Zwei Minuten Yada Yada

Rund 250 Menschen warteten am 28. Juni 2013 kurz vor elf Uhr schutzsuchend unter dem Dach des Römisch-Germanischen Museums vor dem Kölner Dom und warteten darauf, dass die Domuhr elf schlägt. Sie waren gekommen, um bei Yael Bartanas Kunstaktion „Zwei Minuten Stillstand“ teilzunehmen. Es regnete. „Was für ein tristes Wetter,“ schienen einige zu denken, „so macht Holocaustgedenken einfach keinen Spaß.“

Der Grund für nicht wenige, an dieser Performance teilzunehmen, war, um es mit den Worten des Oberbürgermeisters Jürgen Roters zu sagen: Eine großartige Gelegenheit einer gemeinschaftlichen Erfahrungen.

„Yael Bartana gibt uns mit ihrer Einladung zu „Zwei Minuten Stillstand” die großartige Gelegenheit, individuell zu entscheiden, eine gemeinschaftliche Erfahrung zu machen. Es ist ein wichtiges Projekt, das uns auffordert darüber nachzudenken, wie wir heute der Schrecken des Holocausts gedenken können, aber auch was unsere eigene Verantwortung für unsere Gegenwart und Zukunft ist. (…) Darüber, was es heute bedeutet, deutsch zu sein, als Immigrant in Deutschland zu leben, welche Konsequenzen der Holocaust ebenso wie seine Instrumentalisierung heute haben.“

Für Jürgen Roters ist das Holocaustgedenken somit eine großartige Gelegenheit einer gemeinschaftlichen Erfahrungen. „Eine großartige Gelegenheit einer gemeinschaftlichen Erfahrungen“, das war damals für einige auch der Holocaust selbst! Es fehlte an diesem Morgen in Köln eigentlich nur noch ein„dreifach donnerndes Holocaust Alaaf!“

Am 28. Juni 2013 um 11 Uhr präsentierte Yael Bartana im Rahmen der Impulse Theater Biennale vor dem Kölner Dom „Zwei Minuten Stillstand“, eine Performance, die für mich wie eine karnevaleske Verballhornung des Holocaustgedenktags wirkte. Jom haScho’a ist ein israelischer Nationalfeiertag und Gedenktag für die Opfer der Shoa einerseits und den jüdischen Widerstand und das Heldentum der jüdischen Untergrundkämpfer andererseits. An dem Tag um 10 Uhr heulen in Israel für zwei Minuten die Sirenen. Der öffentliche Nahverkehr und normalerweise auch alle anderen Fahrzeuge halten dann an, die meisten Passanten bleiben schweigend stehen. Israel hält inne. Diese Form des Gedenkens hat Yael Bartana jetzt in Köln parodiert.

Um 11 Uhr blies eine Gruppe Schülerinnen und Schüler in Trompeten und Hörner und einige Menschen auf der Domplatte standen still und dachten. Yael Bartana hatte im Vorfeld auf der Homepage des Festivals sogar vorgeschlagen, woran gedacht werden kann:

„Drittes Reich und Holocaust sind nicht nur historische Ereignisse – sie haben weitreichende Wirkungen in unsere Gegenwart hinein: die Gründung des Staates Israel, die Besetzung der palästinensischen Gebiete, Flucht, Vertreibung in Europa und im Nahen Osten. Selbst die finanziellen Ungleichheiten in der EU sind vielfach noch immer Folgen des Zweiten Weltkriegs, so wie es Deutschlands Wohlstand ist.“

Dazu hat die taz die passenden Worte gefunden:

„Vertriebene Schlesier, bedrohte Migranten: Die Aktion „Zwei Minuten Stillstand“ verwandelt Holocaust-Gedenken in ein europäisches Wohlfühlprojekt.“

Am 28. Juni um 11 Uhr gab es vor dem Kölner Dom somit eine Holocaustgedenkveranstaltung für alle! Yael Bartana nahm den israelischen Gedenktag Jom haScho’a, der an die historisch präzedenzlose Transformation von Millionen von Menschen in Nichtmenschen und ihre anschließende Vernichtung gedenkt, und machte daraus eine Kölsche Parodie, bei der an alles gedacht werden sollte, was so doof ist in der Welt. Einige demonstrierten gegen Rassismus, andere gegen Israel. Es war schlicht und einfach eine reine Instrumentalisierung des Holocausts.

Die Performance, die gegen die Instrumentalisierung des Holocausts antreten wollte, instrumentalisierte selbst den Holocaust. Das ist klassische Ironie!

Deshalb versammelten sich zur gleichen Zeit am selben Ort auch Menschen aus allen Ecken Deutschlands, um diese Instrumentalisierung nicht stumm hinzunehmen. Sie kamen aus Essen, Siegen, Hamburg und Köln. Sie hatten teilweise durch diesen Blog von der Performance erfahren. Sie kamen und brachen das Schweigen! Sie sangen das hebräische Lied der Hoffnung (Hatikva) und tranken Wein. Einige trugen Israelfahnen.

Dies wiederum störte einige Schüler, die von ihren Lehrerinnen und Lehrern hergebracht worden waren, um gegen Rassismus zu demonstrieren. Sie wollten nicht auf einer Demo mit Israel sein. Einige riefen sogar „Viva Palastine!“ Es war vermutlich die eher israelkritische Einladung, die sie motiviert hatte, überhaupt dabei zu sein. Jetzt sahen sie die Fahne Israels. Das gefiel ihnen gar nicht!

Im Anschluss der Performance erklärte mir die Künstlerin, dass es keine Autorität geben dürfe, die darüber entscheidet, wie man an den Holocaust zu denken habe. „Sie haben Recht,“ erwiderte ich auf englisch, „aber das klingt schon ein bißchen komisch aus dem Mund einer Künstlerin, die gerade eine Holocaustgedenkkunst performt hat, die von öffentlichen Geldern finanziert wurde und unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters stattfand. Noch mehr Autorität geht in einer Demokratie nicht!

Später am Tag, um 18 Uhr, saß ich in einer Diskussionsrunde zu der Performance an der Universität zu Köln. Die Kuratorin der Impusle Theater Biennale 2013, Stefanie Wenner, sagte, sie habe die Performance an der Keupstraße erlebt. Dort seien auch Schülerinnen und Schüler anwesend gewesen, die das Stillstehen vorher in der Schule geübt hätten. Es sei sehr schwer gewesen, sie zum Stillstehen zu bewegen, aber es habe funktioniert. Dieses Stillstehen verleitete Stefanie Wenner dann tatsächlich zu der Aussage: „Es war ein Moment von Schönheit.“

Holocaustgedenken kann so schön sein, vor allem wenn deutsche Schüler wieder das Strammstehen lernen.

Ein weiterer Diskussionsteilnehmer des Abends sagte: „Das Kunstwerk passt besser nach Köln als nach Düsseldorf, weil es in Köln ein viel größeres Gemeinschaftsgefühl gibt.“

Und jetzt alle:

He am Rhing
Jo mir stonn
zesamme he am Rhing
stonn janz fes zesamme
he am Rhing
jeht et uns och noch su schläch
denke mir uns – jetzì eez räch
denn mir stonn zesamme he am Rhing

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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