Kein Grund zur Panik!

„Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.“ (Michel de Montaigne)

Einige glauben, Deutschland stünde kurz vor der feindlichen Übernahme durch den Islam, andere glauben, Deutschland stünde kurz vor der Machtergreifung der Nazis. Es gibt Menschen, die orakeln von einem links-grün versifften Ende, andere sehen eine neo-liberale Apokalypse am Horizont aufsteigen. Alle Befürchtungen sind völlig hysterisch!

Es stehen keine Nazis kurz vor der Machtergreifung. Wer das behauptet, hat nicht nur nichts aus der Geschichte gelernt, sondern relativiert und verharmlost die Nazis.

Die Nazis waren fest davon überzeugt, so fest verwurzelt auf der richtigen Seite zu stehen, dass es ihnen moralisch geboten erschien, ihre politischen Gegner zu verfolgen, zu schlagen und zu töten. Vor allem aber verachteten sie das Parlament und arbeiteten mit der Angst. Dieser Angst dürfen wir uns nicht ergeben.

Unsere Verfassung schützt die Freiheit des Einzelnen und je vielfältiger und bunter eine Gemeinschaft wird, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Farbe hinzukommt, die man nicht mag. Vielfalt bedeutet, das zu tolerieren, was man zwar nicht akzeptieren kann, das aber dennoch nicht verboten und daher zu ertragen ist.

Als im Jahr 1933 eine radikal antidemokratische Partei bei den Wahlen in der Weimarer Republik über dreißig Prozent holte, hatte Deutschland eine zahnlose Verfassung. Ohne Probleme konnte die NSDAP diese Verfassung abschaffen und eine Diktatur installieren. Das geht heute nicht mehr. Heute sind wir hervorragend konstituiert.

Unsere deutsche Verfassung, das Grundgesetz, ermöglicht es uns, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, auch wenn sie einer extremen Ideologie, Religion oder Überzeugung angehören, parlamentarisch Gehör verschaffen können, um im Streit, in der Auseinandersetzung und einer möglichen Zusammenarbeit eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.

Die Verfassung, die uns das ermöglicht, wurde uns unter anderem von den Amerikanern, Engländern und Franzosen geschenkt, die diese Verfassung vor über siebzig Jahren für uns erkämpft haben. Diese großen Nationen haben kein Problem damit, auch extreme Positionen in ihre Politik zu integrieren. Ob nun Marine Le Pen in Frankreich oder Brexit-Befürworter in Großbritannien, extreme Positionen können dort sogar Wahlen gewinnen und dennoch gehen diese Nationen daran nicht zu Grunde. Es wird lediglich intensiver diskutiert, auf den Straßen mehr demonstriert und bei Familienfeierlichkeiten etwas mehr gestritten, aber die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist in keine dieser großen Nationen in Gefahr.

Diese Länder zeigen uns, dass die Antwort auf extreme Positionen nicht ein Verbot ist, sondern eine starke Konstituierung, die an extremen Haltungen nicht zu Grunde geht, sondern sie parlamentarisch zu integrieren versteht.

Integration ist das Stichwort!

Seit fast zweieinhalb Jahrhunderten ist die amerikanische Verfassung in Kraft. Allein in den letzten zwanzig Jahren haben die Vereinigten Staaten von Amerika extreme Machtwechsel erlebt. An einem Tag war Bill Clinton Präsident, am nächsten Tag George W. Busch, dann Barack Obama und darauf Donald Trump. Radikalere Unterschiede in der Macht sind kaum denkbar. Dennoch schaffen es die USA, diese radikalen Wechsel der Macht zu organisieren. Ihre Verfassung macht es möglich. Die USA ist eben ein Einwanderungsland und keine andere Nation versteht Integration der unterschiedlichsten Haltungen und Positionen daher besser als diese wunderbare Föderation.

Ein Land mit einer guten Verfassung weiß, dass es Menschen mit radikal unterschiedlichen Meinungen und Haltungen gibt und dass darunter sogar eine Menge haarsträubender Ideologien zu finden sind. In einem Land mit einer guten Verfassung werden diese Haltungen jedoch nicht verboten, sondern in einem gut konstituierten Umfeld gezügelt, damit sie sich mit allen anderen Überzeugungen auseinandersetzen müssen. Jede Überzeugung und mag sie noch so vermeintlich göttlich oder offensichtlich menschlich sein, darf diskutiert, kritisiert und lächerlich gemacht werden.

Nichts nutzt dem bösen Wort mehr als die Macht, alle anderen Worte verbieten zu können. Selbst eine Restriktion in bester Absicht eingeführt, kann zur gefährlichen Waffe werden, wenn die falschen Leute an die Schalthebel dieser Macht kommen.

Bei jedem Gesetz sollte man sich die Frage stellen: Kann ich wollen, dass dieses Gesetz auch gilt, wenn meine politischen Gegner an der Macht sind? Wenn diese Frage mit Nein beantwortet wird, sollte von diesem Gesetz Abstand genommen werden.

In der Verfassung der DDR stand im Artikel 6 Absatz 5:

„Militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhass werden als Verbrechen geahndet.“

Klingt gut, oder? Wer ist schon ein Freund von Kriegshetze und Rassismus? Ist doch gut, wenn all das verboten wird. Es war genau dieser Absatz, mit dem Kritikerinnen und Kritiker des unmenschlichen DDR-Regimes in Knast und Folter gesperrt wurden.

Rede nie mit einem selbsternannten Friedensaktivisten. Es ist eine Falle. Wer sich nämlich so nennt, macht Dich zu einem Kriegsaktivisten, sobald Du es auch nur wagst zu widersprechen. Du kannst nur verlieren.

So verführerisch es klingt, die Antwort auf extreme Positionen ist nicht ein Verbot, sondern eine starke Verfassung, die an extremen Haltungen nicht zu Grunde geht, sondern sie parlamentarisch zu integrieren versteht. Und selbst wenn im Parlament mal ein Fehler passiert, so gibt es immer noch den Bundesrat, den Bundespräsidenten, das Bundesverfassungsgericht und am Ende sogar Artikel 20 Absatz 4.

Es gibt genug Werkzeuge der Gewaltenteilung, um uns gelassen selbst mit extremen Positionen auseinanderzusetzen. Es gibt keinen Grund zur Panik, selbst nicht, wenn mal Die Linke oder die AfD die Kanzlerin oder einen Ministerpräsidenten stellt. Unsere Verfassung hält das aus. Angst müssen wir erst haben, wenn die Mehrheit der Menschen so eine Angst bekommt, dass sie unserer Verfassung so sehr misstraut, dass sie zu verfassungsrechtlich bedenklichen Methoden greift, um unliebsame Parteien aus dem Diskurs zu entfernen.

Die Nazis wurden damals von den Deutschen nicht verhindert. Das nagt heute an der Seele vieler Deutschen, die stolz darauf sind, nicht stolz zu sein. Sie wollen beweisen, dass sie selbst niemals auf die Nazis reingefallen wären. Um das jedoch zu beweisen, brauchen sie Nazis. Deshalb sehen sie überall Nazis und wo es keine gibt, schaffen sie einfach welche. Sie brauchen Nazis, um über achtzig Jahre zu spät die NSDAP zu verhindern. Darum jazzen sie ihre politischen Gegner zu Nazis hoch, skandalisieren jedes unbedachte Wort und sehen schon die Schornsteine der Vernichtungslager rauchen, wenn wo der politische Gegner eine Wahl gewinnt.

Es gibt in Deutschland eine Lust nach Nazis, eine Todessehnsucht nach der Dämmerung der Demokratie, um endlich beweisen zu können, dass man dieses Mal auf der richtigen Seite steht.

Es ist immer Vorsicht geboten, wenn sich eine Gruppe von Menschen gegen ein Feindbild formiert, möge das Feindbild auch noch so schlecht sein. Sehr schnell entsteht in solchen Gruppen nämlich eine Dynamik, die dafür sorgt, dass jede abweichende Meinung zum Verrat erklärt wird. „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“, ist die Rhetorik dieser neuen Patrioten und die Aufforderung zur Distanzierung ihr Mittel der Unterdrückung.

Ich plädiere für mehr Gelassenheit. Reden Sie mal mit den Menschen, die ihnen Angst bereiten. Vielleicht werden Sie sich bei dem Gespräch öfter mal ärgern, aber Sie werden vielleicht auch erkennen, dass Ihre blinde Angst völlig unbegründet war. Vielleicht lernen Sie sogar was. Kein Mensch ist perfekt, auch nicht im negativen. Selbst Ihr größter Feind hat mal recht. Keine Feindschaft sollte Sie um wichtige Erkenntnisse bringen.

Sie brauchen keine Angst zu haben. Sie sind stark, weil unsere Verfassung stark ist!

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Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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