In den letzten Monaten habe ich, wie viele andere auch, den Umständen geschuldet, viele Podcasts gehört. Dabei ist mir aufgefallen, dass die meisten Podcasts aus einem, oft zwei, manchmal mehreren Männern bestehen, die über sich und die Welt reden. Ganz progressive Männer haben manchmal Frauen zu Gast. Viel seltener gibt es Podcasts, die von Frauen produziert werden und in denen Frauen miteinander reden und dann auch noch über sich und die Welt.
Obwohl solche Podcasts selten sind, ist es gerade eine feministische Podcast-Folge vom 2. August 2020, die für mich ganz persönlich der beste, weil informativste Podcast der letzten Wochen ist. Es handelt sich dabei um die Folge „Der Sturz von Arendt“ von „Die Podcastin“ mit der Rohnerin und laStämpfli.
Ich gestehe, ich war erst etwas abgeschreckt, weil in dem Podcast die ZDF-Show „Die Anstalt“ als „meine absolute Lieblingssendung“ bezeichnet wird. Ich hatte keine Lust, zwei Frauen dabei zuzuhören, wie sie über zwei Männer und deren „großartigen“ Humor reden. Allerdings ist Humor Geschmacksache. Witze sind wie Fürze, man glaubt, nur die der anderen stinken. Ich blieb daher dran.
„Die Podcastin“ hat sich für mich zu einem absoluten Lieblingspodcast entwickelt, bei dem ich so viel lerne, dass ich für diesen Podcast gerne das zahlen würde, was ich für „Die Anstalt“ zahlen muss.

Ich zitiere ein paar Gedanken der Philosophin und ausgewiesenen Expertin der Philosophie von Hannah Arendt, Regula Stämpfli, aus „Die Podcastin“:
„Das ist das Entscheidende, was die Linken der Hannah Arendt nie vergeben haben:
Hannah Arendt muss immer wieder damit kämpfen, dass ihre Gegner, die sich verwehren dem Gedanken von Freiheit, der Freiheit, frei zu sein und der Verantwortung des Einzelnen, die sich dem verwehren, dass jeder Mensch auch eine Verantwortung hat, in die Öffentlichkeit zu treten, in die Welt zu treten, in der Welt zu erscheinen und sich mit Kritik auch mit der Welt auseinanderzusetzen, also all jenen, die das nicht tun wollen, sondern sich hinter wunderbaren Kollektiven verstecken wollen, hinter Ideologien, die das „reine“ Denken verkörpern, also seit den Religionen, all die kommen jetzt wieder aus den Löchern hervor.
Das sind die sechs Vorwürfe, die ich mache, wenn es um die strukturelle Diskriminierung von Hannah Arendt als Denkerin geht und das richtig sich gegen alle denkende Frauen, vor allem Philosophinnen. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, die Philosophie! Das ist echt die letzte Bastion der absoluten Männerherrschaft. Das ist sowas von brutal. Das kennen alle, die Philosophie unterrichten und Philosophieprofessorinnen sind.
1. Einer Intellektuellen werden Zitate immer kontextlos untergeschoben
2. Einer Philosophin wird immer vorgeworfen, keine wirklich akademische Fachdisziplin zu haben, weil sie das Geschlecht thematisiert. Man kann sie ideologisch nicht einordnen, weil sie es wagt, über Frauen als allgemeine Menschen zu reden und nachzudenken. Was bei Männern als eigenständiges Denken gerühmt wird, gilt bei Frauen immer als konfus.
3 Den Denkerinnen ohne Geländer wird vorgeworfen, nicht zu sein, wie die großen Männer ihrer Zeit. Da wird Adorno zitiert, Sartre, Abendroth und so weiter und so fort und gesagt, Arendt hätte ja auch so links werden können wie die, also das sozialistische Gedankengut. Genau das ist es nicht. Arendt ist keine Herdenfrau, die einfach den kommunistischen Ideologien folgt und die klassisch kommunistischen Kategorien für ihre Analyse braucht, sondern sie braucht ganz viel Eigendenken und ganz viel eigene Innovation und historische Politik.
4. Hannah Arendt wird persönlich diffamiert. Allein ihr Habitus ist immer sehr anstößig für ihre Gegner. Da wird gesagt, Hannah Arendt sei die Tochter aus gutem Hause; sie sei in ihrer Jugend politisch desinteressiert gewesen; sie sei erst durch ihren ersten Ehemann zur jüdischen Identität gekommen und eigentlich wäre sie dann nur der Linken zugeordnet worden, weil sie ihren zweiten Ehemann, Heinrich Blücher, den Kommunisten geheiratet habe. Ein Vorurteil gegen Hannah Arendt, das immer wieder kommt, ist, dass sie mit Heidegger ein Verhältnis hat. Ja, meine sehr verehrte Damen und Herren, alle hatten ein Verhältnis mit Heidegger. Der Sartre wurde überhaupt nur berühmt wegen dem Heidegger, weil er einfach Heidegger auf französisch übersetzt hat eins zu eins und dann noch seinen eigenen kommunistischen Teil dazu gebracht hat. Es ist unglaublich. Es wird immer, um Heidegger zu verteidigen, Hannah Arendt beigezogen, um zu sagen: „Ja, immerhin hat er ein Verhältnis gehabt mit einer Jüdin.“ Es ist übel. Wer sich nicht mit politischer Philosophie beschäftigt, realisiert nicht welche uralten, ideologischen Kämpfe hier auf allen Seiten an der Person, an dieser großen Denkerin ausgefochten werden.
5. Arendts Biographie wird aus linker Sicht schlicht herbei gelogen. Sie sei eine weltberühmte Schriftstellerin gewesen schon 1951, wenn das Gegenteil stimmt. Das erste, als was sie in den USA als staatenloser Flüchtling gearbeitet hat, weil sie das letzte Schiff in die USA noch bekommen hatte: Sie war Haushälterin für ein älteres Ehepaar in den USA. Sie hat den Haushalt geführt. Es wird jedoch verleumderisch behauptet, dass Arendt von der CIA bezahlt wurde und mit Preisen geradezu überhäuft wurde, was auch nicht stimmt, sie hat nämlich kämpfen müssen, dass sie überhaupt Anerkennung erhalten hat und die Anerkennung kam erst in Deutschland, nachdem sie „Eichmann in Jerusalem“ geschrieben hatte, weil es den Deutschen natürlich zu Pass kam, endlich sind nicht nur die Deutschen die Bösen, sondern auch die Judenräte.
6. Der sechste Punkt ist ein aktuelles Problem, dass sich die „Black Lives Matter“ und die radikale Linke sehr oft antisemitisch und frauenfeindlich gebärden. Also frauenfeindlich gerade auch von einzelnen Genderaktivist_Innen, die beispielsweise gegen sogenannte „alte Feministinnen“ klassische Frauenvernichtungskampagnen führen. Am Beispiel von Arendt lässt sich das sehr gut zeigen, weil Hannah Arendt ist für die Freiheit, frei zu sein, sie ist die große Denkerin der Gegenwart, der Moderne, sie ist eine Klassikerin für die digitale Transformation, sie denkt genuin lebendig und das ist das Großartige der Hannah Arendt und das macht alle wütend. Sie ist eben eine, was man in der Philosophie nennt, Parästhesie, sie sucht die Wahrheit. Und nach Foucault ist die Wahrheitssuche immer auch eine Gefahr für sich selber, für die Wahrheitssprechende. Das siehst du in der Auseinandersetzung mit Arendt. Ich fühle mich manchmal wie in einem falschen Film. Einerseits wird Hannah Arendt in Ausstellungen gerühmt, verkitscht im Film, mit der Haltung der Zigarette als Denkerin inszeniert. Aber es ist vor allem die Schale, die inszeniert wird, während gleichzeitig ihr radikales Denken völlig außen vor gelassen wird. Andererseits wird ihr radikales Denken mit ganz üblen Methoden vor allem von der linken, aber auch von der rechten Seite, aber von der rechten Seite erwartet man auch keine Intellektualität, wie mit Säuberungsanstalten unter Stalin auseinandergenommen. Das ist schon eine Wiederholung der Geschichte, nicht nur als Tragödie und Farce, sondern als absolutes Karussell.
Hannah Arendt stammt von einer alleinerziehenden, großartigen Mutter. Sie musste das Gymnasium verlassen, weil die beschimpft wurde. Die Mutter hat Hannah Arendt ihren Satz fürs Leben gegeben und mir auch, die Leitlinie: Wenn Du als Jüdin beschimpfst wirst von Deinen Kollegen und Kolleginnen, dann musst Du Dich selber wehren, dass ist unter Gleichen. Unter Gleichen kann sich jedes Individuum, jeder freie Mensch auch frei wehren. Unter Gleichen! Aber wehe, Du wirst hierarchisch diffamiert als Jüdin und beschimpft, zum Beispiel durch einen Lehrer oder eine Lehrerin, dann verlässt Du sofort die Schule, kommst nach Hause und dann hat Arendts Mutter ihre berühmt berüchtigten Briefe an die Schulleitung geschrieben.
Hannah Arendt ist eine Denkerin mit Haut und Haar und das passt den sterilen Philosophen nicht.
Das ist mal ein Podcast! Es gibt Länder, da bezahlt man für so viel Bildung hohe Studiengebühren.
Besonders gefallen mir in dieser Folge die spontanen und komischen Einwürfe von Isabel Rohner. Wenn sich die Rohnerin und laStämpfli über manche Macken ihrer männlichen Kollegen lustig machen, sitze ich lachend in meinem Zimmer und erkenne mich selbst.
laStämpfli: „Du kennst doch die Inszenierung dieser Philosophen, weißt Du mit schwarzem Rollkragen, mit einem Habitus der großen Distanz und einem wunderbaren analytischem Sinn.“
Die Rohnerin: „Bei den jetzt lebenden Philosophen aus Frankreich ist ja der neue Rollkragenpulli das offene Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft.“
Dank der Rohnerin weiß ich jetzt auch, dass Immanuel Kant sein Zimmer nicht gelüftet hat, weil er glaubte, Frischluft sei schädlich und Ferdinand Lasalle seidene Unterwäsche getragen hat.
Es gibt viel zu erfahren bei „Die Podcastin“. Ein Einschalten, ob nun bei Apple, Spotify oder auf der Homepage, lohnt sich. Auch bei den anderen Themen!