Die Deutsche Bahn tilgt die Namen großer Frauen

Im Jahr 2017 suchte die Deutsche Bahn nach Namen für ihre neusten Züge. Über 19.400 Vorschläge wurden damals eingereicht, aus denen dann eine Jury fünfundzwanzig Namen aussuchte. Die Wahl fiel unter anderem auf Hedwig Dohm, Alexander von Humboldt, Erich Kästner, Käthe Kollwitz und Anne Frank. Im Februar 2018 gab die Deutsche Bahn jedoch bekannt, ihre neuen Züge doch nicht nach historischen Persönlichkeiten zu benennen.

Damit reagierte das Unternehmen auf empörte Reaktionen, die es gegeben hatte, weil einer der Züge den Namen Anne Franks tragen sollte. Anne Frank wurde 1944 in ein Konzentrationslager verschleppt und starb im Alter von 15 Jahren im Lager Bergen-Belsen. Es war die Deutsche Reichsbahn, die das jüdische Mädchen in den sicheren Tod transportiert hatte. Ein Bahnsprecher sagt: „Wir müssen einräumen, dass wir das Thema leider falsch eingeschätzt und damit Gefühle verletzt haben“, und fügt hinzu, die Verstrickung von Reichsbahn und NS-Staat sei ein „dunkles Kapitel in der Geschichte der Eisenbahn“. Statt nach Personen sollen die Züge nun nach deutschen Regionen, Flüssen oder Bergen benannt werden.

Lediglich ein ICE 4 wird den Namen eines berühmten Persönlichkeit tragen, nämlich Martin Luther.

Ausgerechnet der Name Martin Luther bleibt. Martin Luther war ein Mann, der mit die übelsten Sachen über Juden gesagt hat. Sein Name wird von der Deutschen Bahn als einziger Name geehrt, während Anne Frank, ein jüdisches Mädchen, das Opfer des Hasses wurde, der auch von Martin Luther gepredigt wurde, entfernt wird. In der Abhandlung „Über die Jüden und ihre Lügen“ von Martin Luther steht:

„Die Juden sind ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes Ding, dass sie 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen.“

In dem „Handbuch über die Judenfrage“ schreibt Martin Luther:

„Ich will meinen treuen Rat geben. Erstlich, dass man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke, und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich …“

Martin Luthers Hass auf Juden inspirierte die Nationalsozialisten. Beim Nürnberger Prozess erklärte Julius Streicher:

„Antisemitische Presseerzeugnisse gab es in Deutschland durch Jahrhunderte. Es wurde bei mir zum Beispiel ein Buch beschlagnahmt von Dr. Martin Luther. Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank. In dem Buch ‚Die Juden und ihre Lügen‘ schreibt Dr. Martin Luther, die Juden seien ein Schlangengezücht, man solle ihre Synagogen niederbrennen, man soll sie vernichten.“

Dieser Martin Luther ist nun die einzige Persönlichkeit, nach der ein ICE 4 benannt ist. Anne Frank wurde entfernt!

Aber nicht nur Anne Frank wurde entfernt. Auch andere bedeutende Persönlichkeiten fielen der Tilgung zum Opfer, darunter zum Beispiel Hedwig Dohm.

Hedwig Dohm war eine der Kämpferin für die Freiheit von Frauen. Sie lebte von 1931 bis 1919 und schrieb mehrere Romane, Theaterstücke, Artikel und Glossen. Sie war eine der bekanntesten Schriftstellerinnen ihrer Zeit und überzeugte durch Klarheit und Humor. Hier auf Tapfer im Nirgendwo habe ich diese Frau schon in diversen Artikel geehrt.

„Nennt mich einen Feministen“
„Zehn Jahre femininster Stolz“
„Und das alles vor Franz Müntefering“
„An die Frauen des Arabischen Frühlings“
„Die Natur ist eine Byzantinerin“
„Eine Anregung zur Erziehungsfrage“
„Wäre ich ein glühender Patriot“

Die Erinnerung an diese Heldin für Freiheitsrechte, Demokratie und Gerechtigkeit hat die Deutschen Bahn jetzt zunichte gemacht, während Martin Luther, der in brutaler Form über Juden gehetzt hat, einen Zug hat, der unter seinem Namen fährt. Dass Hedwig Dohm aus einer jüdischer Familie kommt und somit viele ihre Nachfahren von den Nazis ermordet wurden, macht die ganze Angelegenheit nur noch unerträglicher.

Im Jahr 1919 durften Frauen in Deutschland das erste Mal wählen. Es war das Jahr, in dem Hedwig Dohm im hohen Alter starb. Ein Leben lang hatte sie für das Frauenwahlrecht gekämpft. Ihr Slogan lautete: “Die Menschenrechte haben kein Geschlecht!“

Am 12. November 1918 erging folgender Aufruf an das Deutsche Volk vom Rat der Volksbeauftragten:

“Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“

Dieser Tag gilt als Geburtsstunde des Frauenwahlrechts. Am 30. November 1918 trat das Reichswahlgesetz mit dem allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen in Kraft. Am 19. Januar 1919 konnten Frauen daraufhin zum ersten Mal in Deutschland wählen und gewählt werden.

Der Kampf um die Gleichberechtigung der Geschlechter ist eine der größten Revolutionen, die die Menschheit je erlebt hat. Es ist eine Revolution, die es ermöglicht hat, dass die Hälfte der Bevölkerung die Grundrechte erhielt, die uns heute selbstverständlicher Teil unserer Demokratie scheinen. Die Frauen und Männer, die für dieses Recht gekämpft haben, waren Heldinnen und Helden, die nicht selten staatlicher Repression und sogar politischer Verfolgung ausgesetzt waren.

Die Aufklärung beginnt mit der Gewissheit, dass alle Menschen in ihren Rechten gleich geschaffen sind. Für diese Gewissheit kämpfte Hedwig Dohm.

Es ist daher nicht weniger als ein Skandal, dass ausgerechnet ihr Name, zusammen mit vielen anderen Namen, von den Zügen der Deutschen Bahn getilgt wurde, während Martin Luther weiter geehrt wird. Es ist sowieso schon ein Skandal, da es für die religiöse Reformation von Martin Luther in einigen Bundesländern einen eigenen Feiertag gibt, nämlich am 31. Oktober, während es bis heute in ganz Deutschland keinen einzigen Feiertag für die Revolution gibt, für die Hedwig Dohm gekämpft hat und die für die Gleichberechtigung aller Menschen gesorgt hat.

Heute schreiben wir das Jahr 2018. Vor hundert Jahren wurde in Deutschland die Demokratie eingeführt, denn erst mit der Einführung des Frauenwahlrechts kann wirklich von einer Demokratie gesprochen werden.

Hundert Jahre Frauenwahlrecht. Hundert Jahre Demokratie!

Das ist ein Grund zu feiern! Durch Deutschland müssten eigentlich Züge mit den Namen berühmter Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht rollen, die Kostüme der Suffragetten sollten Superheldinnenkostüme sein, die Mädchen wie Jungs stolz zu Karneval tragen und es müsste eigentlich einen Feiertag für die Frauenbewegung geben. Aber leider sieht es in Deutschland ganz anders aus.

Durch Deutschland rollt ein Zug, benannt nach einem religiösen Fanatiker, der Juden hasste und einige Bundesländer feiern seine Reformation auch noch und überall im Land stehen Statuen von ihm herum.

Wäre Anne Frank nicht ermordet worden, vielleicht würde sie heute noch leben. Sie wäre heute so alt wie Hedwig Dohm einst geworden ist. Was hätte sie wohl zu der ganzen Farce gesagt?

Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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