Jan Böhmermann und die Nazis im deutschen Parlament

„Nur noch 3 Wochen, 21 Tage, bis zum ersten Mal seit Kriegsende wieder die Nazis im deutschen Parlament sitzen.

Eine unverzeihliche Schande.“

Diesen Ausspruch hat Jan Böhmermann am 3. September 2017 tastächlich so auf Twitter gepostet. Ich weiß zwar nicht, welche Nazis er meint, aber sie müssen deutlich schlimmer sein, als die ehemaligen NSDAP-Mitglieder, die 1949 in den ersten Deutschen Bundestag eingezogen sind.

Jan Böhmermann erklärt, zwischen 1949 und 2017 hätten keine Nazis im Deutschen Bundestag gesessen. Das stimmt aber nicht. Von 1949 bis 1960 war die rechtsgerichtete Deutsche Partei (DP) an der Bundesregierung beteiligt. Viele Mitglieder der DP waren vorher Mitglieder der NSDAP, zum Beispiel Richard Langeheine.

Hans-Christoph Seebohm war von 1949 bis 1966 Bundesminister für Verkehr und bis 1960 Mitglied der DP, bevor er zur CDU wechselte. Im Jahr 1941 wurde er Vorsitzender des von ihm mitgegründeten Aufsichtsrats Egerländer Bergbau AG, die als „Auffanggesellschaft“ eigens zur Übernahme „arisierten“ Eigentums gegründet wurde und sich bis zu deren Verkauf in Reichsbesitz befand. Ab 1949 äußerte sich Seebohm in Reden über Ehrfurcht vor Fahnen der NS-Zeit, erklärte, das Grundgesetz sei den Deutschen von den Alliierten aufgezwungen und sprach von einer Sozialdemokratie mit asiatischen Wurzeln, die nicht zum Deutschtum führen könnten. Der Historiker Thomas Vogtherr beschreibt Hans-Christoph Seebohm als Politiker, der die Integration von Vertretern „extrem rechter Positionen in die Politik der jungen Bundesrepublik Deutschland“ angestrebt und bewirkt hat.

Auch in anderen Parteien gab es ehemalige Mitglieder der NSDAP. Der CDU-Politiker Kurt Georg Kiesinger wurde im Jahr 1966 von der CDU und der SPD zum dritten Bundeskanzler der Bundesrepublik gewählt. Im Jahr 1933 trat er der NSDAP bei und arbeitete ab 1940 als Angestellter im Auswärtigen Amt der Nazis. In dieser Funktion war er für das Reichspropagandaministerium direkt für die Beeinflussung des ausländischen Rundfunks verantwortlich. Um auf diese nationalsozialistische Vergangenheit hinzuweisen, initiierte die Journalistin Beate Klarsfeld damals eine Kampagne mit verschiedenen öffentlichen Aktionen. Am 2. April 1968 rief sie im Bonner Bundestag von der Besuchertribüne „Nazi, tritt zurück!“ Während des CDU-Parteitags in Berlin am 7. November 1968 bestieg Klarsfeld das Podium der Berliner Kongresshalle, ohrfeigte Kiesinger und rief: „Nazi, Nazi, Nazi!“

Dann gab es noch Hasso Eccard von Manteuffel. Er war ein Mitglied des Deutschen Bundestages und gehörte ab 1949 erst der FDP an und später der DP. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war er Oberstleutnant und wurde noch vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion Bataillonskommandeur in der 7. Panzer-Division. Am 31. Dezember 1941 wurde er mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet. Nach Angaben des britischen Geheimdienstes nahm er 1950 Kontakte zu einer Vereinigung von Altnazis rund um den ehemaligen Gauleiter Karl Kaufmann auf, die die Bundesrepublik Deutschland unterwandern wollte.
Als die Grünen 1983 in den Bundestag einzogen, wurde Werner Vogel über die Landesliste Nordrhein-Westfalen gewählt. In der Zeit des Nationalsozialismus war er bereits sehr früh ein aktives Mitglied der SA und wurde 1938 auch Mitglied der NSDAP, deren Mitgliedschaft er 1933 beantragt hatte. 1938 kam er als Beamter ins Berliner Reichsministerium des Inneren.

Hans Georg Schachtschabel wiederum war ein deutscher Politiker der SPD. Er gehörte von 1969 bis 1983 dem Deutschen Bundestag an. Im Jahr 1933 trat er der SA, 1935 der SS und 1937 der NSDAP bei. Der SPD-Politiker Karl August Fritz Schiller war von 1966 bis 1972 Bundesminister für Wirtschaft und von 1971 bis 1972 zusätzlich Bundesminister der Finanzen. Von 1933 bis 1938 war er Mitglied der SA. Am 1. Mai 1937 trat er in die NSDAP ein, in der er 1938 Politischer Leiter Kieler Ortsgruppe Klaus Roth wurde. Im Rahmen seines Studiums und seiner Lehrtätigkeit war Schiller zusätzlich Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds, des NS-Rechtswahrerbunds und des NS-Dozentenbunds.

Einer der letzten ehemaligen Mitglieder des NSDAP, der ebenfalls Mitglied des Bundestags war, war Friedrich Zimmermann, der bis 1991 für die CSU Bundesminister für Verkehr war.

Dies sind nur ein paar Beispiele der vielen, vielen (ehemaligen) Nazis, die nach 1949 im Bundestag saßen. Der erste Bundestag, dem nachweislich kein ehemaliges Mitglied der NSDAP mehr angehört, war der 14. Deutsche Bundestag, der sich durch die Bundestagswahl an 27. September 1998 konstituierte.

Jan Böhmermanns Aussage ist somit nicht korrekt.

In der FDP, CDU, SPD, ja sogar bei den Grünen waren (ehemalige) Nazis aktiv. Viele von ihnen wurden in den Deutschen Bundestag gewählt. Welche Nazis also meint Jan Böhmermann?

Ich habe mich bei allen Parteien, die zur am 24. September 2017 zur Wahl stehen, angeschaut. Ich habe in jeder Partei mehr oder weniger unappetitliche Kandidatinnen und Kandidaten gefunden, manche davon sogar sehr unappetitlich. Ich habe jedoch in keiner Partei, die laut aktuellen Umfragen eine Chance hat, in den 19. Deutschen Bundestag einzuziehen, einen Kandidaten gefunden, den ich als Nazi bezeichnen würde, weil ich dadurch die barbarischen Taten der Nazis relativieren und verharmlosen würde.

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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