„Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“

„Ich heiße Sharuz Shalicar, bin zwanzig Jahre alt, komme aus Berlin und bin Jude!“

Mit diesen Worten stellt sich der Autor des Buches „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ vor, allerdings lange, bevor er das Buch überhaupt schreiben sollte.

Als Ayre Sharuz Shalicar diesen Satz sprach, saß er in einer bundesdeutschen Kaserne, um seinen Wehrdienst für Deutschland anzutreten. Er schreibt:

Am ersten Tag hatte ich das Gefühl, dass ich überhaupt nicht in die Bundeswehr passte. Außer mir waren höchstens fünf von den über hundert Soldaten, mit denen ich im gleichen Gebäude schlafen musste, schwarzhaarig. Und ich hatte wieder den Eindruck, dass ich komisch angeguckt wurde. Wahrscheinlich dachte man, dass ich Türke oder Araber bin. Manche Blicke schien mich zu fragen, was ich dort zu suchen hätte. Nie zuvor war mir so bewusst geworden, dass ich in Deutschland lebte. Ich kannte ja kaum Deutsche. Plötzlich saß ich im selben Boot mit vielen jungen Männern, die alle Stefan, Christian, Thomas, Andreas und Markus hießen.“

Über seinen Wehrdienst schreibt er:

„Ich diente meine zehn Monate in der Bundeswehr ab und wurde nicht ein einziges Mal wegen meine Religion angesprochen. Ich hörte auch niemanden Witze darüber machen, noch stellte sich jemand gegen mich, weil er nicht mit einem Juden zusammen sein wollte.“

Für Ayre Sharuz Shalicar ist diese Feststellung bemerkenswert. Wer das Buch liest, versteht warum.

Die Stelle findet sich im letzten Drittel des Buchs und was der Leser bis dahin zu lesen bekommen hat, ist die kompromisslose Beschreibung einer gewalttätigen Realität in Deutschland, von der noch heute viel zu viele Menschen in diesem Land nichts wissen wollen.

Ich bin ungefähr so alt wie Ayre Sharuz Shalicar. Wenn er von seiner Kindheit und seiner Jugendzeit berichtet, erzählte er von einer Zeit, in der auch ich groß geworden bin, allerdings ist mir das Umfeld, von dem er berichtet, vollkommen fremd. Shalicar beschreibt seine Jugend in Berlin, wo er fast ausschließlich mit muslimischen Freunden abhängt. Lange Zeit wissen seine Freunde gar nicht, dass er Jude ist. Auch für Shalicar selbst ist das Judentum nicht sonderlich wichtig. Er möchte einfach nur Fußball spielen, sprühen, Musik hören, Mädchen abchecken und abhängen.

Shalicars Eltern waren aus dem Iran nach Berlin gezogen. Deshalb halten ihn viele seiner Freunde für einen Muslim. Sie können sich gar nichts anderes vorstellen. Als er innerhalb der Community immer öfter mit abfälligen Bemerkungen über Juden konfrontiert wird, fasst er schließlich den Mut und steht zu seinem Jüdischsein. Gerade die Momente, wo der junge Shalicar sich als Jude „outet“, sind besonders eindringlich, weil er in diesen jungen Jahren selber noch gar nicht weiß, was es überhaupt bedeutet, Jude zu sein oder was „jüdisch sein“ überhaupt auszeichnen soll.

Es sind diese Beschreibungen, die es mir als Leser, der seine Kindheit im verschlafenen, katholischen Emsland verbracht hat, erlauben, den jüdischen Autor aus Berlin zu verstehen, auf zwar auf der tiefen Ebene der kindlichen Naivität, die uns alle verbindet. Shalicar gelingt es in der Erzählung seiner Kindheit und Jugend, mal die Töne der kindlichen Naivität und dann wieder die Töne des jugendlichen Zorns zu treffen.

Wenn Shalicar seine Eltern oder sich fragt, „warum“, dann schwingt darin die ganze Bandbreite des Wortes „warum“ mit, von hilflos bis zornig, von traurig bis ratlos.

Der junge Shalicar hat kein Interesse an Gott oder an einer Religion. Er versteht nicht mal ansatzweise, was das Judentum ausmacht. Und doch ist da etwas, das in ihm geradezu eingeritzt ist, eine Sache, die er nicht unter Kontrolle hat, der er sich nicht entziehen kann, nämlich dass so viele Menschen um ihn herum Juden hassen und er einer ist.

Eine Identität ist auch immer etwas, das einem eingeritzt wird, das erkennt man beim Lesen dieser Biografie schmerzhaft. Es ist ironischerweise auch ein Messer, das den Tiefpunkt in der Biografie markiert. Shalicar beschreibt entwaffnend ehrlich, seinen Absturz in die bewaffnete Kriminalität und beschreibt auch den schrecklichen Moment, wo er einem Menschen ein Messer in den Körper gerammt hat.

Shalicar beschreibt die Realität seiner Jugend in einer kriminellen „Türkengang“, in der Außenseiter und Opfer von Feindbildern selbst zu Tätern werden. Er beschreibt schonungslos ehrlich seine persönlichen Niederlagen und Fehltritte. Hier verfasst ein Mann nicht eine schillernde Biographie über sich, sondern er schreibt eine ehrliche Auseinandersetzung mit sich. Hier schreibt ein מענטש.

Das Deutschland, in dem Shalicar als Jude angepöbelt, verfolgt, bedroht, angegriffen und geschlagen wurde, ist ein Berliner Stadtteil, in dem dieser Hass nicht von Leuten kam, die „Stefan, Christian, Thomas, Andreas und Markus“ heißen. Dieser Judenhass ist allgegenwärtig und alltäglich. Dennoch findet sich dieser Judenhass in keiner Polizeistatistik wieder, da die deutsche Polizei für den jugendlichen Iraner Shalicar keine Instanz war, mit der er kooperieren wollte.

Beim Lesen des Buchs „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ stellte ich mir die Frage, warum in Deutschland schon wieder bei Judenhass weggeschaut wird.

Nicht nur beim muslimischen Judenhass wird in Deutschland weggeschaut. Nach seinem Wehrdienst geht der Autor zur Universität und wird dort direkt mit einer weiteren Form des Antisemitismus konfrontiert, nämlich mit dem linken Antizionismus.

Der Autor beschreibt zudem seine Schwierigkeiten mit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, wo eine europäische, russische Form des Judentums gelebt wird, die nichts mit seiner Lebensrealität zu tun hat. Sogar die Muslime auf der Straße, mit denen er sich prügelt, sind ihm popkulturell näher als manch ein russischsprechender Jude in einer Berliner Synagoge. Die größte Stärke der Biografie besteht darin, dass der nicht-jüdische Leser diese Absurdität und dieses Gefühlschaos irgendwie verstehen kann.

Ich rate dringend, diese Biografie zu lesen. Sie gehört für mich schon jetzt zu jenen jüdischen Biografien, die man in Deutschland gelesen haben sollte.

PS: Janica ist eine wundervolle Frau. Das Buch ist auch eine Liebeserklärung des Autors an seine ehemalige Jugendliebe. Es ist die Ehrlichkeit des Autors mit sich, seinen Schwächen, Fehlern, Ängsten und seinen Gefühlen, die das Buch so lesenswert macht.

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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