Ein erster Jahresrückblick auf das Jahr 2019 von Sandra Kreisler.
Das Jahr fängt ja schön an. Kaum sind die guten Wünsche vorbei, liest man in den Medien wieder genau dasselbe, was man immer schon las. Die armen toten Juden; wie furchtbar „die Nazis“ im „Holocaust“ gewütet haben; das steht (wieder einmal) in der ZEIT am 2. Januar. Ein großer Artikel darüber, wie menschenverachtend, in wie kurzer Zeit doch, ach, so viele Juden gemeuchelt wurden.
Zur gleichen Zeit in einem anderen Blatt ein Leserbrief, der die Meinung von vielen in klare Worte fasst. Die Juden seien selbst schuld am steigenden Antisemitismus, schreibt nämlich im Kölner Stadt-Anzeiger ein bekannter Aktivist der antisemitischen „BDS“-Bewegung: Sie distanzierten sich nicht ausreichend von der bösen Politik der mordenden Israelis.
Natürlich weiss jeder aufgeklärte Mensch heute, dass der Minirock nicht schuld an der Vergewaltigung sein kann, aber dass die Juden nicht schuld am Antisemitismus sind, das hat sich noch nicht so ganz herumgesprochen. Und ja, die Analogie passt: Wer findet heute noch, dass Frauen sich möglichst verhüllen, möglichst sittsam erscheinen sollen, weil nicht die mangelnde männliche Selbstkontrolle, sondern das Weib selbst die Gefahr sei? Genau: Vormoderne Frauenhasser. Wer findet, der Jude habe sich still und dankbar zu erweisen und möglichst verstreut und unsichtbar in der Welt zu leben, weil nicht die innovationslosen und gewalttätigen arabischen Länder das Problem seien, sondern der Jud selbst? Genau: Vormoderne Judenhasser.
Nun ist es allseits den Denkenden bekannt, dass Täter-Opfer-Umkehr ein beliebtes Muster der Schuldabwehr ist, es ist dieser Leserbrief also nichts Neues. Neu daran ist nur dieses: Der Text steht nicht in den weitgehend unkontrollierten sozialen Medien, es steht in einer Zeitung. Er wurde von Redakteuren als würdig empfunden, abgedruckt zu werden! Der Chefredakteur hat sich zwar – erst nach Protesten – in einem Schreiben für die Veröffentlichung entschuldigt, dennoch finde ich, dass diese krasse Unaufmerksamkeit bei der Veröffentlichung als pars pro toto heranzuziehen ist.
Die Aufteilung der eigenen Schuldkomplexe in einerseits Krokodilstränen über das, was die „Ahnen“ getan haben und andererseits den öffentlich geäußerten Verdacht, dass die Ahnen ja so falsch nicht gelegen haben können, wo doch die Juden heute auch nicht ganz so unschuldig sind, wird zunehmend zur Gewohnheit. Das ist ein jedem Psychologen gängiger Mechanismus. Schuldbewusste greifen nur zu gerne zur Täter-Opfer-Umkehr, um sich selbst besser da stehen lassen zu können. Dieser Mechanismus greift aber gerade in Deutschland inzwischen so gut, dass man, kennte man ihn nicht, direkt an eine Verschwörungstheorie glauben könnte – so flächendeckend wird nicht mehr hinterfragt, wo Kritik an Israel aufhört und Judenhass beginnt.
Natürlich gibt es auch internationale Akteure, die in diesem grausamen Spiel mittun, die UNO zum Beispiel ist aufgrund ihrer Zusammensetzung längst nicht mehr ein objektiver global Player, auch die EU mit der Terrorverniedlicherin Federica Mogherini trägt dazu bei, dass die Schlagworte vom „Apartheidstaat“ oder „Terrorstaat“ nicht mehr hinterfragt werden. Aber gerade in Deutschland sollte man doch eigentlich etwas sensibler gegenüber diesen immer offeneren Prozessen agieren, die ein einzelnes Volk zum bösen Buben stilisieren, ohne jegliche Kontextualisierung oder wenigstens Berichterstattung über andere Sichtweisen! Zugleich mit dem Beklagen eines steigenden Antisemitismus, zugleich mit dem (auch etwas späten und halbherzigen) Etablieren von Antisemitismusbeauftragten – meist sowieso ohne Pouvoir – steigt auch die asymmetrische Berichterstattung über die Geschehnisse in Israel selbst.
Der Themenkomplex Israel trägt tatsächlich Mitschuld am steigenden Antisemitismus. Aber nicht Israel selbst oder die Politik des Landes sind hier die Gefahr, auch nicht die stete Todesdrohung, unter der Israel seit Anbeginn leidet, oder seine Reaktion darauf – sondern die Berichterstattung über Land und Historie ist die „Antisemitenmacherin“!
Ein großer Teil der Medien, und nicht nur die deutschen Medien, berichten gewohnheitsmäßig grob falsch, heftig vereinfachend, Fakten ignorierend und immer wieder sogar gezielt einseitig. Diese Medien, die (sich in einem falsch verstandenen Rechts-links-Schema wähnend), regelmäßig Täter und Opfer verdrehen, indem statt der Ursache einer Tat zuerst genannt wird, wie Israel reagiert. Berühmt ist auch diese Schlagzeile, die eine Selbstverständlichkeit, nämlich das Recht auf Selbstschutz, zu einer Drohung verkehrt.
Aber das ist nur das schillerndste Beispiel. Fast täglich liest man in den meisten deutschsprachigen Blättern, sieht man im ZDF und in der ARD, was Israel tut – oft auch aufgeblasen – kaum jedoch wird darauf hingewiesen, was „die andere Seite“ tut. Nie bekommt man ein “Die Palästinenser sollten” einem “Israel täte gut daran” gegenüber gestellt. Nie werden aktive Feindseligkeiten und offen wiederholte Todesdrohungen von arabischer (oder iranischer) Seite als von mündigen Menschen getätigt dargestellt; derlei wird kaum je ernst genommen. Der Rassismus, der dieser Sichtweise zugrunde liegt, wird dabei genau so ignoriert wie die Überheblichkeit, Juden erklären zu wollen, was sie wie zu finden hätten.
Monatelange mörderische Angriffe werden als „Proteste“ verharmlost, über die vielen und vielseitigen Arten der Terrorangriffe auf Zivilisten wird kaum je berichtet, und Zivilisten werden meist als „Siedler“ in einen vermeintlich negativen Zusammenhang gestellt. Kaum je geht ein Blatt darauf ein, wie ein Jude in einem Gebiet, das seit Menschengedenken „Judäa“ heißt, mehr Siedler sein kann als ein Muslim, der hunderte Jahre später da eintraf, kaum je wird mit anderen, zum Beispiel europäischen „Siedlungen“ verglichen, niemals wird berichtet, wie in Wahrheit die Geschichte des heute Palästina genannten Gebietes war. Keiner überlegt heute, dass schliesslich das arabische Jordanien den Hauptteil des britischen Protektorates Palästina, das eigentlich für die Juden bestimmt war, belegt.
Seitenweise kann man belegen, wie das Gros der deutschen Medien mit Euphorie daran arbeitet, dass der Antisemitismus im Gewande der Israelkritik lebendig gehalten wird, und die Meute derjenigen, die sowieso keinerlei Fakten für ihren Judenhass brauchen, mit dieser Art der einseitigen Berichterstattung vermehrt.
Die Autorin hat selbst eine Auslandsberichterstatterin (der taz) in Israel erlebt, die bei einer öffentlichen Diskussion allen Interessierten längst bekannte Fakten erfahrend, stotternd hervorbrachte, davon habe sie ja noch nie…, das müsse sie aber erst verifizieren…, da könne sie jetzt nichts dazu… Diese Frau lebt in Israel, und ist nicht willens, sich mit Fakten und Recherche zu befassen. Lieber schreibt sie weiter einseitig, vermutlich, weil das den Kunden so gefällt.
So ist auch dieser Leserbrief zu werten: Man darf öffentlich wieder sagen, was man insgeheim gerne denkt. Und das wird dann auch gedruckt. Später entschuldigt man sich verschämt, das liest dann eh kaum jemand mehr. Solange aber die Medien nicht erkennen, dass es ihre Aufgabe ist, vielleicht unpopulär, dafür aber akribisch recherchiert, objektiv und ohne Auslassung von Fakten zu berichten, solange stoßen sie bewusst und heftig ins Horn der Antisemiten, die sich freuen, wenn der Jud wieder mal an allem Schuld ist.
Nachtrag: Hier ist gleich noch so ein Beispiel, wie Medien Falschmeldungen liefern, und ich warte nur drauf, dass das von einem deutschen Medium genau so und unüberprüft übernommen werden wird. Es bedient das klassische Vorurteil.
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(TINSAK)
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