Die Spirale der Gewalt

Eine notwendige Medienanalyse von Sandra Kreisler.

Vor kurzem las ich eine Meldung auf ORF.online mit der Überschrift: „Israels Armee erschießt vier Palästinenser“. Im Fließtext, wenn man sich denn die Mühe machte, die Überschrift anzuklicken, erfuhr man, dass vier Männer – mit Granatwerfern, einer Panzerfaust, Handgranaten und Schnellfeuergewehren bewaffnet – sich angeschickt hatten, den Grenzzaun bei Gaza zu überwinden, um zu den nur wenige hundert Meter entfernten Israelischen Dörfern zu gelangen, aber nach einem Schusswechsel mit einigen Grenzsoldaten getötet worden waren.

Obwohl, nein, so genau erfuhr man das nicht.

Wie viele Waffen die Männer bei sich hatten, und dass dem Ereignis ein Schusswechsel vorausging – das las ich dann in Israelischen Medien, zusammen mit Fotos der mitgetragenen Ansammlung von Waffen, die in etwa ein ganzes Schaufenster hätte füllen können.

Denselben einseitig formulierten Artikel brachten auch in Deutschland mehrere Zeitungen, und es stellte heraus, dass diese Medien eine Meldung eines Nachrichtenpools unbearbeitet gedruckt hatten.

So etwas geschieht regelmäßig. Dpa, dpd, apa, AP, AFP und diverse andere vor-ort Redakteure schreiben eine Meldung, diese wird dann ohne Überprüfung wörtlich von anderen Medien übernommen, und der Medienkonsument glaubt dann, die Süddeutsche, die FAZ, die Zeit oder sonst ein Medium drucke hier gut recherchierte Wahrheiten.

Wollte man die schiere Menge der zumindest mangelhaften, meist sogar nachweislich tendenziös formulierten Artikel über Geschehnisse in Israel seitens der deutschen und österreichischen Medienlandschaft aufzählen, hätte man über Stunden zu tun. Bereits 2014 schrieb der renommierte Publizist Matti Friedmann einen vielgelesenen Bericht über die gewollt einseitige Berichterstattung von Nachrichtenagenturen, im Speziellen jene der AP. Und auf die Entgegnung des Direktors dieser Nachrichtenagentur bestätigte ein anderer hochrenommierter (übrigens nichtjüdischer) Reporter die Anschuldigungen. Geändert hat sich seither nichts.

Sowohl dpa als auch dpd wurden wegen ihrer einseitigen Meldungen aus der Nahostregion schon von Kollegen beim Deutschen Presserat angezeigt, allein: auch dessen Mitarbeitende haben weder das Wissen noch das Wollen, um die schiefe, oft antisemitisch konnotierte Berichterstattung zu erkennen, trotz der Berge von Beweisen, die vorgelegt worden waren. Ebenso, wie der online Redakteur von FAZ.net auf Facebook partout nicht verstehen wollte, dass „Die Armee“ gegen „vier Palästinenser“ eine zumindest unfaire Sprachwahl ist, weil es nicht eine ganze Truppe, sondern einzelne Grenzschützer waren, die von den Terroristen angegriffen wurden.

Journalisten, angeblich doch sprachgeübt, sind urplötzlich blind, wenn man sie auf die Wirkung ihrer Wortwahl anspricht. Selbst wenn es Sprachwissenschaftler tun; es ändert sich nichts.

Noch weniger sind Journalisten offenbar in der Lage, selbst auch nur die geringsten historischen oder politischen Zusammenhänge zu recherchieren: Sie glauben wirklich, dass Palästinenser ein uraltes Volk sind, sie glauben wirklich, Palästina sei ein arabisches Land gewesen und habe allein die Grenzen des heutigen Israel umfasst. Diese eklatanten Bildungslücken sind erzeugt, sie sind bequem, und: sie sind antisemitisch.

Struktureller Israelhass

Medien werden von Menschen gemacht, die nun mal eben eine Meldung reinbekommen, die ebenfalls von Menschen geschrieben wird, und in der das steht, was diese Menschen gewöhnt sind zu hören. Keiner hält sich für antisemitisch, weil bekanntlich nicht sein kann was nicht sein darf.

Der Teppich der Vorurteile, geknüpft aus Halbwissen, verdeckter Schuldabkehr und Gewohnheitsdenken legt sich schwer über alles, und genau das ist es, was strukturell bedeutet: Man erkennt es nicht mehr, weil jeder Komplize ist und jeder Unschuldig. Irgendwann packt nun mal praktisch jeder in seinen geistigen Wahrheitskoffer, was wieder und wieder gehört wurde: „Nach dem Essen soll man nicht schwimmen gehen. Katzen und Igeln muss man Milch geben. Juden sind reich und haben Macht. Israel ist böse, rassistisch und hat Palästina von den Arabern gestohlen.“

Die Korrespondenten in Israel und den Gebieten sprechen zudem selbst meist weder hebräisch noch arabisch. Sie haben ihre Reiseleiter, Arabisch-Dolmetscher und andere Einflüsterer, die meist schon seit Jahren in Amt und Würden der jeweiligen Redaktion sind, und die ihre eigene Agenda verfolgen. Und wenn dann der Herr Kleber vom ZDF zum Beispiel etwas über die Wassersituation in den umstrittenen Gebieten machen möchte, dann weiß er natürlich schon von vornherein, was er sagen möchte. Er hat es ja schon oft genug so gesagt – also überprüft er nicht, woher der „Experte“ kommt, der geliefert wurde, so lange er die vorgefasste Meinung auch bestätigt. Wenn eine vorgefasste Meinung mal nicht bestätigt wird, ist der Teufel los.

So hört man dann hierzulande auch immer denselben Topfen, Entschuldigung, Quark. Ganz egal wie oft und wie klar wissenschaftliche Untersuchungen und historische Fakten belegen, dass ein Gros der deutschsprachigen Medien unsauber berichtet – die Mär vom bösen Israel bleibt in der Welt und wird von den Medien weiter bedient.

Ein Österreichischer Auslandskorrespondent, der sich über Jahre hinweg als mein Freund bezeichnete, kündigte mir die Freundschaft, als ich es wagte, ihn öffentlich auf seine einseitigen Israel-Berichte – bei klarer Benennung der Fakten, die er ausließ! – anzusprechen. Wie gesagt: weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Diese Medienvertreter sind vermutlich nicht alle einfach böse. Aber sie haben nun mal die Mehrheit im Rücken, was gut für die Karriere und das Gehalt ist. Und bei ihrer Einschätzung der Lage (denn es ist bestenfalls eine Schätzung, von Wissen, ja auch nur Ahnung weit entfernt) hilft ihnen, dass sie wie alle Deutschen und Österreicher seit Jahr und Tag eine zunehmende Delegetimierung Israels erlebt haben: In den 70er und 80er Jahren, hatte das Fernsehen, wenn etwas über Israel gesagt wurde, noch stets die gesamte Karte der Region eingeblendet – wo die Größenverhältnisse deutlich zu sehen waren. Aber schleichend, unmerklich – und dadurch wirksam – änderte sich das. Heutzutage wird nur noch Israel selbst einblendet, mit den typischen „Bissspuren im Kuchenstück“ der Palästinensergebiete. So wird suggeriert, dass Israel in diesem Konflikt ein größeres Land sei, das dem „armen kleinen Palästina“ nichts gönne – der gierige Jud. Auch das Wort der „Besatzung“, gerne auch für das längst „judenreine“ Gaza verwendet, hatte ziemlich Inflation in den letzten Jahrzehnten, ebenso wie heute Privatpersonen gerne „Siedler“ sind, weil die, das wurde längst etabliert, sind ja eigentlich wie eine böse und landgierige Armee.

Kaum einer reagiert auf Faktenaufzählung mit einem: „Ach, das muss ich noch mal überprüfen“ – es kommt vielmehr: „Das ist eine Lüge!“ oder „Wie kannst Du es wagen…!“ und alle suhlen sich weiter in ihrem eingespeichelten Gedankenbrei. Denn nichts ist schlimmer, als wenn die eigene geistige Ordnung und Denkgewohnheit in Frage gestellt wird.

Wenn aber nach mehrfachem, auch wissenschaftlich erwiesenem Hinweis auf diese Einseitigkeit partout weder Aufmerksamkeit dafür noch ein Ansatz von Unrechtsbewusstsein entstehen will, bleibt unsereins nichts übrig, als irgendwann Absicht für diese Spirale zu unterstellen. Und zwar antisemitische Absicht.

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(TINSAK)

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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