Die wahren Deutschen

„Be Deutsch“ heißt ein Video von Jan Böhmermann. Es zeigt auf erschreckende Weise, was Deutschland heute ausmacht.

Das Video beginnt ganz dramatisch mit einer Erinnerung an die Reichsprogromnacht vom 9. November 1938 gegen Juden und jüdische Einrichtungen. Danach geht es mit einem Schnitt in die Gemeinde Clausnitz 2016, wo Menschen mit dem Slogan vom 9. November 1989 („Wir sind das Volk“) gegen Flüchtlinge hetzten. Im Bus sitzt ein kleiner Junge, der dem wütenden Mob hilflos ausgeliefert ist, bis Jan Böhmermann mit den „wahren Deutschen“ erscheint, um dem Jungen zur Seite zu springen.

Die „wahren Deutschen“ sind nett, tolerant, liberal, sozial, friedlich, multikulturell, aufgeklärt, verantwortlich, offenherzig, selbstlos, vereint und, das ist das Lustigste an dieser Aufzählung: bescheiden! Selten gab es eine bescheidenere Selbstbeschreibung als diese.

Jan Böhmermann singt, die „wahren Deutschen“ seien zwar etwas spießig und kleinkariert wie Dosenpfand und Birkenstock, aber dafür hätten sie das Grundgesetz. Die „wahren Deutschen“ sind bunt. Sogar ein Jude ist unter den „wahren Deutschen“. Es ist allerdings ein orthodoxer Jude mit Schläfenlocken, der in der jüdischen Community in Deutschland zwar eine absolute Minderheit ausmacht, aber eben doch so aussieht, wie sich ein Nazi einen Juden vorstellt. Hier sehen wir, dass sich die Bilder, die stramme Nazis und die „wahre Deutschen“ von Juden haben, nicht groß unterscheiden.

Eigentlich sollten einem die „wahren Deutschen“ Böhmermanns sympathisch sein, aber eine Parole dreht als das gut gemeinte ins diabolische Gegenteil:

„Sagt es klar, sagt es laut:
Wir sind stolz, nicht stolz zu sein!
Wir sind hier, Euch daran zu erinnern,
dass auch wir einst dumm waren.“

Jan Böhmermann hat sich mit der deutschen Vergangenheit auseinandergesetzt und zwar so richtig schön weit auseinander.

Die deutsche Vergangenheitsbewältigung ist ein wahres Wirtschaftswunder und gehört neben Autos und Bier zum wichtigsten Wirtschaftsgut des Exportweltmeisters Deutschland. Man überlege sich nur einmal, wie dramatisch die Arbeitslosenzahlen in Deutschland aussehen würden, wenn es all die Arbeitsplätze in den Lern-, Gedenk- und Dokumenationsstätten, in den Holocaustforschungsinstituten und Universitäten der Antisemitismusforschung nicht geben würde.

Ohne Vergangenheitsbewältigung wäre die Stadt Berlin um eines ihrer beliebtesten Sehenswürdigkeiten ärmer. Es gäbe kein Holocaust Mahnmal. Altkanzler Gerhard Schröder sagte einst über dies Stelenfeld, es sei ein Mahnmal, „wo man gerne hingeht“. Der Historiker Ebehard Jäckel brachte es sogar fertig und erklärte: „Es gibt Länder in Europa, die uns um dieses Denkmal beneiden.“ Beneiden! Das ist genau der deutsche Stolz, den Jan Böhmermann präsentiert.

Der deutsche Vergangenheitsbewältiger ist stolz auf den Holocaust; natürlich nicht auf die Perfektionierung des Massenmordes selbst, aber schon irgendwie auf die Perfektionierung der Bewältigung des Massenmordes. Hätte es den Holocaust nicht geben, dann hätte auch das ehemalige Waffen-SS-Mitglied Günter Grass niemals „Die Blechtrommel“ geschrieben und somit vermutlich auch nie den Nobelpreis für Literatur erhalten. In 55 Jahren von der SS zum Nobelpreis, das schafft nur der deutsche Vergangenheitsbewältiger. Ohne deutsche Vergangenheit hätte Volker Schlöndorff niemals „Die Blechtrommel“ verfilmen können und daher nie einen Oscar für diesen Film erhalten. So gut wie alle Oscars für den deutschsprachigen Raum sind Resultate der Vergangenheitsbewältigung!

Wer einmal in Berlin war und sich in den Hotels die Reiseführer angeschaut hat, erkennt sofort, woran Berlin verdient: „Third Reich Tour“ und „Hitler’s Berlin“ sind die beliebtesten Stadtführungen.

Die Vergangenheitsbewältigung wurde mittlerweile so sehr perfektioniert, dass sie mittlerweile sogar zum offensiv-aggressiven Imperialismus mutiert ist. Großzügig gibt der deutsche Vergangenheitsbewältiger der ganzen Welt Nachhilfe in Sachen Vergangenheitsbewältigung.

Jan Böhmermann zum Beispiel tadelt in seinem Video Politiker aus den USA, aus Russland und der Türkei. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Die industrielle Massenvernichtung wird zu einer sittlich-bildenden Lehranstalt verklärt und die treuen und guten Bewältiger erheben sich aus der eigenen Schande über alle anderen Völker der Welt und rufen: „Wir stolz, nicht stolz zu sein!“

Sie sind stolz auf den nicht vorhandenen Stolz, geboren aus der Bewältigung des Holocaust, die es ohne den Holocaust nicht gäbe. So war die Zeit von 1933 bis 1945 also doch noch für was gut. Jan Böhmermann fasst den Sündenstolz mit diesen Worten zusammen:

„Vertraut unserer teutonischen Expertise,
Wir wissen, wohin Arschlochhaftigkeit führt.“

Brauchten die Deutschen für diese Erkenntnis echt den Holocaust? Brauchte Deutschland Auschwitz, um zu erkennen, dass man Menschen nicht millionenfach vergast? Brauchte Deutschland Hitler, um zu begreifen, dass Juden Menschen sind? Mussten erst Nazis kommen, damit Deutschland versteht, dass man lieb zueinander sein sollte, aber sich wehren darf, wenn man verfolgt wird? Nein!

Der Holocaust ist keine Nachhilfe für moralisch Sitzengebliebene, sondern schlicht ein unvergessbares und unverzeihliches Verbrechen, aus dem es nichts zu lernen gibt! Der Holocaust eignet sich nicht als moralischer Ausgangspunkt. Mir ist als hörte ich einen Rumor aus Jan Böhmermanns Lied, ganz leise, aber immer stärker hervortretend. Der Rumor flüstert: Gott ist tot, es lebe Auschwitz!

Der Holocaust ist zur Begründungsmatrize für allerlei Überzeugungen und Ideologien verkommen und die Vergangenheitsbewältiger stehen Gewehr bei Fuß, wenn es darum geht, jemanden zum Nazi machen. Das Wort „Nazi“ ist mittlerweile nur noch eine Beleidigung, die gegen politische Gegner angewendet wird, mag es nun ein Präsidentschaftskandidat in den USA sein oder ein Politiker in der Türkei oder in Russland.

Die Meister der Vergangenheitsbewältigung aus Deutschland schleudert die „Nazi“-Beleidigung am liebsten in Richtung Israel. Ihm fällt es leicht, tote Juden zu betrauern, aber er ist unfähig, lebenden Juden zur Seite zu stehen.

Den Höhepunkt des deutschen Stolzes, nicht stolz zu sein, erreicht Jan Böhmermann, wenn er in seinem Video ein kleines Mädchen Deutschland als Land der Dichter und Denker präsentieren lässt:

„Hey, Ihr Pimmelgesichter, schaut Euch diese legalen Bürger der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 2016 mal genau an. Es ist ihnen uneingeschränkt erlaubt, zu tun, was auch immer sie verfickt tun wollen, Ihr blöden Typen mit Scheiße statt Gehirn im Kopf. Und wollt ihr wissen, warum das so ist, ihr Fickfressen? Weil sie verfickte Menschen sind, wie Ihr und jeder andere auch. Habt Ihr schon mal was vom Kategorischen Imperativ gehört, Arschlöcher? Lest Kant, Ihr Fotzen! Er war auch Deutscher!“

Immanuel Kant war kein Deutscher. Er war Preuße. Deutschland wurde erst im Jahr 1871 gegründet, also 65 Jahre nach dem Tod Kants, aber das kümmert die stolzen Deutschen, die stolz darauf sind, nicht stolz zu sein, nicht!

Kann sich irgendwer vorstellen, dass ein Engländer, voller Stolz nicht stolz zu sein, brüllt: „Schon mal was vom britischen Empirismus gehört, Ihr Wichser? Lest Mill, Ihr Pimmel!“ Oder ein Amerikaner: „Schon mal was vom amerikanischen Pragmatismus gehört, Ihr Leckmuscheln? Lest Putnam, Ihr Penner!“

Nein, einen solchen Stolz gibt es nur in Deutschland und Jan Böhmermann zeigt, auch wenn die Ziele und Werte dieser neuen „wahren Deutschen“ sympathisch sind, so wohnen den Inhabern dieser Werte immer noch die Rudimente des deutschen Chauvinismus‘ inne. Sie sind überzeugt davon, die Welt in ihrem Sinne verbessern zu müssen, weil sie tief drinnen von der Überzeugung besessen sind, den anderen Völkern überlegen zu sein.

Ein tief empfundenes Gefühl der Überlegenheit hat in der Geschichte jedoch schon so manchen „wahren Deutschen“ zu bösen Taten getrieben.

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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