premier heißt. Kann denn jeder Europäer den Namen des chinesischen Staatsoberhaupts nennen? Weiß überhaupt eine Mehrheit, wie der Posten den Staatsoberhaupts Chinas genannt wird?

Wenn jemand in Europa sagt, die Amerikaner hätten keine Bildung, dann kritisiert er damit in Wirklichkeit nur jene Amerikaner, die die Frechheit besitzen, Europa nicht für den Mittelpunkt der Welt zu halten. Das aber ist pure Selbstüberschätzung und Selbstherrlichkeit und das sind genau die Eigenschaften, die den Amerikanern gerne von europäischer Seite attestiert werden.

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Ein kleiner Nachtrag zum Thema Kultur und Bildung. Selbst das Nobelpreiskomitee muss eingestehen, dass die USA im Thema Kultur und Bildung oben auf schwimmen. Die USA hat mehr Medizinnobelpreise als alle anderen Länder zusammen, fast so viele Physiknobelpreise wie alle anderen Länder zusammen, doppelt so viele Wirtschaftsnobelpreise als alle anderen Länder zusammen, ist bei dem Literaturnobelpreis auf Platz 3 und bei dem Friedensnobelpreis auf Platz 1!

Kein Wunder, dass sich das Komitee zum Literaturnobelpreis seit Jahren weigert, den Literaturnobelpreis an Philip Roth, Don DeLillo oder Thomas Pynchon zu vergeben. Die USA an der Spitze aller Rubriken, das könnte Europa nun wirklich nicht ertragen.

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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